Das ganze Arbeitsrecht gilt für "Freie""

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Die Unternehmen profitieren von der Flexibilität der atypisch Beschäftigten. Eine faire Gegenleistung, also ausreichendes Entgelt und soziale Absicherung, fehlt aber bei vielen der neuen Beschäftigungen.

Mehr als 200 Produktpräsentatorinnen, die für eine Event-Agentur auf Werkvertragsbasis arbeiteten, zittern um ihren "Lohn", nachdem das Unternehmen pleite ist. Geld aus dem Entgeltsicherungsfonds, der bei unselbstständiger Beschäftigung einspringt, gibt es für diese Betroffenen nicht. Sie gelten als "Neue Selbstständige" und auch arbeitslosenversichert waren sie als Werkvertragsnehmerinnen nicht. Beispiele wie dieses sind kein Einzelfall. Fast jede/r Dritte ist hierzulande bereits "atypisch". Beschäftigungsformen, die von der unbefristeten Vollzeitarbeit, dem so genannten Normalarbeitsverhältnis, abweichen, sind bei den Unternehmen "in". Ob Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, befristete Jobs, Werkverträge oder Freie Dienstverträge - die Zahl der flexibel Arbeitenden steigt rasant.

Die atypische Beschäftigung rentiert sich für die Unternehmen - für die Beschäftigten gilt das nur bedingt. Die Einkommenssituation vieler atypisch Beschäftigter ist prekär, die soziale Absicherung oft nicht genügend.

Kaum besser als die Werkvertragsnehmer, die ganz als Selbstständige gelten, sind die Freien Dienstnehmer dran. Weihnachts- und Urlaubsgeld, Mindestlöhne oder Kündigungsschutz, kurz gesagt, das ganze Arbeitsrecht gilt auch für die "Freien" nicht. Ihr sozialer Schutz ist ebenfalls beschränkt. Zwar zahlen bei dieser Mischform zwischen selbst- und unselbstständiger Beschäftigung die Unternehmen die Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherung. Krankengeld und Arbeitslose bekommen aber auch die "Freien" nicht.

Kein Wunder, dass Wirtschaftsminister Bartenstein die Studie "Atypische Beschäftigungsverhältnisse", die die prekäre Lage der "Freien" wiederspiegelt, erst nach langem Zaudern präsentierte. Mehr als die Hälfte der Freien DienstnehmerInnen wünscht sich eine andere Beschäftigungsform, heißt es in der Studie. Und weiter: Im Schnitt verdienen "Freie" gerade 354 Euro monatlich.

Noch alarmierender ist die Situation der geringfügig Beschäftigten, von denen über 70 Prozent weiblich sind. Laut Studie "lukrieren" sie im Durchschnitt aus ihrem "McJob" gar nur 113 Euro monatlich. Die Armutsgefährdung beider Gruppen ist erschreckend hoch: 27 Prozent der "Freien" und 37 Prozent der "Geringfügigen" sind, selbst bei Anrechnung anderer Haushaltseinkommen, von Armut bedroht.

Angesichts dieser Zahlen geradezu beschämend sind manche Vorschläge aus Wirtschaft und Politik zur atypischen Beschäftigung. Finanzminister Grasser will die "Freien" aus Verwaltungsvereinfachung einfach abschaffen; der freiheitliche Finanzsprecher Böhacker präzisiert: Auftraggeber und Beschäftigter sollen sich in Hinkunft selbst "ausmachen", wer als selbstständig und wer als Angestellter angemeldet wird. Aus unserer Beratung für atypisch Beschäftigte wissen wir, dass viele Auftraggeber die Freien Dienstverträge schon jetzt zur Umgehung "normaler" Arbeitsverhältnisse missbrauchen. Hätten die Unternehmen gänzlich Wahlfreiheit, würden noch mehr Menschen in der Scheinselbständigkeit landen.

Nicht eine Deregulierung, sondern eine deutlichere Grenzziehung zwischen Selbständigen und Unselbständigen ist nötig. Als Arbeitnehmer gelten sollte jeder, der wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig ist. Freie Dienstnehmer und "abhängige" Werkvertragsnehmer brauchen vollen sozial- und arbeitsrechtlichen Schutz. Einer besseren Absicherung bedürfen auch die geringfügig Beschäftigten. Sie sind nicht arbeitslosenversichert und nur auf freiwilliger Basis in die Kranken- und Pensionsversicherung einbezogen. Umfassende soziale Rechte sind auch hier das Ziel.

Die Autorin ist ÖGB-Sozialexpertin.

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