„Diesen Wahn hat sie gelebt“

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Faymanns Erfolg überdeckt strukturelle Probleme der Partei, warnt der SPÖ-Kenner Norbert Leser.

Die Furche: Herr Professor Leser, wie deuten Sie das Wahlergebnis?

Norbert Leser: Es ist natürlich ein Auftrieb. Der Aufwind war schon durch den Wechsel an der Spitze da, den hat die ÖVP verabsäumt. Aber Faymann ist keine Wunderwaffe, mit diesem Erfolg sind die Strukturprobleme der Partei noch lange nicht gelöst – und vor allem auch nicht die Regierungsbildung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ÖVP als zweiter in eine Koalition geht, das wird Wolfgang Schüssel nicht zulassen.

Die Furche: Welche Regierungsvariante ist am wahrscheinlichsten?

Leser: Es steuert alles auf eine Minderheitsregierung zu, die SPÖ soll es probieren. Diesmal kann der Bundespräsident nicht wieder eine Zwangsehe wollen, das würde nicht goutiert werden.

Die Furche: Wie ordnen Sie Werner Faymann in die Tradition der SPÖ-Parteiführer ein? Sie haben in Ihrem neuesten Buch (siehe Kasten) harsche Kritik an den jüngsten Parteiführern, vor allem an Franz Vranitzky, geübt.

Leser: Faymann ist ein klassischer Politiker. In meinen Augen ist es ein Nachteil, dass er nie einen anderen Beruf ausgeübt und auch keine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Es kann schon sein, dass er sich als Naturtalent in seiner Funktion als Wohnungsstadtrat viel angeeignet hat, aber ein gewisser Mangel an Professionalität und internationale Erfahrung ist schon da. Aber umgekehrt ist er ein neuer Mann und der Rückenwind durch die Kronen-Zeitung ist nicht zu unterschätzen.

Die Furche: Wen würde die Partei anstelle Faymanns brauchen?

Leser: Allein die Wahl Gusenbauers zeigte ja, dass die SPÖ keine demokratische Partei ist, sondern eine Oligarchie. Sieben Leute haben sich im Rathauskeller die Nachfolge ausgeschnapst. Dass es in einer Partei, die zwar viele Mitglieder verloren, aber noch immer an die 400.000 Mitglieder hat, keine sechs Leute gibt, die sich für so eine Position als qualifiziert erachten und antreten, zeigt, dass die Partei personell vollkommen erschöpft ist und auch niemand an die Zukunft geglaubt hat. Bei Faymann war die Kür ähnlich, nur bei diesem ist der Funke übergesprungen. Jetzt scheint daher alles anders zu sein. Aber die Frage ist, ob es nicht nur eine kurzfristige Euphorie ist. Denn es ist eines der größten Versäumnisse, die ich Franz Vranitzky vorwerfe, dass er selbstständig denkende Menschen ausgepokert hat und nur stromlinienförmige Handlanger wollte, so dass zum Schluss, als er seinen Nachfolger wählen musste, nur mehr Viktor Klima übrigblieb – von dem er selbst heute nicht mehr begeistert ist. Aber man muss jedem Neuen die Chance geben, es besser zu machen als alle früheren.

Die Furche: Hat es denn je demokratischere Rekrutierungsmechanismen in der SPÖ gegeben?

Leser: Es hat zumindest nach Adolf Schärf und Bruno Pittermann Diskussionen im Parteivorstand gegeben und Alternativen. Für eine Erneuerung der SPÖ müsste es Vorwahlen geben, eine breite Partizipation der Parteibasis, und vor allem müsste unser Wahlrecht verändert werden. Kürzlich war ich bei der Buchpräsentation von Michael Fleischhackers Buch „Politikerbeschimpfung“ …

Die Furche: Was halten Sie von den Thesen des Presse-Chefredakteurs?

Leser: Er ist noch schärfer in seiner Kritik an Heinz Fischer als ich. Ohne eine Wahlrechtsreform wird sich die österreichische Demokratie aber nicht verbessern, das ist meine tiefste Überzeugung. Es muss kein reines Mehrheitswahlrecht sein, Fleischhacker ist in dieser Hinsicht radikaler, er will das englische System, die kleinen Parteien sterben lassen. Der Meinung bin ich nicht. Es wäre gut, wenn eine größere mit einer kleineren Partei zusammengeht, wie zwei Köche: Der eine liefert die Zutaten, der andere würzt, die beiden sind sich aber einig, was sie herstellen wollen. Die Große Koalition ist wie zwei Köche, die sich nicht einmal einig sind, welche Speise sie herstellen wollen, dann kommt entweder gar keine oder eine ungenießbare zustande.

Die Furche: Und jetzt droht wieder eine Große Koalition?

Leser: Wenn es nach Fischer und anderen geht, die nicht umdenken können, dann wahrscheinlich. Aber es wäre eine Bankrotterklärung – eine Verhöhnung der Wähler.

Die Furche: Wo sehen Sie die wirkliche Ursache für diese Lage, im Harmoniebedürfnis, in der Tradition des Weiterwurschtelns, im Fehlen einer politischen Streitkultur?

Leser: Es ist ein Mangel an mutigen Persönlichkeiten. Zum Beispiel Heinz Fischer, der, wenn er wollte, Weichen für die Zukunft stellen könnte. Er ist gewiss ein Ehrenmann, auch Kaiser Franz Joseph war ein Ehrenmann, dem man heute zu Recht vorwirft, dass er in der Hofburg nur verwaltet hat, aber keine Reformen initiierte. Die ÖVP ist eher bereit, umzudenken.

Die Furche: Auf welchem Weg ist die Sozialdemokratie?

Leser: Auf dem Weg des populären und der unprofilierten Stimmenmaximierung. Das ist natürlich Ziel jeder Partei, aber nicht so ausschließlich wie das momentan in der SPÖ der Fall ist.

Die Furche: Ist sie noch eine Arbeiterpartei?

Leser: Eben nicht. Denn der tiefe Einbruch der FPÖ in den Gemeindebau hat zwei Ursachen: Erstens, die Ausländerfrage in den Gemeindebauten. Es gibt eben Unmut über Ausländer und Missstände. Man kann nicht so tun, als ob diese nicht vorhanden wären. Zweitens, dass sich die Arbeiter durch einen Großkapitalisten wie Vranitzky nicht mehr vertreten fühlten. Er hat als Bundeskanzler sicher eine gute Figur gemacht, aber als Parteiobmann war er eine Katastrophe. Er hat die Partei wie eine Bank geführt.

Die Furche: Woran scheiterte Alfred Gusenbauer?

Leser: Er ist ein hochgebildeter Mann; aber das heißt noch lange nicht, dass er auch ein Parteiführer war. Man hat ihn hineingeschoben in diese Rolle und dann abgeschoben.

Die Furche: Sie kritisieren die „Verhaberung“, die weit verbreitet ist. Was raten Sie der Partei als Ausweg?

Leser: Vor allem die Wiener Partei ist eine geschlossene Gesellschaft, es herrscht eine Art Inzucht. Die SPÖ hat ein Personalreservoir verloren sowie eine intellektuelle Diskussion über programmatische Dinge. Das Ergebnis ist auch ein Normalisierungsprozess: Denn die SPÖ hat ursprünglich in der Ersten und auch noch in der Zweiten Republik davon gelebt, dass ihr die Zukunft, allein von der Theorie her, garantiert ist und dass sie Überlegenheit in der Wirtschaftsführung besitzt. Beides hat sich als falsch herausgestellt. Was blieb, ist ein gewisser Dünkel. Otto Bauer hätte sich etwa nie vorstellen können, dass wenn die Sozialdemokratie einmal an der Macht ist, sie dann wieder einmal abtreten muss, das wurde als irreversibel angesehen. Diesen Wahn hat sie gelebt, den hat ihnen der Schüssel ausgetrieben. Jetzt versuchen sie es wieder. Es ist Faymann der Erfolg zu wünschen, aber er sollte gleichzeitig wissen, dass es nicht ausreichen wird: Der Erfolg wird von der Regierungsbildung und natürlich von der Regierungsarbeit abhängen. Es könnte leicht ein Phyrrus-Sieg sein, ein Sieg der Verlierer ist es schon.

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

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