Josef Cap - © Foto: APA/Rober Jaeger

Josef Cap: "Diesseitige Lösungen statt jenseitiger TRÖSTUNGEN"

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Nach dreieinhalb Jahrzehnten im Nationalrat spricht das SPÖ-Urgestein Josef Cap über "schleichende Entdemokratisierung", Romane statt politischer Programme, Rechtsanwaltskanzleien von Lobby-Gruppen und transzendentale Kritik am spekulativen Finanzkapitalismus.

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Nach dreieinhalb Jahrzehnten im Nationalrat spricht das SPÖ-Urgestein Josef Cap über "schleichende Entdemokratisierung", Romane statt politischer Programme, Rechtsanwaltskanzleien von Lobby-Gruppen und transzendentale Kritik am spekulativen Finanzkapitalismus.

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DIE FURCHE: Herr Cap, Sie sind gemeinsam mit Jakob Auer von der ÖVP der längstgediente Nationalratsabgeordnete in Österreich, schienen fast schon mit dem Parlament verwachsen. Vergangene Woche ging Ihre Zeit als Parlamentarier zu Ende. Spüren Sie schon Phantomschmerz?
Josef Cap: Ich hätte die parlamentarische Arbeit gerne noch eine Zeit lang weiter gemacht. Deshalb habe ich einen Vorzugsstimmenwahlkampf geführt und in meinem Wahlkreis 5435 Vorzugsstimmen bekommen. Für den Parlamentseinzug hat das knapp nicht gereicht. Ich empfinde es aber als große Ehre, nach 34 Jahren immer noch so eine Zustimmung zu bekommen. Ich bleibe weiter innen-und außenpolitisch aktiv, werde die Entscheidungsprozesse im Parlament genau verfolgen - und bleibe SPÖ-Bezirksvorsitzender in Hernals. Über Veränderungsschmerzen mache ich mir da keine Sorgen.

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DIE FURCHE: Sie haben angekündigt, sich künftig stark in öffentliche Debatten einbringen zu wollen. Mit welchen Themen?
Cap: Wie kann man dafür sorgen, dass das österreichische Lebens-und Gesellschaftsmodell unter den Entwicklungen der Globalisierung nicht bedroht wird? Dass diese offene Gesellschaft der Vielfalt sich in einer verträglichen Form weiterentwickeln kann? Dazu gehört die Problematik ökonomischer Schieflagen, die auch die Wurzel der Migrationsbewegungen ist. Ebenso der Kampf gegen Auswirkungen des Klimawandels und die schleichende Entdemokratisierung. Ich werde bei Versuchen, die parlamentarische Demokratie einzuschränken -und sei es unter dem Vorwand von mehr direkter Demokratie -sehr wachsam sein.

DIE FURCHE: Mit einer neuen türkis-blauen Regierung müssten Sie eigentlich ein Ziel für Wortmeldungen ganz nach Ihrem Geschmack haben. Unter Schwarz-Blau I liefen Sie als Klubobmann zu einer Art ironischrhetorischem Berserker auf und schrieben mit "Kamele können nicht fliegen" sogar einen Regierungsabgesang in Buchform. Planen Sie unter Schwarz-Blau II einen zweiten politischen Frühling außerhalb der Parlamentsmauern?
Cap: Die schwarz-blau-orange Regierung war ja zum Teil eine Drehtür. Ununterbrochen sind Minister gekommen, gegangen, gekommen, gegangen. Manche davon haben heute noch ein Problem mit der Justiz. Die kommende Regierung wird versuchen, solche Fehler zu vermeiden. Aber sie wird andere und neue machen. Damit man Inhalte beurteilen kann, müssten sie aber einmal etwas auf den Tisch legen. Auf den Kurz-Wahlplakaten haben wir ja immer nur gelesen: "Tun, was richtig ist." Jetzt gibt es wahrscheinlich keinen einzigen Menschen in Österreich, der sagt: Wir sollten mit großem Engagement unbedingt das Falsche tun. Finanzexperten fragen sich jedenfalls, wie ein Einsparungspotenzial von 14 Mrd. Euro realisiert werden soll. Ohne Gegenfinanzierung ist das ganze vielleicht ein Roman, aber kein Programm.

DIE FURCHE: Was erwarten Sie vom türkisblauen Projekt?
Cap: Sie werden wahrscheinlich die politische Systemfrage bezüglich Sozialpartnerschaft stellen. Dass das System immer wieder evaluiert und weiterentwickelt werden muss, ist unbestritten. Aber der Vergleich mit anderen Ländern zeigt auch, dass wir damit sehr gut vorangekommen sind. Denn es begünstigt die Chance auf Konsens und Kompromiss. Das sollte man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Eine Absenkung der Kammerumlage wäre gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Denn die profitieren nicht nur von der Beratungstätigkeit und Rechtsvertretung durch die Kammern. Es geht auch um den Konkurrenzkampf bei Gesetzesvorlagen: Lobbys und Interessengruppen beschäftigen ganze Rechtsanwaltskanzleien und Forschergruppen. Die Millionen Pensionisten, Arbeitnehmer, Klein-und Mittelunternehmer haben mit den Kammern eine Vertretung als Gegengewicht. Es wäre luxuriös, darauf zu verzichten.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Kammer-Pflichtmitgliedschaft und dem Kollektivvertragssystem?
Cap: Ich war einmal mit einer Delegation im französischen Parlament. Die damalige sozialistische Fraktionsvorsitzende hat mir berichtet: Sie sind ganz stolz, denn sie haben mit den Gewerkschaften gerade einen Konsens ausverhandelt. Ich habe gesagt: Aber die Straßen sind doch voller Demonstranten? Ihre Antwort: Ja, denn es gab die Einigung nicht mit allen Gewerkschaften. Das österreichische System mit Kammern, insbesondere als Arbeitgeber-und Arbeitnehmerorganisationen, erleichtert natürlich die Kollektivvertragskultur, um die uns andere Länder beneiden. Deshalb sollte man bei Veränderungen Vorsicht walten lassen.

Das Migrationsthema sollte die Sozialdemokratie nicht aufgeben und den Konservativen und Populisten überlassen.

DIE FURCHE: Was halten Sie sonst für zentrale Themen der kommenden Legislaturperiode?
Cap: Man muss an die Wurzeln der Migrationsthematik gehen. Also versuchen, den Menschen dort, wo sie leben, eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Deshalb greift Sebastian Kurz mit seiner "Schließung der Mittelmeerroute" zu kurz. Man löst die Probleme nicht dadurch, dass man den Italienern sagt: Schließt die Häfen! Natürlich muss man Frontex verbessern und die nationalen Grenzen sorgfältig schützen. Aber man muss auch dafür sorgen, dass die Menschen etwa aus Libyen nicht wegwandern. Dafür braucht es faire Handelsbeziehungen und Lebensperspektiven für die Menschen. Deshalb fand ich übrigens auch die Rede des aktuellen, sehr politischen, Papstes auf Lampedusa so gut: Er hat nicht nur die Gleichgültigkeit vieler Menschen in den Wohlstandszonen gegenüber der Armut angesprochen. Er hat auch die Logik der Wirtschaftssysteme und den spekulativen Finanzkapitalismus kritisiert. Denn diese Systeme sind mitverantwortlich für die Millionen, die aus den Armutszonen wandern und versuchen, eine Lebensperspektive in den Wohlstandszonen zu bekommen. Politiker sollten diesen Aspekt aufnehmen und in ähnlicher Weise aussprechen.

DIE FURCHE: Der Papst als transzendentaler Verbündeter sozialdemokratischer Politik?
Cap:
Er steht in vielen Punkten im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Er setzt auf diesseitige Lösungen statt jenseitige Tröstungen. Letzteres alleine war mir immer zu wenig.

DIE FURCHE: Wie sollte sich die SPÖ in ihrer neuen Oppositionsrolle positionieren?
Cap: Man soll auch über das Tagespolitische hinaus Perspektiven entwickeln. Perspektiven, die den Menschen Ängste nehmen und das Lebensgefühl in Österreich, die Kultur der offenen Gesellschaft erhalten. Dazu muss man auch vermitteln, dass es Lösungen über Österreich hinaus braucht; daran arbeiten, dass die Europäische Union wieder mehr Zustimmung erhält, damit sie sich im internationalen Wettbewerb auch wirtschaftlich behaupten kann; eine gemeinsame Sprache in der Außenpolitik finden. Es kann auch eine Aufgabe für die Sozialdemokratie sein, sich an die Spitze einer Veränderungsperspektive für das globale Wirtschaftssystem zu stellen. Das Migrationsthema sollte die Sozialdemokratie nicht aufgeben und allein den konservativen und populistischen Parteien überlassen. Ich finde, man hat weder etwas aufzugeben, noch etwas zu überlassen, sondern man hat das abzudecken.

DIE FURCHE: Werden Sie sich Ihrem großen Hobby, dem Marathonlauf, künftig mehr oder weniger widmen? Sie hätten jetzt zwar mehr Zeit dafür, aber das Laufen ist doch gerade eine Zerstreuungs-und Verarbeitungsdroge für aktive Parlamentarier.
Cap: Ich habe inzwischen 27 Marathons absolviert. 13 Mal Wien, dazu Rom, Paris. Der Marathon gehört ein bisschen zu meiner Lebensphilosophie: dass man ein gewisses Durchhaltevermögen und Lebensdisziplin haben muss. Für mich ist das Laufen aber nicht mit Stress, sondern mit Entspannung verbunden. Es ist auch die Gelegenheit, sich eine Stadt anzuschauen. Der eine oder andere Lauf wird schon noch dazukommen.

DIE FURCHE: Finale Worte der Erkenntnis nach 34 Parlamentsjahren?
Cap: Die parlamentarische Demokratie ist durch nichts zu ersetzen.
Schwarz-Blau-Orange war ja eine Drehtür. Ständig sind Minister gekommen, gegangen, gekommen, gegangen. Manche haben heute noch Probleme mit der Justiz. Das Migrationsthema sollte die Sozialdemokratie nicht aufgeben und den Konservativen und Populisten überlassen. Ich finde, man hat nichts zu überlassen, sondern man hat das abzudecken.

Josef Cap

war von 1983 bis November 2017 Abgeordneter zum Nationalrat für die SPÖ und zwölf Jahre lang deren Klubobmann. Zuletzt fungierte er auch als Präsident des Renner-Instituts.

war von 1983 bis November 2017 Abgeordneter zum Nationalrat für die SPÖ und zwölf Jahre lang deren Klubobmann. Zuletzt fungierte er auch als Präsident des Renner-Instituts.

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