Viel zu viel Testosteron in der Europäischen Union

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Sollen die EU-Institutionen besser der europäischen Realität entsprechen, müssen die Regierungschefs mehr Frauen in EU-Top-Positionen zulassen.

"Sex sells" - das musste sich Italiens reichster Mann, Medienmogul und Regierungschef Silvio Berlusconi wieder einmal gedacht haben. Die Idee, Pin up- und andere Show-Girls als Kandidatinnen zur EU-Wahl aufzustellen, verwarf er schließlich wieder. Frauen würden doch anderes verdienen, hatte sich nicht nur seine (Noch-)Ehefrau alteriert. Wer sich als weiblicher Aufputz benützen lässt, ist selber schuld. Wer als Frau in der EU berufliche oder sogar politische Karriere machen möchte, ist hingegen alles andere als übervorteilt. Das zeigen auch die Kandidatenlisten zur EU-Wahl.

In Österreich gehen lediglich die Grünen mit einer weiblichen Spitze ins Rennen: Frontfrau Ulrike Lunacek flankieren am zweiten und dritten Platz die bisherige EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger aus Tirol und die Wiener Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin Monika Vana. Die SPÖ konnte das übliche Reißverschlussprinzip bewahren, wonach hinter dem Langzeit-EU-Abgeordneten Hannes Swoboda wenigstens an jeder zweiten Stelle eine Frau aufgestellt ist - mit Evelyn Regner vom Gewerkschaftsbund auf dem zweiten Listenplatz. In der ÖVP finden sich unter den ersten neun Kandidaten nur zwei Frauen, Hella Ranner (3.) und Elisabeth Köstinger (6. Platz). Das war's dann.

Zwei Präsidentinnen in 30 Jahren

Im Europäischen Parlament sitzen bis dato mehr als zwei Drittel männliche Abgeordnete. Seit 30 Jahren wird das Parlament direkt gewählt, und erst zwei Frauen hatten den Vorsitz inne: die Französinnen Simone Veil und Nicole Fontaine, beide von den Konservativen. Dass in der neuen Gesetzgebungsperiode das Parlament wieder eine Präsidentin bekommt, ist nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass der Vorname des neuen EU-Parlamentspräsidenten Hans, Martin oder Graham lautet.

Im EU-Übersetzungs- und Dolmetschdienst und in den Sekretariaten der EU-Büros dominieren hingegen die Frauen. Den Frauen komme hier ihr Sprachentalent zugute? Ein lächerliches Vorurteil. Es gibt auch männliche Sprachgenies und Spitzenköche. Gleichermaßen gibt es hervorragend qualifizierte Frauen als Führungskräfte - und Männer, die als (Finanz-)Manager versagen. Das EU-Auswahlverfahren ("Concours") versucht, die besten Kandidatinnen und Kandidaten für die (Verwaltungs)-Jobs in den EU-Institutionen auszuwählen. Doch die den Ton angebenden Chefs sind im zivilisierten Europa, das u. a. auf Gleichheit als zentralem Wert fußt, mehrheitlich Männer. Die gläserne Decke scheint aus Panzerglas zu sein.

In der 27-köpfigen EU-Kommission ist die Situation ähnlich. Es gibt neun Kommissarinnen. Fünf der 40 mächtigen Generaldirektionen werden von Frauen geführt. Österreichs Kommissarin Benita Ferrero-Waldner betont zwar, dass sich die Hälfte ihres Teams aus Frauen zusammensetzt. Der EU-Kommission stand in seiner mehr als 50-jährigen Geschichte aber noch keine Präsidentin vor. Dass die 26 männlichen EU-Regierungschefs demnächst eine Frau als Kommissionspräsidenten nominieren, wäre mehr Zufall als Überzeugung. Einzig Angela Merkel, die sich davor in Deutschland noch den Bundestagswahlen stellt, hätte eine theoretische Chance.

In der EU gibt es 250 Millionen Frauen. Und nicht eine ist gut genug für eine Spitzenposition in der EU-Politik? "Das kann nicht sein", sagte sich die dänische EU-Abgeordnete Christel Schaldemose (SPE). Vor genau einem Jahr gründete sie daher die Initiative "Females in Front". Via Internet soll eine Million Unterschriften gesammelt werden. Ziel ist es, dass in die vier Top-Positionen, die 2009 in der EU neu zu besetzen sind, zumindest eine Frau kommt. Wie bescheiden. Dann würde die EU auch mehr die Bevölkerung repräsentieren, meint die Dänin.

Neben dem Kommissions- und dem Parlamentspräsidenten ist auch die Nachfolge für Javier Solana, den Hohen Beauftragten für die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik, zu regeln. Und sollte der Vertrag von Lissabon in Kraft treten, gilt es jemanden für das neue Amt als EU-Präsident oder -Präsidentin zu finden. Laut Vertrag von Lissabon ermöglichen eine Million Unterschriften, dass sich die Kommission mit den Forderungen einer EU-weiten Petition auseinandersetzen muss. Immerhin. Der Reformvertrag wurde fast ausschließlich von Männern geschrieben. Weniger als 200.000 haben bisher für "Females in Front" unterschrieben.

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