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Digital In Arbeit

Sackgassen des Wohlfahrtsstaates

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Die Absicht, schwächere Bevölkerungskreise sozialrechtlich abzustützen, führt häufig nicht selten zum Gegenteil, nämlich zu besonderen Schwierigkeiten bei ihrer Eingliederung in den Arbeitsprozeß. Dieser „Bumerang-Effekt“ ist eines von vielen Symptomen der Sackgasse, in die der moderne Wohlfahrtsstaat geraten ist. Dazu einige Beispiele aus der Praxis.

Der Heimarbeit und der in diesem Rahmen Beschäftigten kam einst eine große volks- und arbeitsmarktpolitische Bedeutung zu. Seit dem Inkrafttreten des Heimarbeitsgesetzes hat deren Bedeutung zunehmend abgenommen. Sicherlich war hiefür die Entwicklung moderner Technologien mitbestimmend.

Ein wesentlicher Grund für den Rückgang der Heimarbeit liegt jedoch auch im Heimarbeitsgesetz selbst, das nicht nur die Auftraggeber durch zahllose bürokratische Vorschriften administriell überfordert, sondern diese auch durch die Unübersichtlichkeit der Heimarbeitstarifregelungen vor zahlreiche finanzielle Probleme stellt. Diese treten meist erst nach Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses auf und können nicht mehr in den Preisen einkalkuliert werden. Auch selbständige Zwischenmeister (Stückmeister) fallen unter das Heimarbeitsgesetz mit allen sozialen „Errungenschaften“. Vielfach ist in der Praxis zu beobachten, daß viele dieser Personen ihre Stückmeistereigenschaft den Auftraggebern gegenüber erst gar nicht bekanntgeben oder überhaupt verschweigen.

Sinn einer Sozialgesetzgebung kann dies aber keinesfalls sein. Dabei wäre vielfach, vor allem bei Frauen mit Familienpflichten, durchaus die Bereitschaft zur Übernahme von Heimarbeiten gegeben. Dies scheitert aber an der mangelnden Einstellungsbereitschaft einer abgeschreckten Auftraggeberschaft.

Auf der gleichen Linie liegt die Beschäftigung von Hausgeniifen. Auch hier wird zunächst die Bürokratie über Gebühr strapaziert, wenn etwa der Hausgehilfin bei Begründung des Dienstverhältnisses ein genau vorgeschriebener „Dienstschein“ - also ein schriftlicher Dienstvertrag - zu übergeben ist, der bei Jugendlichen auch vom gesetzlichen Vertreter unterschrieben werden muß. Auch Abän-

derungen und Ergänzungen der Rechte und Pflichten bedürfen der Schriftlichkeit.

Überdies hat der Dienstgeber der Hausgehilfin bei Begründung des Dienstverhältnisses eine Ausfertigung des Gesetzes in jeweils geltender Fassung sowie allfällig anzuwendende Kollektivverträge oder Min-destlohntarife zu übergeben.

Ähnlich verhält es sich bei der Ausdehnung des Kündigungsschutzes für invalide Arbeitnehmer. Es mag unpopulär klingen, muß aber in diesem Zusammenhang gesagt werden: Bis zur Novelle 1975 des InvEG unterlagen nur in sogenannten ein-stellungspflichtigen Betrieben - Betriebe mit mehr als 25 Dienstnehmer - beschäftigte Invalide einem besonderen Kündigungsschutz.

Nunmehr unterliegen alle Betriebe, auch wenn sie zur Einstellung von invaliden Dienstnehmern keineswegsverpflichtet sind, diesen starren Kündigungsvorschriften. Es liegt auf der Hand, daß die Ausweitung eines vermeintlichen Schutzes gerade das Gegenteil zeitigt, denn wer mag es besonders kleineren und mittleren Unternehmern verdenken, wenn sie unter diesen Umständen im Interesse betrieblich notwendiger Flexibilität auf die Einstellung dieser besonders kündigungsgeschützten Personen verzichten und lieber wägbare Ris-keri eingehen?

Die Sozialgesetzgebung zeigt wenig Ehrgeiz, aus diesen Fehlern zu lernen. Dies zeigt sich am derzeitigen Entwurf eines Entgelt-Sicherungsgesetzes, der zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit keineswegs beitragen wird. Dient es wirklich dem Arbeitnehmer-Schutzgedanken, wenn der Arbeitnehmer für grobe Fahrlässigkeiten bei seinen Dienstverrichtungen entschuldigt werden kann?

Ein anderes Beispiel ist die Forderung nach Einführung der gleichen Abfertigung für Arbeiter, wie sie auch für die Angestellten besteht. Die Abfertigung ist ein überholtes Relikt, das in den frühen zwanziger Jahren Berechtigung gehabt haben mag. Sie ist heute struktur- und arbeitsmarktpolitisch fragwürdig geworden, weil sie nicht nur die Mobilität hemmt, sondern auch zur Freisetzung von Dienstnehmern führen kann, deren Abfertigungsansprüche für den Betrieb untragbar werden. Wem nützt das?

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