Drozda - © Foto: Tosca Santangelo

Drozda: „Gab Kultur des Wegschauens“

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SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda über rote Fehler beim Migrationsthema und die Eignung Rendi-Wagners zur Spitzenkandidatin.

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SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda über rote Fehler beim Migrationsthema und die Eignung Rendi-Wagners zur Spitzenkandidatin.

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Seit Beginn der Ära Rendi-Wagner ist Thomas Drozda Parteimanager der SPÖ. Ein Gespräch über Umfrage-Einbrüche, Selbstkritik, den Stahlarbeiter in Donawitz – und darüber, warum die SPÖ bei Parteispenden keine Prüfrechte für den Rechnungshof beschließen wollte.

DIE FURCHE: Herr Drozda, ist Pamela Rendi-Wagner die richtige Spitzenkandidatin für diese Nationalratswahl?
Thomas Drozda: Ein klares Ja von mir, was wenig überraschen dürfte. Die Themen, um die es jetzt geht, sind Fragen der Menschlichkeit: Welche sozialen Verwerfungen gibt es in unserer Gesellschaft? Wie verbessern wir unser Gesundheitssystem? Wie schaffen wir leistbaren Wohnraum? In all diesen Fragen ist Pamela Rendi-Wagner kompetent und glaubwürdig. Denn mit wem auch immer sie zu tun hat – eine Eigenschaft ordnen ihr selbst die hartgesottensten politischen Gegner zu: Empathie.

DIE FURCHE: Vor zwei Jahren war die SPÖ noch Kanzlerpartei. Aktuell liegt sie in Umfragen bei 22 Prozent, knapp vor der FPÖ mit 20, die immerhin gerade von der Ibiza-Affäre durchgebeutelt wurde. Die ÖVP liegt mit Respektabstand von zehn bis 12 Prozent auf Platz eins. Wenn es also nicht an der Spitzenkandidatin liegt – was macht die Sozialdemokratie falsch?
Drozda: Warten wir das Wahlergebnis ab. Ich beobachte, dass man uns abschreiben will, bevor die Wahl geschlagen ist. Das ist eine Demobilisierungsstrategie aus dem Lehrbuch. Ich habe schon viele Prognosen erlebt, die am Wahltag ganz andere Ergebnisse nach sich zogen. Was stimmt: Nachdem wir die Entscheidung zum Misstrauensvotum gegen die Regierung getroffen hatten, kam der Einbruch in den Umfragen.

DIE FURCHE: War das strategisch also ein Fehler?
Drozda: Nein. Wir haben damals wohlüberlegt gehandelt und mittlerweile hat sich bei vielen die Haltung zu dieser Entscheidung geändert. Viele sehen: Was jetzt an Aufklärung im Justiz- und Innenminis­terium passiert, wäre unter einer ÖVP-­Alleinregierung nicht möglich gewesen.

DIE FURCHE: Die Arbeitsbedingungen werden für viele Menschen härter, viele haben das Gefühl, es wird ihren Kindern schlechter gehen als ihnen selbst. Gleichzeitig geht die Schere zwischen Arm und Reich auf, was Sozialstaaten bedroht. Eigentlich eine Großwetterlage, die wie gemacht sein könnte für die Themen der Sozialdemokratie. Warum gelingt es Ihrer Partei so schlecht, dieses Potenzial auszuschöpfen?
Drozda: Ich teile die Analyse über die Abstiegsängste der Mittelschicht, gerade bei Verteilungs- und Steuerfragen. Die Sozialdemokratie ist allerdings international keineswegs überall am Rückzug. Schauen Sie etwa nach Portugal, Spanien, Italien oder Dänemark. Was Österreich angeht, dürfen wir nicht vergessen, dass hier mittlerweile fünf Parteien im Parlament sitzen, in den Elefantenrunden sogar sechs – und nicht, wie in den 1970er-Jahren, nur drei. Dass sich unsere Situation verändert hat, ist also auch einer Ausdifferenzierung der politischen Landschaft geschuldet. Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass wir als SPÖ jenseits der 30 Prozent liegen. Und wir haben in diesem Zusammenhang die relevanten Themen in unserem Programm: Finanztransaktionssteuer, Millionärssteuer, 1700 Euro Mindestlohn und Senkung der Mietsteuer von zehn auf null Prozent.

DIE FURCHE: Sie sind ein enger Vertrauter von Parteichefin Rendi-Wagner. Sie beide stehen für einen Parteiflügel, der – auch atmosphärisch – vor allem urbane Wähler mit hoher formaler Bildung anspricht. Wo ist das Angebot der SPÖ für den Stahlarbeiter in Donawitz, der längst FPÖ wählt?
Drozda: Die SPÖ ist breit aufgestellt. Donawitz ist ein gutes Beispiel, weil es zum größten Wahlkreis des Landes gehört. Unser Spitzenkandidat dort ist Max Lercher. Dazu gibt es den sehr erfolgreichen burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und zeitgleich einen völlig anderen Typus wie Peter Kaiser, der in Kärnten 48 Prozent der Wähler hinter sich vereint. Oder nehmen wir Jörg Leichtfried als Klub­obmann und Beppo Muchitsch, der als Gewerkschafter an vorderster Front steht.

DIE FURCHE: Max Lercher, der bei der vielzitierten Basis gut ankommt, war Ihr Vorgänger als Bundesgeschäftsführer. In der Ära Rendi-Wagner hat er keine wesentliche Funktion mehr in der Partei. Ein Fehler?
Drozda: Vor 25 Jahren, in der Vranitzky-Ära, wäre niemand auf die Idee gekommen, die einen Regierungsmitglieder als „Bobos“ zu klassifi­zieren. Ich finde diese Debatte entbehrlich. Am Ende bringt uns diese Form der Schubladisierung von Menschen und Lebensstilen weder politisch noch gesellschaftlich einen Millimeter weiter. Die Menschen aufgrund ihres formalen Bildungsgrades oder ihrer kulturellen Attitüden zu beurteilen, halte ich für nicht zielführend.

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