Konkursfalle Ich-AG
Statistisch schwer zu fassen, ist ihre Situation oft prekär: Bis zu 38.000 Menschen leben in Österreich eine teils unfreiwillige Selbstständigkeit.
Statistisch schwer zu fassen, ist ihre Situation oft prekär: Bis zu 38.000 Menschen leben in Österreich eine teils unfreiwillige Selbstständigkeit.
Startkapital! Das ist, kurz und bündig, was vielen "Neuen Selbstständigen“ und Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) fehlt; was sie deutlich vom klassischen Unternehmer unterscheidet, der sich nicht zuletzt durch Investment - auch in Dienstnehmer - auszeichnet. An diesem Punkt setzt die Förderung des Sozialministeriums an, deren Erweiterung auf das Burgenland und Niederösterreich nach einjähriger Probephase in der Steiermark und Wien dieser Tage verkündet wurde.
Wichtigste Partner des Ministeriums sind ÖSB Consulting und das Austria Wirtschaftsservice (aws), dessen Geschäftsführer Johann Moser das Prinzip der neuen "Mikrokredite“ erläutert. 1,4 Millionen Euro habe Sozialminister Rudolf Hundstorfer im Pilotversuch seit Mai 2010 bereitgestellt, von denen bis zu 12.500 Euro pro Business-Plan vergeben werden.
12.500 Euro für den Businessplan
50 Ideen hat ÖSB bislang als umsetzungswürdig betrachtet, zur betriebswirtschaftlichen Analyse an das aws geschickt, wonach sie mit einer Finanzierungsempfehlung an Hundstorfers Ressort weitergingen. 15 weitere Projekte - und damit komme der ganze Plan zu tragen - wurden durch die Erste Bank als Privatsponsor möglich. Insgesamt flossen, bei einer Durchschnittsförderung von 11.200 Euro, 730.000 Euro.
Interessant sind die Rahmenbedingungen für potenzielle Gründer allemal: Die Fixverzinsung liegt knapp über vier Prozent, bei einer Laufzeit von fünf Jahren und im ersten Jahr tilgungsfrei. "Wenn das Unternehmen gut läuft, kann der Kredit bedient werden“, sagt Moser. "Läuft es schlecht, wird die Selbstständigkeit beendet.“ Der Kredit wird dann aus dem Unternehmensnachlass bedient - oder dem Schuldner zur Gänze erlassen.
Im Klartext: Als einzige Sicherheit für den Kreditgeber fungiert die Qualität des vorgelegten Businessplans. Immerhin stehe über dem Ganzen ein wichtiger Vorsatz: "Es darf keine Gefährdung für den Kreditnehmer entstehen. Niemand soll dadurch von Armut bedroht sein“, so Moser.
Bei 37 Ablehnungen im ersten Jahr seien gut ein Drittel der 65 bewilligten Kredite in die Sparte Handel und Vertrieb gegangen. Der Rest verteilt sich u. a. auf Gastronomie, Tourismus, EDV, Marketing und Werbung. Vor allem für reine Dienstleister wäre die Vollausschöpfung des Kreditrahmens von 12.500 Euro "ordentlich“. In freudiger Erwartung weiterer Sponsoren sollen künftig bundesweit 250 Selbstständige pro Jahr gefördert werden.
Das klingt soweit einfach - ist es aber nach Adam Riese für weniger als ein Prozent der jährlich gut 30.000 Neugründungen im Land. Unter diesen finden sich laut Mosers Definition drei Typen von Unternehmern: jene, die von klein auf den Wunsch nach einer selbstständigen Tätigkeit haben und in der Finanzierung ihres Plans so einfalls- wie erfolgreich sind.
Zweitens "Hochtechnologiegründer“, die sich "überwiegend aus Absolventen einer HTL oder eines technischen Studiums rekrutieren“. Typisch sei dabei der Versuch, eine Produktinnovation zu verwerten. Dafür sei zwar meist schon in einer frühen Phase eine hohe Investition nötig. Aufgrund des zu erwartenden Erfolgs wäre die Grundfinanzierung jedoch vergleichsweise einfach zu bekommen. Bleibt nach Moser die dritte Gruppe: "Menschen, die - unter Anführungszeichen - in die Selbstständigkeit gedrängt werden.“
Viel Kritik, keine Änderung
2005 ergab der "Forschungsbericht Neue Selbstständige“ der Lechner, Reiter und Riesenfelder Sozialforschung OEG, dass diese "zum überwiegenden Teil nicht freiwillig“ selbstständig sind. Diese Tätigkeit werde durch die Arbeitsmarktsituation erzwungen: "Für die Hälfte der Befragten ist ein reguläres Beschäftigungsverhältnis das Ziel.“ Erhoben wurden die Daten unter 300 solcher "Unternehmer“ (davon 125 weiblich), von denen ein großer Teil ihre Situation als "problematisch“ sah.
Grund waren u. a. "große Schwankungen beim Einkommen und der Arbeitszeit“ sowie ein unterdurchschnittlicher Verdienst, wie der Österreichische Gewerkschaftsbund bereits 2002 in einer umfangreichen Studie mit mehr als 500 Betroffenen feststellte. In dem seither vergangenen Jahrzehnt habe sich, wie eine Nachfrage ergab, wenig geändert.
Zwar wurden 2008 freie Dienstnehmer - also jene, die gleich herkömmlichen Arbeitnehmern hauptsächlich für einen Dienstgeber arbeiten - in die Pflichtversicherung der Gebietskrankenkassen (GKK) genommen. Sie müssen sich nicht mehr selbst bei der Sozialversicherung der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) anmelden.
Damit ist nämlich die bekannte Unsicherheit bezüglich der Beitragshöhe verbunden, die sich am Jahresbruttoverdienst orientiert. Woraus oft enorme, für den Laien schwer kalkulierbare Nachzahlungen resultieren - oder, umgekehrt gedacht, die Notwendigkeit monatlicher Rücklagen, die jedoch nicht erwirtschaftet werden. Krankengeld und eine Arbeitslosenversicherung gibt es hingegen für (Neue) Selbstständige nicht. Wer Dienstleistungen aber für wechselnde Auftraggeber erbringt, dem bleibt bis heute gar keine Wahl.
Ob man nun ein EPU ist, was in der gängigen Definition den Gewerbeschein voraussetzt, oder ein "Neuer Selbstständiger“ im freien Gewerbe: die Belastung ist hoch. Im Vergleich zum Netto eines Arbeitnehmers müssten diese Personen das Zwei- bis Dreifache einnehmen, um ihren Lebensunterhalt ähnlich gut bestreiten zu können, sagt Doris Lutz von der Wiener Arbeiterkammer (siehe Interview). Die freien Dienstnehmer, denen nach Abzug der GKK die Versteuerung des "falschen Netto“ bleibt, sind dabei mitgemeint.
Besser als arbeitslos ...
Die Lohnnebenkosten sind bekanntlich hoch, Arbeitgeber stellen mit abnehmender Begeisterung Leute an. Die klassische Erwerbskarriere wird seltener, sagt auch die Wirtschaftskammer. Vorsichtig wird bestätigt, dass EPUs und Neue Selbstständige sich oft im Prekariat bewegen - wobei valide Einkommensstatistiken fehlen. Einzelunternehmer würden den Zustand oft als vorübergehend sehen, und wachsam eine Alternative suchen: die Anstellung.
Um ihre Situation zu verbessern, hat der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV) die Kampagne "Fairsicherung!“ gestartet, die u. a. die Abschaffung des 20-prozentigen SVA-Selbstbehalts fordert. SWV-Präsident Christoph Matznetter sagte bei der Präsentation im April, dass Österreich "eines der besten Sozialsysteme hat - aber nicht für Selbstständige“. Wie in vielen Bereichen des Lebens sind wieder Frauen besonders im Nachteil. Sie können sich oft den gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz nicht leisten, kritisiert Matznetter: "Das Wochengeld beträgt nur 26 Euro pro Tag. Mütter in einem Angestelltenverhältnis erhalten das Nettogehalt der letzten drei Monate.“ Bleibt zum Ende ein oft gehörtes Argument pro Neuer Selbstständigkeit: Der Zustand ist immer noch besser als arbeitslos zu sein.
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