Fahrenheit 451 - © Foto: Getty Images / Universal Pictures

Corona-Dystopie? Keine Demokratie ohne Hoffnung

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Bevölkerung wie Regierung zeigen sich erschöpft. Die dabei sichtbaren Symptome einer Dystopie sind freilich nur in einem neuen Miteinander zu bewältigen. Ein Essay.

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Bevölkerung wie Regierung zeigen sich erschöpft. Die dabei sichtbaren Symptome einer Dystopie sind freilich nur in einem neuen Miteinander zu bewältigen. Ein Essay.

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Wer Science-Fiction mag, kennt sie, die Architektur der Dystopie, die leergefegten Plätze, den Rückzug ins Eigenheim, das irgendwann zu einsam, zu klaustrophobisch wird, die immergleichen Tätigkeiten, die Überwachung und eine Macht, die verkündet, wie man sich zu verhalten habe. Es gibt nichts mehr, woran geglaubt werden kann, niemanden, der man vertrauen wollte. Ermattung macht sich breit.

Erschreckend, wie bekannt das wirkt. Der Regierung geht ebenso die Kraft aus wie der Bevölkerung. Der Kontakt zueinander scheint im Laufe der unendlichen Pressekonferenzen verlorengegangen. Das Bad in der Menge fehlt, wie die Bilder davon, die früher einmal sagten: „Ich bin eine von euch.“ Seit einem Jahr agieren Bürgermeisterinnen sowie Regierungsmitglieder hinter Plexiglas, und mit jeder Woche wächst die Distanz.

Ermattung und Skandale

Im Frühling 2020 hörte man noch, man wolle „normal“ gar nicht mehr zurück, wolle bewusster leben. Selbst Marketingprofis schrieben emotionale Artikel über die Hinwendung zu ökologischen Standards, vom Ende des Individualismus und der Bedeutung des „wir“. Zwar wurde nicht bedacht, dass „wir“ einen gefährlichen politischen Begriff darstellt, weil es zum „wir“ auch „die anderen“ braucht, um identitätsstiftend zu wirken, doch immerhin dachte man nach. Auf regionaler Ebene entstanden neue Kooperationen – und der Föderalismus schien plötzlich hilfreich.

Das war vor der großen Erschöpfung, die mit den herbstlichen Wellen der Pandemie dystopieartig hereinbrach. Schon waren die guten sozialpolitischen Vorsätze dahin, ebenso die Geduld, das Miteinander, Hoffnung und Vertrauen. Letzteres nicht nur vonseiten der Bevölkerung, sondern auch von der Regierung gegenüber der Bevölkerung. In der Erschöpfung wurde kaum wahrgenommen, wie die Kommunikation entglitt, die große Erzählung nicht mehr funktionierte. Dass derzeit Skandale und Streitigkeiten die Innenpolitik bestimmen, ist nicht zuletzt daraus erklärbar. Der Rückzug hinter Plexiglas, pandemiekonform sinnvoll, tut jenen Politikerinnen nicht gut, die sich selbst als Marke statt als Dienstnehmerinnen der Bevölkerung begreifen.

Hoffnung, Vertrauen und Wachsamkeit bilden Grundbedingungen, um Demokratie leben zu können. Sie stehen in keiner Verfassung und werden kaum bemerkt, solange sie florieren. Doch es steht nicht besonders gut um sie. Wer die Hoffnung hatte, es würde aufgrund der Pandemie begreifbar, dass das nächste große Politikthema der Klimawandel sein müsse, und zudem meinte, dass wunderbar altmodische Begriffe wie Teilhabe und Solidarität zurückkehren würden, wird enttäuscht. Die ersten Nicht-Covid-Schlagzeilen handeln weder von Umweltschutz noch von sozialen Projekten, sondern davon, dass wohlintegrierte Schulkinder mit ihren Eltern abgeschoben werden; die Freude über ein Transparenzgesetz wird vom Umstand getrübt, dass eine Justizbehörde diffamiert statt unterstützt wird; und Journalistinnen werden für ihre Aufdeckungsarbeit geklagt.

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