Einzug der Piraten ins EU-Parlament

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Am 14. Juli werden die neuen EU-Abgeordneten angelobt: 15 Prozent bzw. 110 Abgeordnete fallen unter die Kategorie „sonstige Parteien“ oder „EU-Skeptiker“ oder „bunte Vögel“. Im Klartext heißt das: In der EU-Volksvertretung werden die nächsten fünf Jahre mehr euroskeptische, populistische und rechtsextreme Palamentarier sitzen als je zuvor.

Karlsruhe gießt Öl ins Feuer der EU-Gegner. Nach dem letztwöchigen Grundsatzentscheid der deutschen Verfassungsrichter zum Vertrag von Lissabon können sich EU-Kritiker aller Abstufungen auf das Gericht berufen. Zum einen haben die Richter mehrere Kompetenzen festgehalten, die den Kern eines Nationalstaates ausmachen, deswegen gar nicht oder nur unter äußerster Vorsicht an Brüssel delegiert werden dürfen. Und zum anderen hat Karlsruhe formuliert, was es vom Europaparlament hält: nicht viel – (siehe Kasten).

Für Geert Wilders, Chef der islam-kritischen Freiheitspartei in den Niederlanden, kommt das Karlsruher Urteil genau richtig. Der Islamkritiker schaffte es mit seiner Partei bei den Europawahlen aus dem Stand auf 17 Prozent und den zweiten Platz. Der Angelobung der EU-Parlamentarier am 14. Juli wird Wilders aber fernbleiben. Er lehnt seinen Parlamentssitz ab. Ein konsequenter Schritt für einen Abgeordneten, dessen Anliegen es ist, das Europaparlament aufzulösen. Vier Mandatare seiner Partei werden statt ihm an dieser Aufgabe arbeiten.

Ausgerechnet Großbritannien schickt Nazis

Wilders hat ein höheres Ziel: „Ich will Ministerpräsident werden!“ Dann kann er mit seinem Veto erreichen, dass die Türkei „nicht in 100.000 Jahren“ EU-Mitglied wird. Sein eigentliches Thema ist der Kampf gegen den Islam, den er als faschistische Ideologie verunglimpft. Die niederländische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Volksverhetzung. Und die britische Regierung ließ Wilders nicht einreisen, weil er „eine Gefahr für die gesellschaftliche Eintracht und für die öffentliche Sicherheit“ darstelle.

Wilders braucht gar nicht nach Großbritannien zu kommen – Politiker seines Zungenschlags sind schon dort und wurden gewählt. Paul Kenny, Generalsekretär der größten britischen Gewerkschaft GMB, ist entsetzt: „Ausgerechnet am Jahrestag des D-Day, an dem einst Britannien eine Armee auf den Kontinent schickte, um die Nazis zu stoppen, delegiert man nun Nazis in das EU-Parlament – eine Schande und Beleidigung für jene die für uns vor 65 Jahren kämpften.“

Nick Griffin und seine „British National Party (BNP)“ sind die „Nazi-Schande“, die nach Brüssel exportiert wird. 1998 wurde Griffin, ein Zögling englischer Privatschulen, wegen rassistischer Hetze zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Seither gibt er sich „temperierter“ und hat die BNP von einer Skinhead-Schlägertruppe zu einer Anzugträger-Partei umgemodelt. Sein politisches Ziel lautet: Die „Einheimischen“ müssen in Großbritannien die Mehrheit bleiben – als einheimisch gelten für Griffin & Co. Kelten und Angelsachsen. Bei der EU-Wahl konnte die BNP in Labour-Hochburgen bis zu 16 Prozent der Stimmen erobern.

Mit dem Slogan „British jobs for British workers“ war gut Stimmung gegen ausländische Arbeiter zu machen. Verspätet wollten auch Labour-Politiker auf diesen Anti- Ausländerkurs einschwenken – ohne Erfolg. „In der Labour-Regierung glauben manche, es genügt, ab und zu mit rassistischen Stimmen herauszuplatzen, um die Arbeiterstimmen zu behalten“, kommentierte der Guardian. „Diese Einstellung ist nicht nur anmaßend gegenüber der Arbeiterklasse, sondern beruht auch auf einem Missverständnis: Die Leute sind sauer auf die Partei, die sie im Stich lässt, und nicht unbedingt auf ihre farbigen Nachbarn. Labour-Abgeordnete haben in der absurden Hoffnung, ihre Wahlstimmen zu stützen, harte Töne über die Immigration geschwungen. Doch sie vermitteln keine inspirative Botschaft wie Obama, bei dem die Träume des einen nicht auf Kosten des anderen gehen müssen.“

Graham Watson, der Chef der Liberalen im Europaparlament, nennt die Probleme hausgemacht: Ein Grund für das gute Abschneiden der rechten Ränder sei „das Versagen, Einwanderer in die Gesellschaft zu integrieren“. Daneben hängt der Erfolg rechtsextremer Parteien gerade bei Europawahlen damit zusammen, dass diese von der Wählerschaft im Vergleich zu nationalen Wahlen als nicht so wichtig, als nicht vollwertig und eher als Experimentierfeld angesehen werden. Dazu kommt, dass die geringe Wahlbeteiligung jenen Gruppen überproportional hilft, denen es gelingt, ihr Klientel zur Stimmabgabe zu motivieren.

Das gleiche gilt für Parteien mit „nur“ EU-kritischem Programm – siehe Hans-Peter Martin, der auf nationaler Ebene nicht reüssieren konnte. Oder Wahlplattformen mit einem einzigen Anliegen – zum Beispiel die schwedische Piratenpartei. Vor Jahren als Protestplattform der Internet-Generation gegründet, waren sie bisher bei Wahlen in Schweden wie anderswo stets erfolglos. Die Bekämpfung von Internet-Tauschbörsen schaffte den Piraten aber regen Zulauf.

Skandinavischer Trend nach rechtsaußen

Der größte Einzelgewinn im Norden gelang mit einem Sprung von 0,5 auf 9,3 Prozent den rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ des katholischen Konvertiten Timo Soini. Der führt einen skandinavischen Trend nach rechtsaußen und zur Islam-Feindlichkeit an. In Dänemark gewann die einwanderungsfeindliche Dänische Volkspartei dank ihres rassistischen Aushängeschilds Morten Messerschmidt stark dazu; in Schweden schrammten die rechtsextremen „Sverigedemokraterna“ mit 3,3 Prozent knapp am Erfolg vorbei.

Ähnliche Zuwächse konnten aber auch die Grünen in Skandinavien verbuchen: In Dänemark zählte die links-grüne „Sozialistische Volkspartei“ mit 17,9 Prozent zu den Gewinnern. Ähnlich in Schweden und Finnland. Politologen deuten das Ergebnis als Zeichen, dass die wenig unterscheidbare, auf Wohlfahrt ausgerichtete Mittepolitik im Scheitern begriffen ist.

In Ungarn ist die Strategie gegen die Mitte für die rechtsextreme Jobbik-Partei aufgegangen. Das Schüren von Hass gegen Roma, EU-Feindlichkeit und die nationale Karte sowie das Versprechen von Arbeit und Wohlstand sicherten ihr drei Mandate.

In Rumänien gewann die ultranationalistische Partei „Romania Mare“ zwei Mandate; detto in Bulgarien, wo die Partei „Ataka“ mit ihrer Roma- und Judenhetze zwölf Prozent erreichte. Im Gegensatz dazu brach in der Slowakei die rechtsradikale Nationalpartei SNS ein. Und in Frankreich musste das rechtsextreme Familienunternehmen Le Pen eine Niederlage einstecken, stellt die „Front national“ künftig drei statt sieben Abgeordnete. Damit werden 36 eindeutig rechtsradikale Abgeordnete aus 13 Ländern und 15 Parteien im EU-Parlament sitzen – zwei mehr als bisher. Ein jeder zuviel, der europäische Kontext relativiert jedoch die Rede vom Rechtsextrem-Ruck. Vielmehr scheint der Guardian-Kommentar recht zu behalten, der meint: „Die meisten Menschen kennen mindestens ein Mitglied einer ethnischen Minderheit gut genug, um zu wissen, wie dumm Rassismus ist. Und das wird immer stärker sein als das, was diese Rassisten sagen.“

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