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Ein langer Marsch

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Hoch oben, Im 14. Stock eines Wiener Versicherungshochhauses, hatten sich die christlichen Werktätigen einiger europäischer Länder zum kollektiven Nachdenkprozeß versammelt. Solcherart dem obersten Schutzherrn ihrer Soziallehre wenigstens um einige Stockwerke nähergerückt, vertrieb man sich grenzüberschreitend die Angst vor den produktionsmittelbesitzenden Parteifreunden, die bislang als gesellschaftliche und parteiinterne Minderheit dank ihrer Kapitalkraft den von den Arbeitnehmern gezogenen Karren der christlich-demokratischen Parteien gesteuert hatten — zuletzt in den Straßengraben der Opposition.

Dies alles soll nun anders werden, versprach man sich zum Abschied. Doch vor dem Abschied stand die Einladung, und diese ging von ÖAAB-Bundesobmann Dr. Alois Mock aus, der Vertreter der CDU, CSU, der schweizerischen CVP sowie der Südtiroler Volkspartei zu der am vergangenen Wochenende abgewik-kelten ersten internationalen Arbeitstagung christlich-demokratischer Arbeitnehmerpolitiker (vorerst) des deutschsprachigen Raumes an die Donau gebeten hatte. Zwei Tage lang referierte und diskutierte man über Gastarbeiter und Mitbestimmung, Vermögensbildung und soziale Marktwirtschaft. Was allerdings dahinter stand, ging aus dem

Thema einer von Ex-Staatssekretär Heinrich Neisser geleiteten Podiumsdiskussion hervor, die man mit den Worten „Eine moderne Arbeitnehmerpolitik — Chance und Hoffnung der christlich-demokratischen Parteien“ umschrieben hatte.

Tatsächlich drückte man mit dieser Themenstellung die Überlebenschance der in Deutschland wie in Österreich unvorbereitet vom Podest der Regierungspartei gestürzten Christdemokraten aus. Gleichzeitig offenbarten die prospektiven Träger einer solchen modernen Arbeitnehmerpolitik (etwa die Sozialausschüsse der CDU oder der ÖAAB also) den Umstand, daß ihre jahrzehntealte Suche nach einem problemadäquaten Selbstverständnis noch kein Ende gefunden hat. Freilich könnte dies auch die Suche nach der richtigen Taktik sein. Den christlichen Arbeitnehmern wird es wohl bewußt sein, daß sie von den Privatwirtschaftsvertretern ihrer eigenen Parteien gebraucht werden — doch scheinbar nur als trojanisches Wahlpferd, mit dem sich letztere in der sich immer stärker ausbreitenden Arbeitnehmergesellschaft festsetzen wollen.

Immerhin muß es jedoch schon als unübersehbares Plus gewertet werden, daß man einen Ausweg aus dieser Situation sucht, die den gesamten CD-Parteien die Glaubwürdigkeit nimmt. Und darüber hinaus gilt

es auch noch, ein Plus dem in diese Richtung initiativ gewordenen ÖAAB gutzuschreiben, der seit der Obmannschaft von Alois Mock zwar langsam, aber stetig an innerparteilichem Gewicht gewinnt, was von den Sozialausschüssen der CDU offenbar nicht in dem Ausmaß behauptet werden kann. Dies mag vielleicht auch im Stilunterschied begründet sein, der sich im verbindlichen, die Dynamik zwischen den Zeilen verpackenden Ton Mocks einerseits und den frontalen Anläu-

fen gegen überholtes Hierarchen-denken des Geschäftsführers der CDU-Sozialausschüsse, Norbert Blüm, anderseits offenbarte.

„Partnerschaft“

Doch diese Probleme des Durchsetzungsvermögens konnte man beim ersten Treffen in Wien noch nicht diskutieren. Man versuchte, die offenen Marktlücken zu finden, die Mock darin erblickt zu haben glaubt, „daß alle politischen Parteien versuchen, Volksparteien zu werden — also Wahlmaschinen, die sich an alle Teile der Wählerschaft gleichermaßen wenden“.

Was folgte, war eher eine Bestandsaufnahme zur Schaffung einer gemeinsamen Strategie nach gewissen Prinzipien, die für den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, Kurt Härzschel, etwa im Modell der Partnerschaft liegen, wobei für ihn jedoch „Partner sein auch gleichberechtigt sein heißt“, weshalb „Partnerschaft nur im Falle des gegebenen Gleichgewichtes zwischen Arbeit und Kapital“ stattfinden kann. Ein ÖAAB-Mann freilich meinte, es sei „gewissen Kräften in den christlich-demokratischen Parteien gelungen, die Arbeitnehmervertreter auf den Ideologieflügel abzudrängen und sie durch diese Beschäftigungstherapie von den Schalthebeln der praktischen Machtausübung“ fernzuhalten.

Auch solches, versprach man sich knapp vor dem Besuch von Kardinal König bei den Tagungsteilnehmern, soll nun geändert werden, wenngleich Mock die Wahrnehmung kundtat, daß „das Wort verändern in weiten Bereichen unserer Parteien einen erschreckenden Klang“ besitzt.

Nicht zuletzt, um vor Schreckreaktionen gewappnet zu sein, will man sich nun öfter in diesem Kreis treffen und „bei solchen Begegnungen Kraft schöpfen, um bei der Arbeit in den eigenen Parteien wirkungsvoller zu sein, damit die christlich-demokratischen Parteien eine bessere Alternative zum Sozialismus sind“, wie CSU-Generalsekretär Tandler dies formulierte — ein Mann, der es schließlich wissen muß.

Der Taktiker Mock hat wohl schon weitergedacht und eine grenzüberschreitende „Abkürzung“ für den langen Marsch durch die von Unternehmern teilweise beherrschten Institutionen ersonnen. Unter seinen Mit-Arbeitnehmern regte er die Gründung einer europäischen Volkspartei als Dachorganisation aller christlich-demokratischen Parteien an. Eine Dachorganisation, bei der dann wohl erstmals im Rahmen des CD-Sektors die Arbeitnehmer den ihnen zustehenden Platz besetzen könnten.

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