Vranitzky - © Foto: Robert Newald / picturedesk.com

Franz Vranitzky: „Ich war erstaunt bis angewidert“

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Altkanzler Franz Vranitzky über den Fall des Sebastian Kurz, guten und schlechten politischen Stil, den Streit in der SPÖ – und die Wichtigkeit, Haltung zu haben und zu bewahren.

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Altkanzler Franz Vranitzky über den Fall des Sebastian Kurz, guten und schlechten politischen Stil, den Streit in der SPÖ – und die Wichtigkeit, Haltung zu haben und zu bewahren.

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Franz Vranitzky war der letzte Bundeskanzler der jüngeren Geschichte, der freiwillig aus dem Amt geschieden ist. In einer neuen Biografie der Journalistin Margaretha Kopeinig blickt er auf seine Jahre als österreichischer Regierungschef (1986 bis 1997) zurück – und spricht über die Sozialdemokratie sowie Werte, die man wiedergewinnen sollte. Ein aktuelles Interview.

DIE FURCHE: Die politische Biografie „Franz Vranitzky. Politik mit Haltung“ ist mitten in der jüngsten Regierungskrise erschienen, in der auch viel von Haltung und Anstand die Rede war. Was bedeutet Haltung für Sie?
Franz Vranitzky: Mir geht es dabei nicht darum, den Anschein des Moralisierens zu erwecken oder jemandem vorzuschreiben, wie er sich benehmen soll. Was mich betrifft, so habe ich bestimmte Grundsätze im Leben, die sich aufgrund meiner Beziehung zu meinen Eltern, zu meiner Frau und zu meinen erwachsenen Kindern entwickelt haben. Es geht um diese Grundsätze – und darum, diese auch bei Widerständen nicht zu ändern.

DIE FURCHE: Wie verhält es sich mit „Haltung“ im politischen Alltag, in dem man nahezu ständig Kompromisse eingehen muss?
Vranitzky:
Die Korrektur ist der Kompromiss. Gerade in der Politik, wo es darum geht, Lösungen zu finden, erforderliche Handlungen zu setzen, kommt die Haltung in ein interessantes Stadium. Ich muss zu einem Kompromiss bereit sein, meine Kompromissbereitschaft darf aber nicht so weit gehen, dass ich meine grundsätzliche Haltung total aufgebe.

DIE FURCHE: An welchem Punkt in Ihrer Zeit als Bundeskanzler war es am schwierigsten, Haltung zu zeigen?
Vranitzky:
Es gab naturgemäß schwierige Phasen. Außenminister Alois Mock hat etwa in der Jugoslawien-Krise die Meinung vertreten, Österreich solle Slowenien und Kroatien im Alleingang als selbstständige Staaten anerkennen. In Europa war sonst niemand bereit dazu. Mock hat die Meinung vertreten, Österreich sei besonderer Balkan-Kenner aufgrund der langen Erfahrung in der Monarchie. Wenn Österreich sich als Schrittmacher an die Spitze setzt, werden die anderen europäischen Staaten nachziehen. Dem habe ich widersprochen. Der Vorreiter ist kein Vorreiter, wenn niemand nachreitet.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie die Waldheim-Affäre im Rückblick?
Vranitzky:
Da bin ich vielfach angesprochen worden, die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Bundespräsidenten einzustellen und das auch öffentlich zu erklären, als Signal, dass er unerwünscht ist. Obwohl ernstzunehmende Leute diese Forderung an mich herangetragen haben, habe ich das nicht gemacht. Ich ging davon aus, dass trotz der massiven Kritik an diesem Bundespräsidenten der Bundeskanzler seine Verantwortung für das Funktionieren der Institutionen des Staates nicht wegwerfen darf.

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