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Digital In Arbeit

An den Rand gedrängt

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Körperlich und geistig Behinderte spüren die Rezession überdurchschnittlich. Selbst in wirtschaftlich besseren Zeiten gelingt ihre Integration in die Arbeitswelt schwer genug.

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Körperlich und geistig Behinderte spüren die Rezession überdurchschnittlich. Selbst in wirtschaftlich besseren Zeiten gelingt ihre Integration in die Arbeitswelt schwer genug.

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Während sich die Anteile Behinderter am Arbeitskräftepotential in minimalen Größenordnungen bewegen (bis maximal 0,4 Prozent), stellen die Behinderten einen relativ großen Anteil der Arbeitslosen generell. Die Prozentwerte bewegen sich für Österreich zwischen 6,9 und 16,0 Prozent, für den Wiener Raum zwischen 7,5 und 14,1 Prozent.

Saisonale Maximalanteile an den Arbeitslosen erreichen Österreichs männliche Behinderte im August. Diese Werte liegen im Sommer doppelt bis dreifach so hoch wie im Februar. In Wien erreichen sie maximal die doppelte Höhe. Die Anteile unter den Frauen hingegen unterscheiden sich zwischen August und Februar um maximal 30 Prozent.

Während sich die Lage für männliche Arbeitskräfte generell verbessert, stellen die männlichen Behinderten infolge von Selektionstendenzen am Arbeitsmarkt zu Ungunsten Behinderter die höchsten Anteile an den Arbeitslosen. Da Frauen von saisonalen und konjunkturellen Schwankungen weniger betroffen sind, ist ihr Arbeitslosenanteil über Zeiten und Regionen hinweg relativ konstant. Für sie ist eher die Verdrängung vom Arbeitsmarkt die Regel.

Im Wiener Raum werden zugleich mit der Erfassung bedingt vermittlungsgeeigneter Arbeitsloser (nach den Ursachen dieser Erschwernis) auch die Zahlen der länger als ein Jahr vorgemerkten erhoben, die als Vergleichswerte zu der bundesweit im August registrierten Dauer der Arbeitslosigkeit herangezogen werden können.

Die Absolutzahl längerfristig arbeitsloser Behinderter hat sich zwischen 1977 (192) und 1982 (485) mehr als verdoppelt. Ein progressives Wachstum der Absolutwerte setzte jedoch, verursacht durch den Anstieg der männlichen Dauerarbeitslosen, ab 1980 ein.

Prozentuell stellen die Behinderten einen Anteil zwischen 29,2 und 36,6 Prozent der Dauerarbeitslosen insgesamt (Behinderte und Niphtbehinderte), ein Prozentsatz, der über den Beobachtungszeitraum einigermaßen konstant blieb.

Setzt man diesen Prozentwert Behinderter in bezug zum Anteil Behinderter an den Arbeitslosen, der sich maximal auf 14,2 Prozent beläuft, so kann behauptet werden, daß das Risiko einer über ein Jahr dauernden Arbeitslosigkeit bei behinderten Arbeitslosen doppelt so hoch ist wie bei Nichtbehinderten.

Eine Gegenüberstellung der Prozentanteile längerfristig arbeitsloser Behinderter an arbeitslosen Behinderten und längerfristig Arbeitsloser an Arbeitslosen generell bestätigt diese Vermutung. Auf Seiten der Behinderten ergibt sich ein doppelt so hoher

Anteil an längerfristig Arbeitslosen, was eindeutig für die höhere Beteiligung von Behinderten an der Sockelarbeitslosigkeit spricht.

Zur Bestätigung der These der größeren Betroffenheit Behinderter von Dauerarbeitslosigkeit können vor allem die Anteile behinderter männlicher Dauerarbeitsloser an den männlichen Dauerarbeitslosen herangezogen werden. Dieser Wert fällt zwischen 1978 und 1982 ständig ab. Dennoch sind gemäß dem Anstieg der Absolutwerte längerfristig arbeitsloser Behinderter in Zeiten wirtschaftlicher Expansion unter den Langzeitarbeitslosen bedeutend mehr Behinderte anzutreffen als bei günstigerer Arbeitsmarktlage.

Zwar werden bei wirtschaftlichen! Aufschwung, wie aus der Abnahme des Anteils männlicher Dauerarbeitsloser am männlichen Arbeitslosenbestand ersichtlich ist, vermehrt längerfristig Arbeitslose nachgefragt.

Diese Nachfrage geht jedoch Hand in Hand mit einer Selektion zu Ungunsten Behinderter. Dementsprechend steigt ihre Beteili-vgung an der Dauerarbeitslosigkeit und sinkt in Zeiten eines relativ großen Bestandes an längerfristig Arbeitslosen, d. h. bei wirtschaftlicher Rezession.

Auf Seiten der Männer wirkt sich zudem der saisonale Nachfrageaufschwung als Filter zu Ungunsten Behinderter aus.

Die beschriebene Selektionswirkung läßt sich tendenziell auch bei weiblichen behinderten Dauerarbeitslosen beobachten, allerdings relativiert durch die beschriebene Beharrlichkeit weiblicher Raten gegenüber den Nachfrageschwankungen, die keine kontinuierliche Abnahme zulassen.

Der Anteil behinderter Langzeitarbeitsloser am Arbeitslosenbestand Behinderter beläuft sich) auf 16,4 bis 25,6 Prozent. Zwischen 1980 und 1982 steigt diese Quote an. Sie liegt, wie bereits erwähnt, etwa doppelt so hoch wie der entsprechende Anteil Nichtbehinderter.

Unter den männlichen arbeitslosen Behinderten finden sich durchgehend um rund ein Drittel mehr längerfristig Arbeitslose als unter den weiblichen.

Stellt man in Rechnung, daß im Wiener Raum im August die Frauen im Gegensatz zu den Männern eine höhere Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit aufweisen und berücksichtigt man zusätzlich das Faktum, daß die Anteile männlicher Langzeitarbeitsloser an den Behinderten zwischen 1978 und 1982 einem wesentlich kräftigeren Wachstumsschub unterworfen waren als die weiblichen, so kann dies nur bedeuten, daß weibliche behinderte Arbeitnehmer dem Selektionsdruck des Marktes eher nachgeben und der langfristigen Arbeitslosigkeit eine Alternativrolle vorziehen.

Entscheidend für das Arbeitsmarktschicksal Behinderter ist jedoch avich die gegenüber Nichtbehinderten abweichende Beruf sstruktur der Arbeitslosigkeit.

Unter behinderten Arbeitslosen sind wesentlich mehr unqualifizierte Arbeitskräfte anzutreffen als bei Nichtbehinderten. Arbeitsplatzunsicherheit, geringer beruflicher Status, schlechte Qua-,,Unter den männlichen arbeitslosen Behinderten finden sich durchgehend um ein Drittel mehr längerfristig Arbeitslose als unter weiblichen." lifikations- und Aufstiegschancen sind für diese Arbeitsplätze kennzeichnend.

Die logische Konsequenz dieser Form der Behindertenbeschäftigung mit hohem Substitutionspotential ist eine massive Arbeitslosigkeit in Zeiten wirtschaftlicher Rezession.

Jedoch konnten nicht nur Indikatoren eines erhöhten Beschäftigungsrisikos bei Behinderten gefunden werden; die Randstän-digkeit Behinderter auf dem Arbeitsmarkt geht mit einem relativ hohen Verdrängungseffekt einher. Aus dem Erwerbsleben durch (vor allem längerfristige) Arbeitslosigkeit ausgeschiedene Behinderte halten sich gegenüber einer Erwerbstätigkeit vermutlich nicht lange offen.

Zuwachsraten der Zuerken-nung von Invaliditätspensionen sowie ihre Beantragungen legen den Verdacht nahe, daß ein Großteil längerfristig arbeitsloser Behinderter den Status des Arbeitslosen gegen denjenigen des Rentners eintauscht. Weibliche arbeitslose Behinderte hingegen ziehen vermutlich der Arbeitslosigkeit ein Hausfrauendasein vor.

Aus einem Beitrag in der „Osterreichischen Zeitschrift für Soziologie", Nr. 2/1983.

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