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„Die »National Front predigt das Evangelium des Hasses..

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Als bei der jüngsten parlamentarischen Nachwahl in einem Londoner Wahlkreis im letzten Monat die rechtsextreme „National Front“ wie-dereinmal die Liberalen als drittstärkste Partei hinter Labour und Konservativen überrunden konnte, wurde erneut bestätigt, daß der Rechtsextremismus in England zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft geworden ist - allen Versuchen zum Trotz, ihn zu ignorieren oder totzuschweigen. Und bei näherer Betrachtung von Ideologie und Werdegang dieser Partei ist es gar nicht leicht, Parallelen zu den Anfängen des deutschen NationalsTV zialismus zu vermeiden.

Die „National Front“ war im Februar dieses Jahres elf Jahre alt, und wie ihr Name erkennen läßt, stellt diese Bewegung den Versuch - den gelungenen Versuch - dar, die verschiedenen kleinen Splittergruppen zu vereinigen, die seit Anfang der fünfziger Jahre auf dem äußersten rechten Flügel des politischen Spektrums in England existierten - Gruppen wie die Liga der Empire-Loyalisten, die Britische Nationalpartei und die Bewegung für ein „Greater Britain“, alles in allem damals rund 1500 bis 2000 Mitglieder. Die heutige Mitgliederzahl der „National Front“ ist ein sorgsam gehütetes Ge-heimis, doch im Jahre 1974 erklärte der Propagandachef der „NF“, Martin Webster, er werde sie öffentlich bekanntgeben, sobald sie einen Stand voll 20.000 Parteimitgliedern erreicht sein würde; diese Ankündigung, so heißt es nun, stehe unmittelbar bevor.

Bei einer Wählerschaft von über 30 Millionen scheint eine Zahl von 20.000

recht bedeutungslos zu sein, und die Geringschätzung zu rechtfertigen, mit der die „NF“ von ihren politischen Gegnern betrachtet wird - wenn auch zum Beispiel der Liberalen Partei der Spott schon ein wenig vergangen ist. Aber im allgemeinen wird einer Partei ja durchaus nicht nur durch ihre eingetragenen Mitglieder zur Macht verhol-fen, sondern viel mehr durch die Gesamtanzahl aHer Sympathisanten, die sich am Wahltag aus einer Vielfalt von Gründen für sie entscheiden. Und hier ergeben sich dann ganz andere Zahlen! Ein kleines Memento in bezug auf das Wort „bedeutungslos“. An eine Partei namens NSDAP sei erinnert: Sie hatte im Jahre 1925 kaum 27.000 Mitglieder, 1929 waren es schon 176.000, zwei Jahre später über 800.000, und bei den Reichstagswahlen von 1932 war die NSDAP bereits zur weitaus stärksten Fraktion geworden, wozu sie weit mehr Stimmen benötigte als die rund drei Millionen der damaligen Parteimitglieder.

Zurück zu den einstweilen noch bescheideneren, aber keineswegs unbeachtlichen Fortschritten der englischen „National Front“. Bei den ersten Wahlen des Jahres 1974 hatte die „NF“ 54 Kandidaten in ebenso vielen englischen Wahlkreisen aufgestellt und insgesamt 76.865 Stimmen erhalten -natürlich ohne einen Sitz zu gewinnen. Bei den Oktoberwahlen von 1974 konnte ebenfalls noch kein Sitz gewonnen werden, aber die 90 aufgestellten „NF“-Kandidaten konnten bereits über 115.000 Stimmen auf sich vereinigen - nicht schlecht für tine Partei mit damals noch weit unter 2000 eingetragenen Mitgliedern. Und für die nächsten britischen Wahlen - mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit schon im Oktober dieses Jahres - hat die „NF“ schon die Aufstellung von über 200 Kandidaten angekündigt, darunter auch erstmalig in Schottland und Wales. Noch besser schnitt die Partei bei manchen Lokalwahlen ab, wie zum Beispiel im Vorjahr in Großlondon, wo die Liberalen ebenfalls vom dritten Platz hinter Labour und Tories verdrängt werden konnten.

„Wir haben gar nicht damit gerechnet“, erklärt „NF“-Propagandachef Martin Webster heute, „bei den Parlamentswahlen 1974 Sitze zu gewinnen.

Dieser Wahlkampf hat uns rund 46.000 Pfund gekostet, aber die hohe Anzahl unserer Kandidaten hat uns voll ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gebracht und uns sogar unsere ersten parteipolitischen Fernsehsendungen eingetragen, ganz abgesehen davon, daß wir organisatorisch sehr viel gelernt haben. Für 46.000 Pfund war das geradezu billig!“ Woher dieses Geld kam, sagt Martin Webster allerdings nicht, und er verweigert auch jede Stellungnahme zu den Gerüchten, daß zu den Geldgebern der „National Front“ so mancher Industrielle gehört, der mit der Untätigkeit und den Mißerfolgen der Tories unzufrieden geworden ist. Klingt das nicht auch irgendwie bekannt?

Wofür steht die „NF“? Erstens und Wichtigstens predigt sie das Evangelium des Hasses gegen die farbigen Einwanderer, das Evangelium der immanenten Überlegenheit der weißen nordeuropäischen Rasse, das Evangelium der totalen Ablehnung aller „minderwertigen“ farbigen Kulturen. John Tyndall, 44 Jahre alt, ehemaliges Mitglied der inzwischen aufgelösten Nationalsozialistischen Bewegung Großbritanniens, ehemaliger Vertreter und Schildermaler, jetzt Begründer und Führer der „National Front“, John Tyndall also sagt selbst, daß der Rassenhaß „unser bester Rekrutierungsschlager“ ist, „der uns laufend neue Mitglieder einbringt“. Diesen Rassenhaß richtet Tyndall wohlgemerkt nur gegen die farbigen Einwanderer aus Indien, Pakistan und von den Westindischen Inseln, denn mit Antisemitismus kann man heute nicht allzu viele Stimmen in England gewinnen. Aber es ist noch nicht besonders lange her, genau im Juli 1962, daß John Tyndall bei einer nationalsozialistischen Massenkundgebung am Trafalgar Square eine Rede hielt, in der er unter anderem sagte: „In unserer demokratischen Gesellschaft ist der Jude wie ein giftiger Wurm, der sich von einem schon weitgehend verfaulten Körper nährt.“

Tyndall, Webster und die „NF“ sind heute sehr bemüht, das antisemitische Nazi-Image abzuschütteln und als respektable Bewerber für den Rang der „Dritten Kraft“ im politischen Leben

Großbritanniens zu erscheinen. Gegen Juden, so meint Tyndall, habe er viel weniger als gegen Farbige, und auch als gegen weiße Renegaten und Liberale. Den Haß gegen diese Gruppen versucht er seinen Anhängern einzuimpfen: „Wenn einmal unsere Anhänger die Fähigkeit zum Haß verlieren“, schrieb Tyndall 1975 in der „^“-Zeitschrift „Spearhead“, „dann werden sie damit auch ihre Macht und ihren Willen verlieren, sich durchzusetzen.“ Und zum Haß gehört natürlich Gewalttätigkeit, wie sie auch die meisten Kundgebungen und Aufmärsche der „National Front“ immer wieder begleitet - sehr zum Vergnügen von Mr. Tyndall. Ganz abgesehen davon, daß Schlägereien und große Polizeiaufgebote eine großartige Gratisreklame für die „NF“ bedeuten - dafür sorgen schon die Nachrichtenmedien -, ist Tyndall auch rein akademisch durchaus dafür. „In diesen Tagen des verwaschenen Liberalismus“, so sagte er lächelnd bei einem kürzlichen Interview, „wo die Leute mit der Politik unseres Zwei-Parteien-Systems so desil-lusipniert sind, da kommt ein gewisser Ruf von Gewalttätigkeit gar nicht schlecht an; eine Partei, die bereit ist, ihre Argumente mit Schlägen zu verteidigen, könnte recht anziehend wirken.“

Tyndall rechnet schon bei den nächsten Wahlen mit großen Stimmengewinnen - hauptsächlich aus den Reihen enttäuschter Anhänger der Konservativen Partei und von den Jungwählern, die er besonders umwirbt. Und mit der ersten „National Front“-Regierung, mit der „Machtergreifung“ in Großbritannien, rechnet er fest schon in den nächsten zehn Jahren.

Ein größenwahnsinniger, ein wenig primitiver Hintertreppenagitator -kann man John Tyndall und seine „National Front“ wirklich ernst nehmen? Abschließend ein markanter Satz, den ein anderer Agitator dieser Richtung 1933 aussprach: „Nur eines hätte unsere Machtergreifung verhindern können - wenn unsere Gegner damals den Kern unserer Bewegung mit der äußersten Brutalität niedergeschlagen hätten.“ - Adolf Hiüer, deutscher Reichskanzler.

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