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„Zurück zum Vertrauensgrundsatz!”

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Trotz Jubels auf dem SP-Partei-tag über Brigitte Ederers frei gehaltene Rede, ist die Schwäche der Sozialdemokraten -zum Schaden Österreichs - unübersehbar. Dies hat auch zur momentanen Regierungskrise entscheidend beigetragen.

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Trotz Jubels auf dem SP-Partei-tag über Brigitte Ederers frei gehaltene Rede, ist die Schwäche der Sozialdemokraten -zum Schaden Österreichs - unübersehbar. Dies hat auch zur momentanen Regierungskrise entscheidend beigetragen.

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Alfred Gusenbauer, seinerzeit Juso-Chef, jetzt bei der Arbeiterkammer Niederösterreich, bringt es im Gespräch mit der furche auf den Punkt: „Die Schwäche der Sozialdemokraten in Zusammenhang mit der Regierungskrise liegt darin, daß man offensichtlich bis gestern geglaubt hat, und einige vielleicht auch noch bis heute geglaubt haben, daß man mit der ÖVP zu Vereinbarungen kommen kann, daß es sich in der Koalition um zwei Partner handelt, die gemeinsam ein Ergebnis erreichen können. Das war offensichtlich eine völlige Fehleinschätzung.”

Gusenbauer gibt sich vom Juniorpartner in der Regierungskoalition schwer enttäuscht, weil offensichtlich mit dem Obmannwechsel das Interesse, zu Vereinbarungen zu kommen, geschwunden und jenes, zu wählen, stark gestiegen sei. „Die ganzen Diskussionen momentan sollen nur dazu dienen, Schuldzuweisungen durchzuführen, wer Neuwahlen vom Zaun gebrochen hat. Denn das ist doch keine Art, Verhandlungen zu führen, wenn man - wie Andreas Khol - sich hinsetzt und sagt: Unterschreibt, was wir euch vorsetzen, sonst gibt es Neuwahlen. Das heißt Ultimaten setzen nach dem Motto: Friß, Hund, oder stirb.” Der seiner Meinung nach schon seit dem Wechsel an der OVP-Spitze beim „Partner” bestehende Wunsch, die Koalition zu brechen, sei jetzt - „zu einem für die Sozialdemokraten ungünstigen Zeitpunkt” -besonders stark geworden, um die OVP unter Umständen wieder zur stärksten Partei zu machen.

Das am Sonntagabend, 8. Oktober, in der TV-Sendung „Zur Sache” von VP-Klu-bobmann Khol erwogene Angebot, nach der Wahl mit den Sozialdemokraten wieder zusammenzuarbeiten (siehe dazu „Klipp & klar”), hält Gusenbauer für eine „mehr rhetorische Angelegenheit” vor dem Hintergrund einer Wahl, „die die Sozialdemokraten schwächt, die ÖVP nicht in diesem Ausmaß schwächt, sondern gleich stark läßt”. „Das heißt für mich, daß die ÖVP nach der Wahl völlig unannehmbare Forderungen präsentieren wird, mit der Zielsetzung, sagen zu können: Wir haben ein Angebot gemacht, und da dieses nicht angenommen wurde, müssen wir eben im Sinne der Erhaltung der Regierungsfähigkeit dieses Landes eine schwarz-blaue Koalition machen.”

Wofür steht denn eigentlich die österreichische Sozialdemokratie in dieser spezifischen Situation?

Gusenbauer wörtlich: „Wir sind dafür, daß der Haushalt konsolidiert wird. Dabei muß aber Rücksicht daraufgenommen werden, welche Gruppen in der Bevölkerung in welchem Ausmaß davon betroffen sind. Wir sind der Auffassung, daß die Budgetkonsolidierung in einer fairen sozialen Form geschehen soll gemäß dem Grundsatz, daß jeder entsprechend seiner Einkommenssituation einen Beitrag dazu zu leisten hat - der Kleinere einen kleineren, der Größere einen größeren” (siehe dazu den kritischen Beitrag von Herbert Kohlmai-er auf Seite 5). Dieser Philosophie könne und wolle sich die ÖVP nicht anschließen. Außerdem seien die Sozialdemokraten der Ansicht, daß man den Vertrauensgrundsatz, der in Österreich momentan noch vorhanden sei, nicht derartig erschüttern dürfe, wie nun gefordert.

„Wir können uns nicht vorstellen, daß man einige Monate vor Jahresende daherkommt und sagt, ab 1. Jänner gehen die Leut' um zwei Jahre später in die Pension.” Es sei den Sozialdemokraten schon klar, daß man sowohl beim Pensionsalter als auch bei der Pension selbst „etwas machen muß”; aber „ich kann doch nicht hergehen”, so Gusenbauer, „und jemandem, der bald in Pension geht, sagen, du mußt jetzt zwei Jahre länger arbeiten”. Bei der Arihebung des Pensionsalters müsse man einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren berücksichtigen, um den Betroffenen zu sagen, was auf sie zukommt. „Die Spielregeln aber derart fundamental zu ändern, das ist eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes in bezug auf die österreichische Bevölkerung.”

Die Verluste der SPÖ in den Meinungsumfragen der letzten Monate hängen nach Ansicht Gusenbauers im wesentlichen damit zusammen, daß die Verantwortung für die in den Budgetverhandlungen sichtbare Erfolglosigkeit vor allem den Sozialdemokraten auf den Kopf fiel, denen man in erster Linie die Wirtschaftskompetenz zugemessen habe. Ob der SPÖ gesamtösterreichisch der Gesprächsfaden mit der Bevölkerung abgerissen sei, könne er nicht sagen. „In meinem Bereich, da wo ich tätig bin, gibt es ziemlich lebhafte Diskussionsprozesse - egal, ob das Funktionäre oder Mitglieder sind. Wir haben sehr offen in der Öffentlichkeit Fragen der EU-Abstimmung, der Wahlauseinandersetzung im vergangenen Jahr oder im Frühjahr die niederösterreichischen Gemeinderatswahlen bis hin zur Budgetkonsolidierung diskutiert. Vielleicht hat die Sozialdemokratie im Zuge dieser gesamten Budgetdiskussion zu wenig über die Rampe gebracht, wessen Interessen sie eigentlich verteidigt”, merkt Gusenbauer kritisch an.

Wenn es zu Neuwahlen kommt, würde Gusenbauer seiner Partei vorschlagen, folgende Themen im Wahlkampf zu besetzen: „Die Sozialdemokratie muß besonders darauf achten, darzustellen, daß wir nach wie vor nach Kaufkraftparitäten das drittreichste Land der EU, eines der reichsten Länder der Erde sind; gleichzeitig müßte auf das Budgetproblem und auf gewisse strukturelle Defizitpositionen offen eingegangen werden.

Wir müßten aber sagen, daß in einem Land, wie dem unsrigen, es möglich sein muß, dieses Budget zu konsolidieren und zwar so, daß es in einer fairen Art und Weise über die Bühne geht.” .

Unter dem Titel Budgetkonsolidierung dürfe auf keine weitere Verschlimmerung der Verteilungssituation in Österreich eingegangen werden, „indem man zur Kenntnis nimmt, daß die sozial schwächeren Teile der Bevölkerung bis hin zu den unteren Rändern des Mittelstandes diejenigen sind, die die volle Maut zu bezahlen haben und daher einkom-mens- und verteilungsmäßig weiter absinken, während sozusagen die bessergestellten Teile relativ davon profitieren”. Es entspreche nicht den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Budgetkonsolidierung dazu zu verwenden, „die ohnehin schon problematische Verteilungssituation in Österreich noch zuungunsten des unteren Drittels zu verschlechtern”. Außerdem, wiederholt Gusenbauer, müsse die Sozialdemokratie „transportieren”, daß Einschnitte schmerzhafter Art in solchen Zeiträumen durchzuführen sind, „daß sich jeder mittelfristig darauf einstellen kann, was die veränderten Spielregeln bedeuten. Überfallsmaßnahmen sind demokratisch nicht sehr verträglich.”

Wirtschafts- und Sozialkompetenz schließen einander nicht aus, betont der AK-Funktionär. Wer glaube, Wirtschaftspolitik ohne soziale Kompetenz machen zu können, müsse nur einmal rundherum schauen, wohin das Ganze führe. „Denn in einem Land, das in seiner gesamten Konjunkturentwicklung in den letzten zwei Jahren von der Inlandsnachfrage getragen wurde - neben dem Status der Exportindustrie —, muß man sich bewußt sein, was ein Absenken der Inlandsnachfrage für die gesamte witschaftliche Entwicklung bedeuten würde.

Wenn man bei den Schichten, die ohnehin weniger haben, Einschränkungen gröberen Ausmaßes durchführt, dann sind das jene Schichten, wo das direkt auf Kosten der Inlandsnachfrage geht. Das sind diejenigen mit den geringsten Sparquoten, die den Großteil ihres Einkommens verkonsumieren müssen.” Das hieße, gravierende Kürzungen und Einschränkungen bei den sozial Schwachen würden in Wirklichkeit dazu führen, daß„die ohnehin schwache Konjunktur im nächsten Jahr überhaupt den Bach runtergeht”.

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