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DER ARBEITSKOLLEGE IM ROLLSTUHL

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Das System der Vermittlungs- und Beschäftigungsförderung behinderter Menschen basiert in Österreich im wesentlichen auf den Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes, des Arbeitsmarktförderungsgesetzes und der Behindertengesetze der Länder. Das Fehlen eindeutiger Kompetenztatbestände im Rehabilitationswesen, die Orientierung an rein medizinischen Kriterien im Behinderteneinstellungsgesetz, umstrittene Förderungsinstrumente oder aber die beschränkten finanziellen und personellen Ressourcen führen dazu, daß die gegenwärtige Situation allgemein als unbefriedigend beurteilt wird.

Trotzdem konnten sich neue Ansätze der beruflichen Integration behinderter Menschen bislang kaum auf breiter Basis durchsetzen. In Vorarlberg wird allerdings seit nun bereits 14 Jahren durch das Institut für Sozialdienste ein für Österreich modellhafter Weg beschritten. Aufbauend auf dem Rehabilitationskonzept des Landes Vorarlberg aus dem Jahre 1978 läßt sich das Modell vor allem durch die problemorientierte Zielgruppendefinition, die fortlaufende und umfassende Beratung von Behinderten und Unternehmen sowie durch die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen charakterisieren.

Im vergangenen Jahr wurde dieses Konzept von der Abteilung für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien einer Evaluation unterzogen. Zum 1. Jänner 1990, dem Stichtag der Untersuchung, wurden vom Institut für Sozialdienste in 172 Vorarlberger Unternehmen 264 behinderte Menschen auf „geschützten" Arbeitsplätzen betreut (Der Terminus „geschützt" ist etwas verwirrend, da sich die Arbeitsplätze im wesentlichen nur durch das Beratungsangebot und in den meisten Fällen durch die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen von „normalen" Arbeitsplätzen unterscheiden.) Bei einem großen Teil dieser Personen handelt es sich um geistig (42 Prozent) oder lernbehinderte Menschen (22 Prozent) und damit eine Gruppe, die vom traditionellen System der beruflichen Integration eher vernachlässigt oder auf den Bereich der Beschäftigungstherapie verwiesen wird.

Grundlage der Behindertenarbeit des Instituts für Sozialdienste ist ein problemorientierter beziehungsweise arbeitsmarktorientierter Behindertenbegriff. Unter Behinderung wird eine längerfristige Beeinträchtigung verstanden, die die Teilnahme am sozialen und/oder beruflichen Leben erschwert. Die Feststellung eines Behinderungsgrades nach medizinischen Kriterien, wie dies etwa die Voraussetzung im Behinderteneinstellungsgesetz darstellt, ist nicht erforderlich.

Das Ziel der beruflichen Rehabilitation durch das Institut für Sozialdienste ist es, den auch schwerer Behinderten in der Nähe ihres Wohnortes eine Beschäftigung zu sichern und ihnen durch di| Beschäftigung und das damit verbundene Einkommen ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, wird den behinderten Menschen neben Berufsfindungsmaßnahmen, Arbeitserprobung und Arbeitstraining vor allem eine umfassende berufliche und soziale Beratung beziehungsweise Unterstützung durch die Behindertenberaterinnen geboten. Gleichzeitig sind die Behindertenberater aber auch Ansprechpartner der Unternehmen, sei es bezüglich finanzieller Förderungsmöglichkeiten, bei administrativen Angelegenheiten oder bei Konflikten rund um die Behindertenbeschäftigung. Kennzeichnend für die Arbeit des Instjtuts ist die ambulante und die fortlaufende Beratung, das heißt die Beratung soll primär in der beruflichen und privaten Umgebung stattfinden und auch nach der erfolgreichen Einrichtung eines geschützten Arbeitsplatzes fortgesetzt werden, sofern die Betroffenen dies wünschen. Die begleitende Beratung von Behin-

derten und Unternehmen ist auch ein wesentlicher Grund dafür, daß ohne besondere Kündigungsschutzregelungen ein bedeutender faktischer Kündigungsschutz besteht.

Ein sehr großer Teil der vom Institut für Sozialdienste betreuten behinderten Menschen ist nicht in der Lage, die von den Unternehmen durchschnittlich erwartete Arbeitsleistung zu erbringen.

Um den auf einem „geschützten" Arbeitsplatz Beschäftigten trotzdem den kollektivvertraglichen beziehungsweise betriebsüblichen Lohn sicherzustellen, werden vor allem vom Land Vorarlberg Lohnkostenzuschüsse gewährt. Diese Zuschüsse sind nicht begrenzt oder zeitlich befristet, sondern orientieren sich einzig und allein an der tatsächlichen Leistungseinschränkung, welche durch Untersuchungen in regelmäßigen Abständen festgestellt wird.

Üblicherweise werden in Österreich solche Lohnkostenzuschüsse nur bis maximal 50 Prozent gewährt. Wie die Untersuchung ergeben hat, würde dies für etwa ein Drittel der vom Institut für Sozialdienste auf „geschützten" Arbeitsplätzen betreuten Menschen eine Beschäftigung im offenen Arbeitsmarkt und sogar in Geschützten Werkstätten unmöglich machen, da sie Leistungseinschränkungen von über 50 Prozent aufweisen.

Die Behinderten äußerten sich in der Untersuchung sehr zufrieden mit ihrer gegenwärtigen beruflichen und sozialen Situation und schätzten vor allem das selbst verdiente Einkommen und den Kontakt zu anderen Menschen sehr hoch ein. Auch die befragten Unternehmen äußerten sich in der Befragung zum großen Teil sehr zufrieden, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß über 90 Prozent bei Ausscheiden eines behinderten Arbeitnehmers wieder Behinderte beschäftigen würden. Häufig auftretende Vorurteile, wie eine geringere Zuverlässigkeit behinderter Arbeitnehmer oder häufige Konflikte zwischen Behinderten und Nichtbehinderten wurden in der Befragung der Unternehmen nicht bestätigt beziehungsweise eindeutig widerlegt. Einzig die zusätzliche Belastung von Mitarbeitern und Vorgesetzten wurde von etwa der Hälfte der Unternehmen als Problemfeld angesehen. Ein auffallendes Ergebnis der Untersuchung war die Tatsache, daß vier Fünftel der Befragten die Beschäftigung behinderter Menschen als einen für ihr Unternehmen positiven Imageaspekt sehen.

In Summe kommt die Untersuchung zu dem Ergebnis, daß sich das Vorarlberger Modell gut bewährt hat und durch die Flexibilität und die Betonung des Beratungsaspektes vor allem jenen Behindertengruppen zugute kommt, denen mit Hilfe des traditionellen Förderungsinstrumentariums kaum eine Beschäftigung im offenen Arbeitsmarkt ermöglicht werden kann.

Darüber hinaus wird durch diese Form der Integration im beruflichen und sozialen Umfeld auch die Erreichung eines zentralen behindertenpolitischen Zieles gefördert: Die Beseitigung von Vorurteilen durch das sichtbare und direkte Eintreten von Behinderten in die Lebensbereiche der Nichtbehinderten.

Der Autor ist Assistent am Institut für Volkswirtschaftstheorie und -politik an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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