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Atypisch Beschäftigte erobern den Arbeitsmarkt. Ohne soziale Absicherung.

Anfangs war der 27-jährige Student sehr zufrieden. Wer hätte auch mit einem Unfall rechnen können? Der Wiener hatte ein Jahr zuvor einen Job als Fahrradbote gefunden, mit dem er bei freier Zeiteinteilung sein Studium finanzieren konnte . In Prüfungszeiten weniger arbeiten und dafür in stressfreien Zeiten mehr, das kam ihm sehr entgegen. Über die Art des Vertrages, den er mit dem Kurierdienst abgeschlossen hatte, machte er sich nicht viele Gedanken. Er erledigte die ihm zugeteilten Aufträge, dafür war bis Mitte des nächsten Monats der vereinbarte Geldbetrag auf seinem Konto. Eine für beide Seiten zufriedenstellende Situation. Wäre da nicht eben die Sache mit dem Unfall gewesen: Eine kleine Unachtsamkeit an einer Kreuzung und der daraus resultierende heftige Kontakt mit der Stoßstange eines Pkw bescherte ihm einige gebrochene Knochen. Mehrere Monate lang war an radfahren nicht zu denken. Was in seinem Fall bedeutete: keine Aufträge, kein Geld. Bald wusste er nicht mehr, wovon er die Miete zahlen sollte.

In dieser Situation, mit Gipsfuß und überzogenem Konto, wandte er sich an Elisabeth Rolzhauser, Sozialrechtsexpertin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Im Rahmen des Projektes "Flexpower", das gemeinsam mit der Arbeiterkammer Wien durchgeführt wird, berät Rolzhauser freie Dienstnehmer und neue Selbstständige in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen.

Frei und ungebunden

Hinter dem neuen Selbstständigen verbirgt sich dabei nichts anderes als ein Werkvertragsnehmer. Mit einem freien Dienstnehmer hat er einiges gemeinsam: Beide sind nicht in die Organisation des Unternehmens, für das sie tätig sind, eingebunden. Sie sind weder an bestimmte Arbeitszeiten oder -orte noch an Weisungen gebunden. Beim Werkvertrag wird jedoch ein Erfolg, also etwa ein bestimmtes Produkt, geschuldet. Ist er erbracht, endet der Vertrag. Im Gegensatz dazu schuldet der freie Dienstnehmer nicht nur ein bestimmtes Ergebnis, sondern seine Arbeitskraft, er ist mit dem Dienstgeber in einem Dauerschuldverhältnis verbunden.

Im Rahmen von Flexpower entstand eine Studie zur Situation dieser atypisch Beschäftigten, die ein klares Bild zeigt: Die Betroffenen sind großteils unzufrieden. Sie kommen vor allem aus dem kaufmännischen Bereich, aus dem Journalismus, der Erwachsenenbildung, dem Marketing oder der EDV, sind großteils zwischen 26 und 35 Jahre alt und haben Matura oder ein abgeschlossenes Studium. Zum überwiegenden Teil berichteten die Betroffenen in der Beratung von großen Arbeitszeit- und Einkommensschwankungen, mehr als die Hälfte sah vor allem in der fehlenden sozialen Absicherung ein großes Problem. Denn Kranken- und Arbeitslosengeld gibt es für die Betroffenen nicht.

Aber auch andere Vorteile, die echte Dienstnehmer haben, werden den atypisch Beschäftigten nicht zuteil. Weder haben sie Anspruch auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld noch auf Abfindungen oder Mindestlöhne. Was für den Dienstgeber natürlich erheblich günstiger ist.

Nach Angaben des ÖGB verdienen etwa 50.000 Erwerbstätige im Rahmen solcher Verträge ihr Geld. "Davon sind die Hälfte Umgehungsverträge", schätzt Rolzhauser. Was heißt, dass die Voraussetzungen für ein reguläres Dienstverhältnis gegeben sind, nur gibt es eben keinen regulären Dienstvertrag. Der Kosten und größeren Flexibilität wegen.

Sozialhilfe als letzte Rettung

So wie im Fall des Wiener Fahrradboten, der als neuer Selbstständiger unterwegs war. Rolzhausen konnte ihm nur raten, um Sozialhilfe anzusuchen. Zwar wäre es auch möglich, durch die Gebietskrankenkasse oder das Arbeitsgericht prüfen zu lassen, ob nicht doch ein echtes Dienstverhältnis vorliegt. Aber wer macht das schon, mit dem Risiko, in der Folge den Job zu verlieren? Zudem bestehe bei Fahrradboten meist tatsächlich keine persönliche Abhängigkeit vom Dienstgeber. Eine wirtschaftliche allerdings schon. Und genau das sei das Problem beim Begriff des atypisch Beschäftigten: "Das Gesetz stellt auf die persönliche Abhängigkeit ab. Ist sie gegeben, liegt ein echter Dienstvertrag vor", fasst Rolzhauser zusammen. "Wir fordern aber, dass auf die wirtschaftliche Abhängigkeit abgestellt wird bei der Definition eines echten Dienstnehmers." Wer wirtschaftlich von einem Arbeitgeber abhängig sei, solle auch in den Genuss der Arbeits- und Sozialrechte kommen.

Wirtschaftlicher Widerstand

Der Widerstand der Wirtschaft kommt postwendend. Denn Harald Kaszanits, Referent für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer Österreich, stützt sich auf andere Zahlen als der ÖGB: Eine Studie des Wirtschaftsministeriums ergab, dass nur vier Prozent der freien Dienstnehmer mit ihrer Situation unzufrieden seien. "Viele sogenannte Atypische sehen ihre Tätigkeit als Einstieg in den Job, mit dem sie zusätzliche Fertigkeiten erwerben können", ist Kaszanits sicher. Zudem bestünde in vielen Fällen ohnehin eine sozialrechtliche Absicherung auf anderer Grundlage, etwa weil der freie Dienstvertrag nur ein Nebenjob zum Studium oder der Pension sei oder weil zusätzlich ein reguläres Arbeitsverhältnis bestünde. Gesetzlichen Änderungsbedarf sieht der Referent keinen: "Für die Wirtschaft ist es wichtig, in Spitzenzeiten schnell auf Arbeitskräfte zurückgreifen zu können. Und umgekehrt wollen die Arbeitskräfte flexibel sein und sich ihre Zeit selbst einteilen können."

Dem Wiener Fahrradboten mit Gipsbein nützt diese Freiheit derzeit nicht viel. Und wenn er es sich aussuchen könnte, würde er künftig lieber darauf verzichten. Zugunsten einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

WEITERE INFORMATIONEN

www.oegb.at/flexpower/flexpower.html

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