ÖVP: "Grassierende Entgeistigung"

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Die ÖVP trudelt im Wahlkampffinale in eine heftige Auseinandersetzung um eine kritischere Linie gegenüber der EU. Dabei gerät ihr Spitzenkandidat Ernst Strasser ins Hintertreffen.

Wer in der Politik erst einmal den Schaden hat, der hat auch flugs den Spott an den Sohlen kleben: Während sich Ernst Strasser Mittwoch Abend Hände schüttelnd und um Sympathie ringend durch die Ebenen des EU-Wahlkampfs in Niederösterreich mühte, bliesen in Wien politische und persönliche Gegner zum humorigen Halali auf den VP-Spitzenkandidaten. Am Abend versammelten sich auf dem "Badeschiff" am Donaukanal der Grüne Peter Pilz, Erwin Steinhauer und Ex-BKA-Chef Herwig Haidinger zum heiteren Strasser-Kabarett. Unter dem Titel "Wie säubert man ein Ministerium" wurden da die E-Mails des Ex-Ministers Strasser bezüglich zu besetzender und umbesetzender Posten in und außerhalb des Innenministeriums verlesen und über Strassers Lobbying-Tätigkeiten in der Privatwirtschaft kalauert. Doch nicht nur die alten Intimfeinde setzen Strasser zu. Je intensiver der EU-Wahlkampf tobt, desto mehr zieht er auch innerparteilich Kritik auf sich.

Vergessen die Zeit, als ihn die Parteispitze anlässlich seines Geburtstages hofiert hat. Vergessen auch, wie der vom ersten Listenplatz gestoßene Othmar Karas für seinen Vorzugsstimmenwahlkampf belächelt wurde. Drei Wochen später hat sich die Situation gedreht: Die Unterstützungslisten für Karas sind ellenlang und lesen sich wie das Who is Who der Volkspartei. Strasser wirkt demgegenüber machtlos.

Was Karas von seinem Konkurrenten hält, lässt sich aus der Selbstbeschreibung auf seiner Vorzugsstimmenhomepage erkennen: "Othmar Karas ist kein Maulheld und kein Sprücheklopfer. Er ist einer, der weiß, wie's geht." Angesichts solcher Abgrenzungen klingt Strassers Charakterisierung, "Karas ist ein Diplomat, ich bin ein Pragmatiker", beinahe wie ein Stoßgebet.

Ist das, was sich da innerhalb der ÖVP abspielt, tatsächlich die gewollte "Vielfalt", von der Parteiobmann Pröll schwärmte, in der aufgrund der "breiten Basis" von Argumenten vielerlei Interessen bedient werden? Oder handelt es sich schlicht um einen innerparteilichen Konflikt um die Linie Pro und Kontra EU? Ist Ernst Strasser für die Europa-freundlichste Partei (mehr als 90 Prozent der ÖVP-Wähler glauben an die Vorteile der Union/Quelle: OGM) nun doch etwas zu wenig europäisch?

Eskalierende Konflikte

Die Parteizentrale müht sich jedenfalls nach Kräften, unter Kontrolle zu halten, was beinahe täglich offen zutage tritt. Obwohl die Wahlkampfrouten Strassers strikt getrennt von jenen Karas' verlaufen, artet die Situation regelmäßig in ein Fernduell aus, sobald Pragmatiker Strasser seine EU-Visionen allzusehr an jenen der Kronen-Zeitung orientiert, wie zuletzt in der Pressestunde des ORF.

Gleich nach Strassers Forderung, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu stoppen, rief Karas mit der gegenteiligen Wortmeldung zur Ordnung: "Ich bin dagegen, Türen zuzuschlagen." Altobmann Erhard Busek verlegte sich gar darauf, den Favoriten Josef Prölls als unerfahrenen Effekthascher darzustellen: "Strasser ist eben neu im Geschäft, der denkt halt, er kann mit so etwas punkten."

Buseks ironische Abscheu verträgt sich gut mit den ernsteren Sorgen mancher Parteikollegen. Strasser kratzt am Parteikonsens, ob in seiner Kritik an EU-Bürokraten oder die "Österreich zuerst"-Botschaft, die seinen Wahlkampf prägt. Da kommt selbst EU-Parlamentarier Paul Rübig nicht umhin zu sagen: "In der Verkürzung liegt eine Gefahr." Sein ehemaliger VP-Kollege im EU-Parlament, Reinhard Rack, der heuer nicht mehr antritt, geht wesentlich weiter: "Angesichts einer FPÖ, die mit jedem Tag einen schlimmeren Wahlkampf führt, hätte ich mir eine Weiterführung der dezidiert proeuropäischen Linie gewünscht."

Heinrich Neisser, Ex-VP-Nationalratspräsident und Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck, glaubt, dass der Wahlkampf "den Europagedanken aushöhlt". Die ÖVP, so Neisser, übernehme den "grassierenden Entgeistigungsprozess der anderen Parteien": "Strassers Wahlkampf präsentiert keine Inhalte. Auf der Strecke bleibt dabei nicht nur die Partei, sondern auch das Europaparlament, das zum Gespött gemacht wird."

Geht es bei all der Schelte bloß um Strasser selbst oder auch um seinen "Erfinder", Parteiobmann Josef Pröll? Seine Situation ist jedenfalls isoliert, ist er doch der einzige lebende VP-Obmann (von sechs, Anm.), der Othmar Karas nicht offen unterstützt. Dass selbst Prölls Onkel, Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, auf der Karas-Förderliste aufscheint, trägt zur wackeligen Optik bei, die derzeit das Bild vom souveränen Parteilenker merklich trübt. Dazu trägt auch bei, dass sich die ÖVP-Landeshauptleute mit Ernst Strasser kaum sehen lassen, was weder für den Kandidaten noch für die Durchsetzungskraft des Parteichefs bei den Landesfürsten spricht.

Prölls Rückzug

Der Parteichef selbst hält sich zurück - er schweigt auch dann, wenn die Parteibasis eigentlich klare Worte erwartet, etwa in der Debatte um den gar nicht christlichen Wahlkampf der FPÖ. Erst als der Türkeikonflikt innerparteilich zu explodieren drohte, ließ er sich zu kalmierenden Worten bewegen. "Seine Taktik ist offenbar", sagt der Politologe Thomas Hofer, "sich aus allem herauszuhalten. Dann kann er einen Erfolg für sich verbuchen, wenn die VP tatsächlich Erste wird. Wenn etwas schief geht, ist er einfach nicht dabei gewesen." Dieses heitere Szenario ist allerdings bedroht, wenn der Richtungsstreit der beiden Mandatare nach der Wahl ungebremst weitergeht. Bei der SP endete derlei schon einmal in Delegationsspaltung samt Nachspiel mit Knopflochkamera.

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