Kritik an Sebastian Kurz: Wir brauchen Empathie, nicht Selbstgerechtigkeit

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Ulrich H. J. Körtner hat in der vergangenen Woche an dieser Stelle heftige Kritik an Sebastian Kurz geübt. Warum sie überzogen ist – und es eine Abrüstung der Worte braucht. Eine Replik.

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Ulrich H. J. Körtner hat in der vergangenen Woche an dieser Stelle heftige Kritik an Sebastian Kurz geübt. Warum sie überzogen ist – und es eine Abrüstung der Worte braucht. Eine Replik.

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Kritik an der ÖVP im Allgemeinen und an Sebastian Kurz im Besonderen ist nichts Überraschendes mehr. Ulrich Körtners Gastkommentar geht jedoch über das übliche Maß hinaus, was gerade von Seiten eines Theologen verwundert, ja befremdet. Selbstverständlich ist Kritik an Entscheidungsträgern legitim und im Hinblick auf die nicht sonderlich geglückte Impfkampagne nachvollziehbar.

Die Abqualifizierung des Altkanzlers als „unfähigen Krisenmanager“ macht jedoch fassungslos. Das in- und ausländische Lob am Beginn der Pandemie ist Ulrich Körtner offensichtlich entgangen. In seinem Furor über vermeintliche Fehler von Kurz – als wäre etwa schon in der Zeit des Impfstoffmangels die Nichtzulassung von Sputnik in der EU klar gewesen – verwechselt er auch noch Geimpfte und Ungeimpfte. Da sind ihm die Pferde wohl gänzlich durchgegangen.

Der Theologieprofessor verlangt von den ÖVP-Politikern nicht nur das Eingestehen von Fehlern, sondern er will ihnen offensichtlich auch noch die genaue Wortwahl ihrer Entschuldigung vorschreiben. Die Opposition kommt mit einem einzigen kritischen Satz nahezu ungeschoren davon. Die Grünen, die zwei Gesundheitsminister gestellt oder verbraucht haben, kommen in dem Gastkommentar gar nicht vor! Sorry, aber so kann eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Causa Prima der letzten zwei Jahre nicht aussehen.

Balken im eigenen Auge

Etwas schwer nachzuvollziehen ist Körtners an das ÖVP-Bashing anschließender Optimismus bezüglich der Umsetzung der Impfpflicht, denn auch dafür ist ein Minimum an gesellschaftlichem Konsens nötig, der von den bisherigen Impfverweigerern nicht unbedingt erwartet werden kann. Darin, dass die Ankündigung dieser Vorschrift richtig war, können wir wohl übereinstimmen. Warum ist es aber derzeit so mühsam, über Themen Einigkeit zu erzielen? Für Körtner ist es schlicht der Populismus, den er pauschal den Türkisen unterstellt.

Um ebenfalls mit einem Bibelzitat zu antworten, ist es vielleicht der Splitter im Auge des anderen, den man so gut sieht. Tatsächlich ist Körtners Text nur ein Beispiel für den falschen Ton, in dem der öffentliche Diskurs abläuft. Die deutsche Politikerin Sahra Wagenknecht (Die Linke) spricht in ihrem jüngsten Buch „Die Selbstgerechten“ von den „Lifestyle-Linken“, die Ausdrücke erfinden, von denen sie erwarten, dass alle anderen sie blindlings akzeptieren.

Sie spricht auch von der „Unfähigkeit zur Empathie“. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Mehr als einmal sind verhaltensauffällige Moderatoren auf die Idee gekommen, Politiker zu fragen, ob sie sich für ein bestimmtes Verhalten schämen.

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