"Die EU kann auch scheitern!"

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Es gibt keine Garantie - weder für ein Vorankommen der europäischen Integration, noch für eine gedeihliche demokratische Entwicklung, warnt alois mock, Ehrenobmann der ÖVP, der diesen Donnerstag seinen 70. Geburtstag feiert. Aber wir hätten große Chancen, die es zu nutzen gelte. Und: Für Franz Fischlers Kritik am österreichischen EU-Wahlkampf hat Mock Verständnis.

Die Furche: EU-Kommissar Franz Fischler hat den österreichischen EU-Wahlkampf scharf kritisiert und gemeint, Europa habe sich einen solchen Wahlkampf nicht verdient. Wie kommentieren Sie diesen Wahlkampf?

Alois Mock: Ich bin immer skeptisch, wenn jemand als "Star" bezeichnet wird, aber bei Franz Fischler stimmt das - er ist wirklich der Kommissar schlechthin. Wenn Fischler diese Kritik anbringt, muss man das ernst nehmen. Je mehr Aufgaben Brüssel übernimmt, desto mehr Kontrolle braucht es auf parlamentarischer Ebene. Die EU war bisher ein äußerst erfolgreiches Unternehmen - doch es gibt keine Garantie, dass es so weitergeht. Und es gibt keine Garantie für die Irreversibilität des europäischen Projekts - die EU kann auch scheitern.

Die Furche: Hat sich die EU mit der Erweiterung übernommen?

Mock: Ich war immer für die Erweiterung, wenn sie solide gemacht wird. Einige Länder haben es sich jedoch zu leicht gemacht. Wozu hat man denn Bedingungen aufgestellt, wenn sie nicht eingehalten werden müssen? Bis die Erweiterung wirklich über die Bühne ist, wird es noch viele Reibereien geben, es wird mühselig sein, es wird kleine Fortschritte und immer wieder Rückschritte geben - aber die Bilanz wird eine gute sein

Die Furche: 1994 haben zwei Drittel der Österreicher für die EU gestimmt, jetzt ist man froh, wenn 50 Prozent zur Wahl gehen. Was ist da passiert?

Mock: Das ist wohl dieser soziologisch gesetzmäßige Rückschritt, der nach jedem großen Fortschritt kommt. Ich bedauere das sehr, denn es hängt viel von unserem Engagement in Europa ab. Wir nützen die Chancen, die wir in Europa haben, bei weitem nicht aus - ein bisserl selbstbewusster könnten wir schon sein.

Die Furche: Österreich hat sich im EU-Verfassungsprozess - vermutlich vergeblich - dafür eingesetzt, dass jedes Land einen Kommissar stellt. Wie wichtig ist das?

Mock: Prinzipiell stehe ich hinter der Formel: ein Kommissar pro Land. Aber das ist keine wesentliche Frage für die Lebensfähigkeit der EU, auch wenn man auf das Selbstbewusstsein der kleinen und mittleren Staaten Rücksicht nehmen muss. Es gibt das andere Extrem: ein Zusatzvorschlag nach dem anderen und alles verschiebt sich um zehn Jahre. Politik ist immer eine Gratwanderung: Wie kann ich das Tempo bei der EU-Integration halten und doch Rücksicht auf die nehmen, denen das zu schnell oder zu weit geht?

Die Furche: Wie wichtig ist ein Gottesbezug in der EU-Verfassung?

Mock: Ein Gottesbezug wäre ein sehr gute Sache gewesen. Der Widerstand aus der sozialistischen Ecke hat mich gewundert, immerhin haben die ja auch Berge von Leuten, die sich als gläubig bezeichnen. Aber da kommen halt alte Befürchtungen durch. Grundsätzlich empfinde ich die Diskussion über den Gottesbezug aber als positiv, auch wenn sie immer wieder in die eine oder andere Richtung überzogen wurde. Ich bin sicher, es gibt eine Fortsetzung. Diese Verfassung wird nicht die letzte und beste EU-Verfassung bleiben. Wir denken zu kurzfristig: in den Fragen der zukünftigen Erweiterung der EU, bei der Türkei-Frage usw.

Die Furche: Langfristig können Sie sich einen Türkei-Beitritt vorstellen?

Mock: Ich werde es nicht mehr erleben, dass die Türkei Mitglied wird, und meine Kinder auch nicht. Aber es würde mich freuen, wenn meine Enkel einmal sagen: Der Opa hat das schon in Brüssel verhandelt. Ich werde Ihnen sagen, was bei der EU rauskommt: ein ungewöhnlich großes Ganzes, das nie vollkommen harmoniert, aber doch auf sehr vielen Ebenen sehr viel Positives mit sich bringt. In hundert Jahren wird Englisch Arbeitssprache der EU sein. Es werden in der EU dann auch nicht-europäische Sprachen gesprochen werden, nicht ad infinitum, aber gewisse Sprachen werden sich durchsetzen. Das hat kulturpolitische Folgen. Die Globalisierung ist keine künstliche Sache, die von ein paar G'scheiten entdeckt wurde. Die Globalisierung machen wir alle, und die EU ist eine Möglichkeit, dass wir sie gut machen.

Die Furche: Zur Innenpolitik - seit 1986 gibt es eine rechnerische Mehrheit für eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ, die erst 14 Jahre später realisiert wurde. Bedauern Sie, dass es nicht früher zu Schwarz-Blau gekommen ist?

Mock: Ja, weil es zur Lockerung des Systems beigetragen hätte. Die dauernde Vernaderung der FPÖ ist mir auf die Nerven gegangen. Im Ausland bin ich in Situationen gekommen, dass sogar ich den Haider verteidigen musste. Wenn die Sozialisten mit der FPÖ in Sachfragen koaliert haben, wurde das als demokratiepolitisch gute Sache interpretiert. Haben wir mit den Freiheitlichen zusammengearbeitet, hat es geheißen: "Was, mit der Bagage geht Ihr zusammen!" Die internationale Aufregung wäre 1986 kleiner gewesen, aber es hätte eine große interne Aufregung gegeben, und ich wäre mit diesem Vorschlag im Bundesvorstand nicht durchgekommen.

Die Furche: Sie waren lange ÖAAB-Obmann. Heute kommt parteiinterne Kritik - wenn sie kommt - aus diesem ÖVP-Bund. Welche Rolle soll der ÖAAB in Ihrer Partei spielen?

Mock: Dass man weiterhin der Parteiführung sagt, was man denkt. Und das in einer gewissen Härte. Dass man gleichzeitig aber weiß, dass eine Partei, die immer streitet, keine Chance hat, genauso wie ständiges Einheitsgeschwafel ebenfalls nicht weiterbringt.

Die Furche: Ist die ÖVP seit 2000 nach rechts gerückt?

Mock: Die ÖVP ist eine Mitte-Rechts Partei geblieben - und das soll sie. Es gibt auch in der Politik Moden und Trends; wichtig ist, dass wir bei jeder noch so kleinen undemokratischen Entwicklung dagegenhalten. Das ist wie bei der EU - wir haben keine Garantie, wir haben nur eine große Chance.

Das Gespräch führten Wolfgang Machreich und Rudolf Mitlöhner.

Europäer, Christdemokrat ohne wenn und aber

Ähnlich wie Helmut Kohl wurde er als etwas simpel gestrickter Provinzler belächelt; und so wie der deutsche Altkanzler wurde er später über Parteigrenzen hinaus als Politiker von staatsmännischem Format geachtet. Als Kohl 1998 abgewählt wurde, würdigte Mock in einem Furche-Gastkommentar den "Kanzler der Einheit"; und unter den Glückwunschschreiben, die Mock aus Anlass seines 70. Geburtstages am 10. Juni erreichten, wird jenes von Helmut Kohl den Jubilar wohl besonders gefreut haben. Wie Außenminister Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn, der tief religiöse Christdemokrat und der vom Reform- über den Postkommunisten zum Sozialdemokraten gewandelte Politiker, im Juni 1989 symbolisch den Stacheldraht durchtrennten, das zählt längst zu den Jahrhundertbildern - und war gewiss Mocks bewegendste politische Stunde. Legendär ist sein konsequenter Einsatz für einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, der mit einer sensationellen Zustimmung von 66,6 Prozent am 12. Juni 1994 belohnt wurde. Innenpolitisch blieb dem von 1979 bis 1989 amtierenden ÖVP-Obmann das ganz große Ziel, die Kanzlerschaft, verwehrt. 1986 kam die ÖVP bis auf knapp zwei Prozent an die SPÖ heran. Die rechnerisch mögliche Bildung einer Koalition mit der FPÖ traute sich Mock parteiintern nicht zu, 14 Jahre später freilich sollte für diesen Schritt ein innen- wie außenpolitisch ungleich höherer Preis zu bezahlen sein.

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