Schicksalswahlen in Europa

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Am Ende dieses Jahres werden wir wissen, ob bürgerlich-liberale Vernunft noch stark genug ist, sich gegen die extreme Rechte durchzusetzen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Am Ende dieses Jahres werden wir wissen, ob bürgerlich-liberale Vernunft noch stark genug ist, sich gegen die extreme Rechte durchzusetzen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Die Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland in diesem Jahr werden zum Fanal für Europa. Sollte den letzten Umfragen entsprechend in den Niederlanden doch die rechtsliberale VVD von Premier Mark Rutte das Rennen machen und die Rechtsaußenpartei PVV von Geert Wilders auf die Plätze verweisen (die Wahl fand nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe statt), könnte ein erstes Aufatmen durch Europa gehen.

Es hätte sich dann nämlich gezeigt, dass klar konturierte liberalkonservative Positionen der extremen Rechten Paroli bieten können. Dass also, ganz allgemein gesprochen, es nicht rechtspopulistischer Scharf- und Krawallmacher bedarf, wenn sich die bürgerlichen und liberalen Mitte-Rechts-Parteien nur trauen, Kante zu zeigen; wenn sie nicht der Versuchung nachgeben, sich möglichst an den linksliberalen Mainstream unauffällig anzuschmiegen - in der (nicht zuletzt medial induzierten) irrigen Meinung, dort wären Mehrheiten zu holen.

Fillons Demontage

Besonders spannend wird es in Frankreich. Dort hatte ja der Kandidat der konservativen Républicains, François Fillon, ausgezeichnete Chancen, den glücklosen Sozialisten François Hollande im Élysée zu beerben - und somit auch einen Wahlsieg von Marine Le Pen, der Kandidatin des rechtsextremen Front National, abzuwenden. Die Affäre um Scheinbeschäftigungen von Fillons Frau und Kindern droht indes den für beinahe sicher gehaltenen Wahlsieg zunichte zu machen. Unabhängig davon, was an den Vorwürfen gegen Fillon dran ist (er lässt sich bis jetzt nicht beirren und hält an Kandidatur und Unschuldsbeteuerung fest): Dass die Justiz just im Vorfeld der Wahlen tätig wird, kann man wohl kaum für einen Zufall halten. Niemand wird annehmen, dass die Verdachtsmomente tatsächlich jetzt erst auftauchten und nicht schon längst bekannt waren. Wäre man zynisch, könnte man sagen, dass eine von der Linken instrumentalisierte Justiz alles tut, um zu erreichen, was in den USA misslungen ist: eine Frau an die Staatsspitze zu bringen. Aber wir sind nicht zynisch - und wie es aussieht, könnte es der Linken ja tatsächlich gelingen, die Wahl zu gewinnen: Zwar hat sich der Parti socialiste mit der Entscheidung für einen Linksaußen-Kandidaten (statt des gemäßigten Manuel Valls) selbst marginalisiert, doch dem "unabhängigen" Linken Emmanuel Macron werden gute Chancen eingeräumt, den ausschlaggebenden zweiten Wahlgang für sich zu entscheiden.

Sollte es freilich anders kommen, sollte also Le Pen das Rennen machen, dann wäre das wohl der Anfang vom Ende der Europäischen Union. Das aber kann auch jene nicht freuen, welche zu Recht die Entwicklung dieser Union von einem bürgerlich-liberalen, wohlstands- und freiheitsvermehrenden, christlich fundierten hin zu einem nivellierenden und umverteilenden Projekt kritisiert haben. Mit Le Pen, Wilders oder wohl auch der deutschen AfD kann die Reform der EU nicht gelingen, nur deren Zerstörung.

Keine "Alternative"

Womit wir bei Deutschland sind. Dort ist freilich die AfD (Alternative für Deutschland) weit von einem Wahlsieg entfernt. Die Umfragen sehen sie im einstelligen, bestenfalls niedrigen zweistelligen Bereich. Das hat gewiss auch damit zu tun, dass der Partei die alles überragende, einigende Figur fehlt. Stattdessen macht man mit Fraktionskämpfen und Richtungsstreitereien von sich reden. In Wahrheit aber ist das - ursprünglich durchaus vielversprechende - Projekt einer bürgerlichen "Alternative" im Wortsinn bereits mit dem Abgang des Gründers und ehemaligen CDU-Mannes Bernd Lucke (welcher u. a. die EU genau in oben beschriebenem Sinn kritisierte) abgedriftet. Ob Merkel ihre Kanzlerschaft pronlongieren kann, ist ungewiss. Als Hoffnungsträgerin für eine europäische Zukunft kann sie indes kaum noch gelten. Bestenfalls als Bewahrerin vor Schlimmerem. Aber, so steht zu fürchten, das wird für eine gedeihliche Entwicklung des europäischen Miteinanders allen Beschwörungen zum Trotz zu wenig sein.

rudolf.mitloehner@furche.at

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