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Digital In Arbeit

Verurteilt zur Arbeit im Abseits ?

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Schwedens verantwortlicher Minister für Behindertenfragen ist blind. In Österreich verlagert man die Probleme dieser Randgruppen derzeit auf das ideologische Kampffeld.

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Schwedens verantwortlicher Minister für Behindertenfragen ist blind. In Österreich verlagert man die Probleme dieser Randgruppen derzeit auf das ideologische Kampffeld.

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Seit 1. Jänner werden die Unternehmer verstärkt zur Kasse gebeten, um Solidarität mit besonders Benachteiligten, den Behinderten, — wenigstens finanziell — unter Beweis zu stellen. Die Invaliden-Ausgleichstaxe (siehe Kasten) wurde von 760 auf 1.500 Schilling monatlich erhöht.

Beträchtliche Mittel des Ausgleichstaxfonds werden dazu verwendet, um das umfassende Be-

hindertenkonzept des Sozialministeriums (1977) zu verwirklichen: Invalide sollen am Arbeitsmarkt integriert werden.

Hauptpunkte dieses Program-mes: Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten, finanzielle Hilfe für Betriebe, die behinderte Menschen einstellen, Ausbau Geschützter Werkstätten, wo unter betriebsähnlichen Bedingungen invalide Menschen arbeiten können.

Viel Geld floß in den Fonds; großzügig flössen indes auch die Mittel für die Verwirklichung des Konzeptes, hinkten in den letzten Jahren die Einnahmen hinter den Ausgaben her (1984 standen 132 Millionen Schilling Einnahmen rund 212 Millionen Ausgaben gegenüber).

Inzwischen ist auch die Verwendung des Fonds-Inhaltes zu einem politischen Zankapfel geworden. Der Behindertensprecher der ÖVP beispielsweise, Gottfried Feurstein, registriert eine nach seiner Auffassung ungünstige Prioritätensetzung für die Behinderten bei der Geldvergabe. Die Geschützten Werkstätten — anfangs nur als Zwischenstation für Behinderte gedacht, die noch keinen Job gefunden haben — entwickelten sich immer mehr zu einem Ghetto. Wenig Anstrengungen würden unternommen, Invalide ins „normale" Wirtschaftsleben zu integrieren. Die Statistik beweise das: Die geschätzten Ausgaben für 1985 be-

tragen für die rund 30.000 in der Wirtschaft beschäftigten invaliden Arbeitnehmer 60 Millionen Schilling. Die Ausgaben für die derzeit 650 Behinderten in Geschützten Werkstätten schlagen mit 90 Millionen zu Buch.

„Ein krasses Mißverhältnis" kritisiert auch Günter Stummvoll von der Industriellenvereinigung. Für die schwarzen Sozialpolitiker ein Ausdruck sozialistischer Vorsorgementalität. „Der Staat sorgt zwar durch Umverteilung für behinderte Menschen. Sie können als Tischler oder Mechaniker arbeiten. Allerdings wie unter einem Glassturz, ausgeschlossen von ihrer Umwelt" (Feurstein).

Hinter diesen hohen Ausgaben für Geschützte Werkstätten verstecken sich aber vielschichtige Probleme. Leopold Wollein, Fonds-Verwalter des Sozialministeriums: „Die Behindertenverbände klagen über ein Ansteigen arbeitsloser invalider Menschen und fordern wirksameren finan-

ziellen Druck auf die Unternehmer (17.000 von 33.000 Plätzen in einstellungspflichtigen Betrieben sind unbesetzt). Es gibt Vorurteile gegen behinderte Arbeitnehmer, obwohl gerade sie oft einen besonderen Ehrgeiz entwickeln, Arbeitsleistungen zu erbringen, die sie nicht von einem Gesunden unterscheiden. Für viele — vor allem geistig Behinderte — ist die Behindertenwerkstatt nicht Durchgangs-, sondern Endstation. Sie sind nicht zu vermitteln.

Andererseits wollen die Länder mehr Geschützte Werkstätten, um wenigstens langzeitarbeitslo-se Behinderte aus der Statistik zu mogeln."

Die ÖVP-Sozialpolitiker indes sehen die Ursache für diese finanzielle Entwicklung zugunsten der Geschützten Werkstätten im überaus starken Kündigungsschutz. Ein Dienstverhältnis kann nur mit Zustimmung des jeweiligen Invalidenausschusses beim Landesinvalidenamt gelöst wer-

den. Und auch nur dann, wenn der Arbeitnehmer ein besonders krasses Fehlverhalten an den Tag legt. „Dieser Schutz", so Stummvoll, „ist fast schon zum Bume-rang für seine Erfinder geworden."

Laut Statistik wurden 1984 276 Anträge auf Kündigung gestellt, nur in 29 Fällen gab der Ausschuß seine Zustimmung, 16 wurden abgewiesen. Die überwiegende Zahl der Unternehmer zog indes vorzeitig ihren Antrag zurück. Entweder weil sich das Verfahren für

sie als aussichtslos und zeitraubend herausstellte, oder weil sich die beiden Kontrahenten auf finanzielle Abfertigung oder auf sonstige Ubereinkünfte einigten.

Allein die Aussicht auf ein solches Verfahren schrecke, meint Feurstein, viele Unternehmer ab, Invalide einzustellen. Ungeachtet der Tatsache, daß rund 1.500 Behinderte bei nicht einstellungspflichtigen Betrieben beschäftigt sind oder 120 Betriebe nachweislich freiwillig auf finanzielle Hilfe des Staates verzichten.

Es wird schwer sein, einen Ausweg dahingehend zu finden, daß keine wie immer gearteten Nachteile für die Gruppe der behinderten Arbeitnehmer entstehen, wenn man schon die Forderung nach Lockerung des Kündigungsschutzes stellt und andererseits die Unternehmer motivieren will, die Tausenden offenen „Planstellen" für Behinderte tatsächlich zu besetzen.

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