"Politische Moral ist mehr als ein Kartenspiel"

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Bundeskanzler Faymann fordert mehr Bewusstsein der ÖVP gegenüber den Freiheitlichen. Wegen eines FPÖ-Cartoons zur EU-Wahl will er prüfen lassen, ob die Partei Förderungen aus Steuergeld zurückzahlen muss. Bei der EU-Wahl fürchtet er eine geringe Wahlbeteiligung. Das Gespräch führten Oliver Tanzer und Regine Bogensberger

Bundeskanzler Werner Faymann fordert mehr Engagement der ÖVP in der Auseinandersetzung um den Wahlkampf der FPÖ. Er spricht von einem Budgetdefizit bis zu fünf Prozent und kündigt für Herbst Vorschläge für eine Besteuerung von Stiftungen an, sollte eine EU-Transaktionssteuer scheitern.

Die Furche: Herr Bundeskanzler, die FPÖ scheinen Ihre Appelle und Mahnungen wenig zu beeindrucken. Soeben ist ein EU-Comic mit Strache als Held an Jungwähler verschickt worden, in dem die EU als Zigarre rauchendes, koksendes, korruptes, rülpsendes Schwein dargestellt wird. Asylwerber werden als Schmarotzer dargestellt, Ausländer als Drogendealer. Von Umvolkung ist wieder die Rede, die SS-Rune wird gezeichnet. Verleger des Comics ist das FPÖ-Bildungsinstitut. Erhält dieses Institut nicht auch Steuergelder?

Werner Faymann: Ich habe den Auftrag gegeben zu prüfen, wie hier die Geldflüsse waren und ob man die entsprechenden Geldbeträge nicht zurückfordern kann. Dass das alles geschmacklos und tief ist, wissen wir. Die Frage ist: Wie bekämpft man es am besten?

Die Furche: Derzeit scheint sich der Kampf in Lippenbekenntnissen zu erschöpfen, wie man an der Nicht-Abwahl Martin Grafs als Dritten Nationalratspräsidenten erkennt.

Faymann: Der Grund dafür liegt in einem All-Parteien-Konsens, der das Präsidium unantastbar macht. Der Ansatz ist ein ehrenwerter, weil er die Demokratie schützt. Wenn man sieht, wie Graf mit leichtem Lachen über die Aufforderungen hinweggeht, sich zu entschuldigen, dann weiß man: Es müsste ein Gesetz geben, mit dem man diesen Herren mit Zwei-Drittel-Mehrheit abwählen kann.

Die Furche: Aber die SPÖ hat ihn brav mitgewählt …

Faymann: Das war ein Akt des politischen Vorschussvertrauens. Er hat auch eine Ehrenerklärung für die Demokratie abgegeben. Aber dass man ihn nun, da er das Vertrauen nicht verdient, nicht abwählen kann, da habe ich mir mehr Entgegenkommen von der ÖVP erwartet.

Die Furche: Wie erklären Sie sich denn die VP-Weigerung?

Faymann: Die ÖVP hat noch immer einige in ihren Reihen, die eine Koalition mit der FPÖ nicht ausschließen und damit die Gefahr verniedlichen, die von der FP ausgeht. Es gibt solche auch in der SPÖ, allerdings sind die bei uns eine krasse Minderheit.

Die Furche: Der Grüne Peter Pilz ortet in der ÖVP schon Austrofaschismus.

Faymann: Damit hat Pilz nur die Strache-Linie bestätigt. Das ist die Methode: Wenn der andere sehr tief wird, probiere ich es noch tiefer. Das bestätigt die Strache-Linie. Der eine sagt Faschist, der zweite Austrofaschist, der dritte Terrorist: Auf diese Stufe darf man sich nicht begeben.

Die Furche: Wer ist also dann die Gruppierung in der ÖVP, von der Sie sprechen?

Faymann: Wolfgang Schüssel, Ursula Plassnik und Martin Bartenstein etwa wollen sich nicht von der Vergangenheit mit der FPÖ distanzieren. Dahinter steht taktisches Kalkül. Es ist aber unglaubwürdig, Strache vorne zu verurteilen und in der Hinterhand die Karte zu haben, mit ihm zu regieren.

Die Furche: Denken Sie, die ÖVP könnte durch diese Zurückhaltung die Wahlen gewinnen?

Faymann: Möglich. Aber der moralische Anspruch ist für mich mehr als ein Kartenspiel. Wenn ich nur Erster werde, indem ich mich bei der FPÖ zurückhalte, dann ist das ein trauriger Anspruch.

Die Furche: Ihre offene Empörung hat nicht wenige Kommentatoren überrascht. Manche meinten auch, Sie wollten damit nur SPÖ-Wähler mobilisieren.

Faymann: Das hat damit nichts zu tun. Hier geht es um politische Trennschärfe. Aber weil Sie es ansprechen: Ich würde gerne mobilisieren. Ich habe wirklich Sorge, dass die Wahlbeteiligung am Sonntag gering ausfallen könnte.

Die Furche: Werden Sie von Ihren Amtskollegen in Europa auf die FPÖ angesprochen?

Faymann: Es gibt besorgte Diskussionen. Aber ich verlasse mich auf die Diskussion im eigenen Land. Ich habe Graf zum Rücktritt aufgefordert, weil ich eigentlich der Meinung war, dass die ÖVP das auch will. Aber wir werden sehen, wie das weitergeht. Eines kann man sicher sagen: Der nächste Ausspruch der FPÖ kommt bestimmt. Denn das ist kein Ausrutscher, das ist schon der Inhalt: Hass und Vorurteile ohne Grenzen zu verwenden. Ich glaube, dass die ÖVP da auch umdenken wird. Es gibt viele Christlichsoziale, die so ein Verhalten nicht tolerieren können.

Die Furche: Wenn alles scheitert, hätte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer die Möglichkeit, Graf kaltzustellen. Wären Sie dafür?

Faymann: Das soll sie selbst entscheiden. Aber ich bin sicher, die FPÖ hört nicht auf: Das ist der Teich, in dem sie nach Erfolgen fischen. Es wird daher auch in der ÖVP Personen geben, die sagen, jetzt muss Schluss sein, ununterbrochen um diese FPÖ zu buhlen.

Die Furche: Warten Sie da auf einen Mahnruf des Landeshauptmanns von Niederösterreich?

Faymann: Ich kann auch nur ersuchen, dass sich die Diskussion in der ÖVP stärker um die moralische Grenze dreht. Denn wo die taktische ist, weiß ich.

Die Furche: Es gibt auch Landesvorsitzende der SPÖ, die die FPÖ nicht von der Regierung ausschließen, zuletzt waren das Gabi Burgstaller in Salzburg und Erich Haider in Oberösterreich.

Faymann: Man muss eine Zusammenarbeit auch auf Landesebene verhindern. Aber da hat die Diskussion bereits ein Umdenken gebracht.

Die Furche: Gilt dieser Ausschluss der FPÖ für alle Mandatare, oder würde Strache bei einem Rücktritt Grafs weiter einen Nationalratspräsidenten stellen können?

Faymann: Ja, natürlich. Ich hoffe, sie hat jemanden, der nicht Terrorismus und Antisemitismus in Zusammenhang mit dem Präsidenten der Kultusgemeinde bringt.

Die Furche: Leidet das Klima in der Koalition unter der Graf-Auseinandersetzung?

Faymann: Es nützt dem Klima jedenfalls nichts. Aber die Kernfragen der Regierungsarbeit, also der Bereich Arbeitsplätze und Wirtschaftshilfe, leiden nicht darunter. Das Klima ist generell besser, wenn man es mit der Regierung vergleicht, als noch andere in der ÖVP das Sagen hatten.

Die Furche: Mit einer Wahlniederlage könnte sich das rasch ändern. Tatsache ist doch, dass Sie vor allem bei männlichen Jugendlichen und Lehrlingen an die FPÖ verlieren.

Faymann: Da muss ich schon etwas klarstellen: Wir haben heute vor einem Jahr als SPÖ 21 Prozent Zustimmung gehabt. Jetzt halten wir bei 29 bis 31. Das heißt, wir können auch etwas gewinnen. Das Gegenkonzept ist aber nicht, sich zu Tode zu fürchten, sondern hinzugehen und zu sagen: Das haben wir vor und das halten wir auch. Da kann die FPÖ reden, was sie will.

Die Furche: Sonntag ist Wahltag. Die SPÖ hat einen thematisch sehr flachen Wahlkampf hingelegt. Ist das nicht auch der Grund, warum die Umfragen einen Verlust prophezeien?

Faymann: Das finde ich gar nicht. Hannes Swoboda und sein Team sagen sehr konsequent und glaubwürdig, dass sich die SPÖ für ein soziales Europa einsetzt.

Die Furche: Aber das ist ja eine Selbstverständlichkeit.

Faymann: Im Gegenteil, das sind die Kernfragen. Das heißt, wie sichern wir die Arbeitsplätze und welche Konsequenzen ziehen wir aus der Krise? Soll es eine Aktientransaktionssteuer geben, soll verboten werden, mit Wasser und Nahrung zu spekulieren? Was passiert mit den Rating-Agenturen? Das macht Swoboda mit Feingefühl und Kompetenz. Unser Hauptgegner ist die schlechte Wahlbeteiligung. Jetzt ist also die Frage: Können wir Strache und seinen Wahlkampf überlagern? Vielleicht gibt es Österreicher, die unsere Inhalte für wichtiger erachten als die Frage, was Strache zu Israel meint.

Die Furche: Aber wenn Sie mitten im Wahlkampf die Verlängerung des umstrittenen Grenzeinsatzes des Bundesheeres verfügen, dann ist das erstens sehr weit von den Kernfragen entfernt und zweitens eigentlich auch sehr nahe an den FPÖ-Themen.

Faymann: Nein, das hat ganz konkrete Gründe. Die Verlängerung des Einsatzes kostet pro Jahr 12,5 Millionen Euro. Die Polizei könnte um diesen Betrag viel weniger Beamte auf die Straße bringen.

Die Furche: Aber wirft man da nicht Geld zum Fenster hinaus? Die Soldaten haben keinerlei Befugnisse. Kein einziger Schlepper wurde im vergangenen Jahr aufgegriffen.

Faymann: Aber sie sorgen für ein Gefühl subjektiver Sicherheit. Zweitens rufen sie sehr oft die Polizei, wenn sie etwas Verdächtiges beobachten. Jedenfalls wünschen sich die Polizeibeamten vor Ort die Verlängerung des Einsatzes. Aber natürlich wären mir ausgebildete Polizisten lieber.

Die Furche: Sobald die Ausbildung der Polizisten abgeschlossen ist, wird der Einsatz eingestellt?

Faymann: Sobald genug Polizisten da sind, braucht den Assistenzeinsatz niemand mehr.

Die Furche: Widmen wir uns noch dem Budget. Die Debatte darüber im Parlament ist abgeschlossen. Der Sukkus ist, dass die Experten und der Finanzminister selbst nicht ausschließen können, dass das Defizit weit höher ausfällt als veranschlagt. Woher soll das Geld zur Schuldentilgung kommen, wenn nicht aus Steuern?

Faymann: Niemand kann die Wirtschaftsentwicklung vorhersagen. Einnahmen und Stabilisatoren sind variabel. Wenn 2009 das Defizit von 3,5 auf 5 Prozent ansteigt, bedeutet das 14 anstatt 9,8 Milliarden Euro Defizit. Aber die Reichensteuer, die so viel bringt, die gibt es nicht.

Die Furche: Es ginge dabei aber nicht um den ganzen Betrag, sondern um einen Beitrag.

Faymann: Trotzdem: Man streut den Menschen Sand in die Augen. Eine solche Besteuerung der höchsten Einkommen brächte vielleicht eine Milliarde Euro. Das wäre ein Beitrag, nicht die Lösung des Defizits. Eine EU-Transaktionssteuer wäre sinnvoller.

Die Furche: Und wenn es diese Steuern nicht gibt, weil sich die EU-Staaten nicht einigen können?

Faymann: Dann muss man Richtung Spekulationsfristen und Stiftungskonstruktionen gehen.

Die Furche: Die höhere Besteuerung von Stiftungen?

Faymann: Im Sinne des Angleichens an den Europäischen Schnitt, ja. Solche Dinge muss man andenken.

Die Furche: Wann könnte es diese Steuern geben?

Faymann: Im Herbst wird es Vorschläge dazu geben.

Die Furche: Zurück zur Frage. Wie werden die restlichen 14 Milliarden finanziert?

Faymann: Die gehen dann ins Defizit. Eine Besteuerung des Mittelstandes kommt nicht in Frage. Wenn die Krise zehn Jahre dauert, stehen wir allerdings vor der größten sozialen Diskussion, die man sich vorstellen kann.

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