Volles Risiko und doppelte Arbeit

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Die Selbständigkeit wird derzeit gerne als Wundermittel gegen die Arbeitslosigkeit gepriesen. Wer das in Betracht zieht, muß reiflich überlegen und genau planen.

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Die Selbständigkeit wird derzeit gerne als Wundermittel gegen die Arbeitslosigkeit gepriesen. Wer das in Betracht zieht, muß reiflich überlegen und genau planen.

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Trau Dich", rät die Wirtschaftskammer potentiellen Jungunternehmern. Das Land braucht mehr Selbständige, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen, sagen Politiker. Die oft versprochenen Gründeroffensiven bleiben allerdings aus, scheitern an koalitionären Streitereien. Notwendige Verbesserungen - Steuererleichterungen, Reduzierung bürokratischer Hürden und Finanzierungshilfen - sind nicht in Sicht.

Unternehmer braucht das Land trotzdem. Und so hat die Politik für das Dilemma der Arbeitslosigkeit auch gleich das Wundermittel "Selbständigkeit" parat. Besonders "unvermittelbare, ältere Arbeitslose" sollten dies in Betracht ziehen, heißt es. Haben sie Chancen? Jein.

Jungunternehmer kann man sowohl mit 20 als auch noch mit 50 werden. Leicht hat man es wohl nie. Schlagworte wie bürokratische Hürden, steuerrechtliche Schikanen, fehlendes Kapital und enormes Risiko werden damit verbunden.

Nur die, die den berühmten Sprung ins kalte Wasser wagen und auch bei eisiger Kälte auf langer Strecke ihre Tempi, eins nach dem anderen, durchziehen - 24 Stunden und sieben Tage in der Woche -, werden das ersehnte Land erreichen. Ein hoher Preis. Aber dieses einzigartige Gefühl, es geschafft zu haben, sein eigener Herr zu sein, eigenverantwortlich handeln zu können und nicht von Vorgesetzten wegen innovativen Ideen belächelt zu werden, etwas geschaffen zu haben und nicht tatenlos zu Hause auf die nächste Überweisung der Arbeitslose zu warten, ist die Strapazen wert - meinen die, die es geschafft haben.

Gründerbeihilfen und kostenlose Beratung Wie läuft die Unternehmensgründung ab, wenn man arbeitslos gemeldet ist? "Prinzipiell obliegt es dem Berater beim Arbeitsmarktservice (AMS), jemanden einer Stiftung zuzuweisen", erklärt Christa Pregartner vom Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF) den Modus. Wer also mit seiner Idee zum AMS-Berater kommt, erhält eine Gründermappe und kann sich zur Jungunternehmer-Beratung anmelden. Innerhalb von vier Wochen werden die Realisierungschancen geprüft. Insgesamt sechs Monate hat der Jungunternehmer in spe dann Zeit, das Projekt zu verwirklichen. In dieser Zeit bekommt er eine Gründerbeihilfe in der Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes.

Daß ein halbes Jahr zur Unternehmensgründung sehr kurz ist, weiß Patrizia Markus, selbst Unternehmerin mit einer Schneiderei in Wien und gleichzeitig Vorsitzende der Jungen Wirtschaft in Wien. "Da muß man die Zeit für alle Beratungen gut nützen und planen. Wichtig ist auch, so lange es geht, alle kostenlosen Beratungen in Anspruch zu nehmen. Denn wenn man selbständig ist, kostet alles etwas", weiß sie aus Erfahrung zu berichten. "Als ich gegründet hab', hat es so eine Jungunternehmerberatung noch gar nicht gegeben. Jetzt ist das schon viel besser organisiert."

Bei der Gründerberatung wird mit dem Arbeitslosen über Ausbildung, Fortbildung, Erfahrungen, Neigungen und persönliche Eigenschaften gesprochen. Dann folgen die Spielregeln der anvisierten Branche und die Festlegung des Zielpublikums. Die weiteren Schritte sind Abklärung von Rentabilität, Kapitalbedarf, Finanzierung und Förderungsmöglichkeiten. Zu guter Letzt wird das Konzept fertiggestellt und dann folgt der Pilgerweg zur Bank.

Viele scheitern in den ersten drei Jahren In den Gründerprogrammen werden jene Arbeitslose angesprochen, die im Verlauf der AMS-Beratung Interesse an einer selbständigen Tätigkeit zeigen. Zur Zielgruppe gehören konkret jene arbeitssuchenden Menschen, die eine Projektidee haben, die wesentliche fachliche und persönliche Voraussetzungen erbringen, nicht länger als zwölf Monate arbeitslos waren und über Kapital verfügen.

Mit Förderungen darf man nicht rechnen, rät Markus. "Man sollte es auch ohne schaffen". Aber gerade die Finanzierung stellt für die meisten Unternehmensgründer - besonders aus der Arbeitslosigkeit - das größte Problem dar. "Gerade Existenzgründer sind kostenmäßig und vor allem von den administrativen Belastungen der unternehmerischen Selbständigkeit überproportional betroffen, da sie meist über geringere finanzielle und personelle Ressourcen verfügen und keine Routine im Tagesgeschäft haben," weiß Klaus Hierzenberger, Geschäftsführer des Kreditschutzverbandes. Vielen fehlt von vornherein das Geld, ihr Produkt auf den Markt zu bringen. Denn bei Banken gelten innovative Projekte als zu risikoreich und deshalb nicht kreditwürdig. Kreditinstitute wollen Sicherheit, die junge Unternehmer - noch dazu, wenn sie als ehemalige Unselbständige arbeitslos sind - nicht beibringen können. Um so mehr zählt daher ein sicheres, vertrauenswürdiges Auftreten und ein professionell erstellter Business-Plan, wissen Berater. Es kommt also einmal mehr darauf an, wie gut man sich und sein Konzept bei den Geldgebern verkaufen kann.

Klappt die Gründung, muß man besonders in den ersten Jahren auf der Hut sein. "Denn dann wird man mit vielen Dingen konfrontiert, mit denen man nie gerechnet hat. Dinge wie unglaublich hohe Stromrechnungen oder Zahlungsschwierigkeiten von Kunden. Das bringt einen leicht aus der Fassung", warnt Patrizia Markus. Auch Schuldnerberater Ferdinand Herndler weiß, daß "die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit bei mehr als 20 Prozent der Klienten zu einem nicht mehr bewältigbaren Minus auf dem Konto führt. Nicht selten erfolgt die Gründung eines Unternehmens ohne finanzielle Reserven, die Leute sind zur Gänze auf Fremdfinanzierung angewiesen, - und weil es an Sicherheiten mangelt, sind diese Unternehmer gezwungen, auf Familie oder Partner in Form von Bürgschaften zurückzugreifen." Dazu komme, daß diese Bürgen oft zu wenig über die tatsächliche Vermögenslage des Schuldners informiert sind, "dessen Zahlungsunfähigkeit zieht häufig auch die Überschuldung der Bürgen nach sich". Patrizia Markus: "Es ist notwendig, durch effiziente steuerliche Maßnahmen den Jungunternehmern unter die Arme zu greifen, wo es in der ersten Phase der Unternehmensgründung am notwendigsten ist, nämlich bei Investitionen, Sicherung der Liquidität und dem Aufbau von Eigenkapital."

Eine weitere Hürde ist der Gewerbeschein und der damit verbundene Behördendschungel. Eine Gewerbeberechtigung ist für jede gewerbliche Tätigkeit erforderlich. Und gewerbsmäßig ist eine Tätigkeit dann, wenn sie selbständig, regelmäßig und in Ertragsabsicht durchgeführt wird. Zu den allgemeinen Voraussetzungen für eine Gewerbeberechtigung gehört die Österreichische Staats- beziehungsweise EU-Bürgerschaft, Eigenberechtigung, keine Ausschließungsgründe wie Konkurs, Finanzstrafdelikte und gerichtliche Verurteilungen, weiters ein geeigneter Standort und allenfalls eine Betriebsanlagengenehmigung. Damit verbunden sind Spießrutenläufe von einem Magistrat zum anderen: Verschiedene Behördenzuständigkeiten, widersprüchliche Auskünfte, lange Wartezeiten, mangelnde Flexibilität und Serviceorientierung beklagen Österreichs Gründer. Eine Bewilligung jagt die andere, eine Stempelmarke nach der anderen wird geklebt. Das gelegentliche Motivationstief des Jungunternehmers scheint unvermeidbar. Durchhalten lautet die Devise.

Eine Bewilligung jagt die andere Dem allgemeinen Trend entsprechend liegen Dienstleistungsunternehmen mit 63 Prozent an erster Stelle neu gegründeter Unternehmen. 24 Prozent entscheiden sich für den Handel und 13 Prozent eröffnen einen Betrieb im verarbeitenden Gewerbe und Handwerk. Männer wagen den Sprung in die Selbständigkeit fast dreimal so oft wie Frauen. Fast die Hälfte der Gründer sind zwischen 30 und 40 Jahre alt.

Insgesamt kommen etwa ein- bis eineinhalb Prozent der Arbeitslosen für eine Unternehmensgründung in Frage, so Thomas Reichenbach vom WAFF und AMS. Zu den Voraussetzungen gehören fachliches Können und unternehmerischer Instinkt, Branchenerfahrung und kaufmännische Grundkenntnisse. Denn gerade an Lücken in den Bereichen Buchhaltung, Kostenrechnung und Betriebsführung scheitern viele. Zu den notwendigen persönlichen Eigenschaften zählen Beharrlichkeit, keine Scheu vor Druck und Streß, Krisen und Konflikten, Lust auf Eigenständigkeit und Veränderung, Flexibilität, Organisationstalent und Verantwortungsbewußtsein.

"Nicht jeder ist zum Selbständigsein geschaffen", sagt Jungunternehmerin Markus. "In manchen Zeiten fragt man sich, warum man sich das antut. Denn es ist irrsinnig zeitintensiv, der Freundeskreis ändert sich. Es ist wunderschön, aber anstrengend und bedarf guter Überlegung, besonders mit der Familie."

Den meisten Selbständigen in Österreich geht es darum, sich selbst zu verwirklichen. Aber das bedeutet etwa auch, daß man nicht einfach auf Urlaub gehen kann. Man hat doppelte Arbeit und volles Risiko, so die Erfahrungen der Berater und Unternehmer.

Prinzipiell räumt Berater Thomas Sonnleitner Arbeitslosen, die sich selbständig machen wollen, ganz gute Chancen ein. "Es ist eine weitverbreitete Meinung, daß Arbeitslosigkeit und Selbständigkeit nicht zusammenpassen - aber es paßt doch. Ich weiß aus Erfahrung, daß jene, die aus der Arbeitslosigkeit gründen, gute Chancen haben. Sie haben nämlich Zeit, sich ordentlich vorzubereiten. Wichtig ist eben, genau zu planen, das macht die Erfolgschancen transparenter und vermindert das Risiko."

Furche-Tip Die Internet-Homepage "http://www.yen.at" ist eine umfassende und hilfreiche Plattform für Jungunternehmer.

Nächste Woche im Teil 8: * Erfolgreiches, privates Konzept für alleinerziehende Mütter.

* Was ist neu seit der letzten Sozialversicherungsnovelle?

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