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Therapie oder echtes Künstlertum?

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Oft sind behinderte Menschen sehr kreativ. Doch nur selten rücken Projekte ins Licht der Öffentlichkeit, die zeigen, wie unspektakulär und kontinuierlich über Jahre soziokulturelle oder therapeutische Arbeit geleistet wird, bei der behinderte und nichtbehinderte Menschen zu gleichberechtigten, selbstbestimmten Ausdrucksformen finden. Das „Kulturfestival mit behinderten Menschen für ALLE" am 7. und 8. Juni im W.U.K. (Werkstätten und Kultur) ist ein solches Projekt.

Emanzipatorische Ansätze gibt es in der österreichischen Behindertenszene noch nicht sehr lange. Ihre Ursprünge liegen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. 1975 wurde als erster Schritt zu einer gemeinsamen, schlagkräftigeren Vertretung der Interessen von Behinderten, die ÖAR (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) gegründet. Mittlerweile gehören ihr 73 Vereine an, die 380.000 behinderte Menschen in Österreich vertreten. Nach dem Vorbild des amerikanischen Indepen-dent Living Movement (ILM) entwickelten sich auch in Österreich die ersten Ansätze einer autonomen, für Selbstbestimmung kämpfenden Behindertenbewegung, die 1989/90 im „Forum der Krüppel- und Behinderteninitiativen" eine lockere Organisationsform fand.

1981 rief die Bundesregierung erstmals das „Jahr der Behinderten" aus. 1986 zog Manfred Srb als erster behinderte Abgeordneter, der sich der „Selbstbestimmt 1 .eben-Bewegung" Verpflichtet fühlte, ins Parlament ein. Seine Nachfolgerin ist Theresia Haidlmayer.

Die Inhalte der „Selbstbestimmt Leben-Bewegung" und ihre Erfolge in Amerika, zu denen seit fünf Jahren der Anti-Discrimination-Act gehört, waren und sind für viele Behinderte ein Anstoß, sich gegen entmündigende Betreuungsstrukturen aufzulehnen und gesetzlich verbürgte Rechte statt mitleidiger Willkür einzufordern. Mittlerweile ist auch der Bau von für Behinderte nicht zugängliche öffentliche Verkehrsmittel oder Gebäude und Lokale einklagbar. Auch im kulturellen Bereich wurden Erfolge erzielt. Unterschiedliche emanzipatorische Ansätze wurden erprobt, die ihre Vorbilder zum Teil in der so-ziokulturellen Animation, der Kunst-

therapie und der künstlerischen Avantgarde, wie etwa aus neuen Formen des Tanzes, haben.

Eine Abgrenzung der verschiedenen Gruppen und Initiativen ist schwierig. So hat etwa soziokulturelle Animation ihre Wurzeln in den kulturreformatorischen Konzepten Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, die als Annäherung von Kultur und Sozialem oder als erweitertes Verständnis von Kultur formuliert wurden. Soziokulturelle Animation (französisch: „animer", heißt „beseelen", beleben") ist innerhalb dieser Konzeption eine Methode, das Spannungsfeld zwischen den einzelnen sozialen Gruppe und der Gesellschaft kreativ umzusetzen. Der emanzipatorische Anspruch ist vorwiegend gesellschafts bezogen.

1989 wurde auf Anregung der EU-Kommission die Organisation EUCREA (European Network on Creativity by and for disabled per-sons) gegründet. Diese internationale Organisation zur Förderung und Unterstützung von behinderten Kunst-

schaffenden soll „die vielfältigen Initiativen kulturellen Wirkens von einzelnen blinden, geistig behinderten, gehörlosen oder körperbehinderten Künstlern, von kreativen Werkstätten, von Theatergruppen und Einrichtungen im Raum der EU fördern", so Peter Radke, der die Organisation mit Sitz in Brüssel von München aus leitet. (In Österreich ist Radke als Schauspieler aus mehreren Theaterproduktionen von George Ta-bori bekannt.) EUCREA soll auch österreichische Künstler verstärkt in den internationalen Austausch miteinbeziehen. Der österreichische Vertreter bei EUCREA ist der Schriftsteller Erwin Riess, der Sitz ist in Wien bei der Dachorganisation der österreichischen Behindertenverbände, der ÖAR (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation).

Oft wird behinderten Künstlern unterstellt, daß ihre Arbeit Teil einer

Therapie ist. Nicht selten wird die Frage gestellt, ob ein Autor, Maler, Schauspieler oder Tänzer mit einer Behinderung sich diesen Beruf gewählt hat, weil er „sein schweres Schicksal aufarbeiten will", wie es der Autor und Kabarettist vom 1. Wiener Krüppelkabarett, Franz-Joseph Huai-nigg, selbst Rollstuhlfahrer, bissig formuliert. Doch dies ist im Hinblick darauf, daß jeder Künstler persönliche Erfahrungen in seine Kunst einfließen läßt, müßig.

Peter Radke führt diese Haltung auf das in unserer Gesellschaft vorherrschende Bild des Behinderten als „defizitäres" Wesen zurück. „Kaum einmal wird der einzelne mit seiner Behinderung als Gebender anerkannt." Doch bedeute dies nicht, daß eine Behinderung keinen Einfluß auf

das jeweilige Kunstwirken hat, so Radke. Im Gegenteil. Im kreativen Prozeß kann Behinderung zu einer Qualität werden, die positiv eingesetzt werden kann.

Problemstellungen, die sich aus dem Zusammenhang von Kunst und Behinderung ergeben, sind meist wesentlich komplexer, doch sie ermöglichen einen besseren Zugang zu Einzelinitiativen und -gruppen wie jene,

die sich im W.U.K, präsentieren werden. Einige davon sollen hier kurz vorgestellt werden.

Die Theatergruppe SOB 31 wurde vor acht Jahren von Martin Rohs-mann gegründet. Die Schauspieler sind geistig und körperlich behinderte Menschen, die von vier Sozialarbeitern von „Jugend am Werk" betreut werden. „Die Idee, mit geistig behinderten Menschen Theater zu spielen, ist eigentlich naheliegend", so Rohs-mann". Wer mit dieser Personengruppe näher zu tun hat, ist immer wieder vom geradlinigen Humor dieser Menschen beeindruckt."

„Bilderwerfer" (Freie New Dance Company): Daniel Aschwanden, der Choreograph und künstlerische Leiter der Gruppe aus drei behinderten und drei nicht behinderten Mitgliedern wollte „mit Menschen arbeiten, die keine professionell geschulten Körper haben, sondern sich dadurch auszeichnen, daß sie eine spezielle Beziehung zur Bewegung und zum Tanz haben ". 1992 begann er mit Christian Polster, dem Tänzer mit dem Down-Syn-drom, bekannt aus den Niki-List-Filmen „Mama lustig" und „Muß denken", zusammenzuarbeiten. Daraus entwickelte sich die Künstlergruppe „Bilderwerfer". Sie gestalten ihre Programme aus einer Integration verschiedener Kunstrichtungen wie Tanz, Schauspiel, Performance, Video, Musik, bildende Kunst und Architektur. Grundlage ist die tänzerische Methode der Kontaktimprovisation, die aus dem künstlerisch-tänzerischen Zusammenspiel zweier Körper einen neuen Fundus der Bewe-

gungssprache aufspürt.

Die „Kunstgruppe Retz" ist eine Einrichtung im Caritasheim für vorwiegend geistig behinderte Menschen. Werner Nachbagauer, der Direktor des Heims in Retz, hat sie 1993 gegründet, um das künstlerische Potential der Heimbewohner zu fördern. Neben traditionellen kreativen Freizeitbeschäftigungen soll auch dem „freien künstlerischen Schaffen" Raum gegeben werden. Geleitet wird das Projekt vom akademischen Maler Mano H. Lindner, der seinen Schülern zwar größtmögliche Freiheit läßt, aber ihnen auch künstlerische Techniken vermitteln kann. So entstehen mitunter Bilder, die, wie es

Lindner einmal formulierte, „in jeder Galerie stehen könnten". Einige davon werden im W.U.K, zu sehen sein.

Die zweite Gruppe aus dem Bereich der bildenden Kunst „PIKT-Projekt in Kunst und Therapie" (Künstlerinnen der Hochschule für angewandte Kunst), ist ein Verein, der sich 1994 konstituierte.

Impulsgebend war Karl-Heinz Menzens Einführungsseminar in die Kunsttherapie, der 1993 als Gastprofessor für Projekte im sozialen, reha-bilitativen und klinischen Bereich an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien unterrichtete. In unterschiedlichen sozialen, rehabilitati-ven und klinischen Einrichtungen wurden mit Studenten achtzehn kunsttherapeutische Projekte durchgeführt. Die Arbeit mit Behinderten machte dabei nur einen Teil aus. PIKT definiert seine Tätigkeit als Förderung und Durchführung von künstlerischen Projekten im pädagogischen Bereich (Kinder-, Schul-, Museumspädagogik), sowie mit geistig und körperlich Behinderten, Suchtkranken, psychisch erkrankten Menschen und sozialen Randgruppen. Weiters nehmen: die „Kreativgruppe Rollingergasse" (Lebenshilfe) und der Autor Werner Pietschmann am Festival teil.

„Kulturfestival mit behinderten Mensehen für AUE"

7. bis 8. Juni; WUK (Werkstätten und Kultur) Währingersir. 59, Wien IX. Tel 40121-0

Weiterführende Informationen bei der ÖAR (Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) und , EUCREA (European Network on Creativity by and for disabled persons)', Stubenring 2, Wien I, TeL 515 15 53

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