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Arbeit mit Randgruppen

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Wir wollen unsere künstlerischen Kompetenzen öffentlich nutzbar machen”, meinen immer mehr Absolventen der Kunsthochschule. Sie haben die Nase voll vom elitären Galerienbetrieb und vom einsamen, brotlosen Künstlerdasein. Als der renommierte deutsche Kunsttherapeut Karl-Heinz Menzen 1993 erstmalig als Gastprofessor für „Kunsttherapie” an die Hochschule für angewandte Kunst in Wien kam, nahmen 60 Studenten an den „Projekten in Kunst und Therapie” teil. Die Künstler setzten ihre Sensibilität für ästhetische und künstlerische Prozesse im sozialen Feld ein und arbeiteten im Blindenheim, in der Psychiatrie oder in der Drogennachsorge. Die erfolgreichen Projekte wurden in dem Buch „Kunst und Therapie II” veröffentlicht. Aus dem engagierten, studentischen Arbeitskreis entstand der Kunsttherapieverein „PIKT”.

1996 kam Karl-Heinz Menzen erneut für ein Semester nach Wien -und die Zahl der Kunsttherapie-Interessierten hatte sich verdoppelt. Gemeinsam mit Jugendlichen, die aufgrund von Graffitis straffällig geworden waren, besprayten die Künstler -diesmal legal - Wände in der Lugner-City und bemalten die Außenfassade des Jugendzentrums in der Pantucek-gasse. Dabei zeigten sich auch Vertreter der Wirtschaft wie Karl-Heinz Essl und Bichard Lugner interessiert und förderten die Aktion. Begeistert war

auch der Bezirksvorsteher des 1. Bezirks, Richard Schmitz. Er wird die Auf- und Abgänge der neu renovierten Wipplingerstiege zur Verfügung stellen, um sie im Rahmen der Kunsttherapieprojekte gestalten zu lassen.

Trotz des großen Bedürfnisses von seiten der Kunststudenten, aber auch der sozialen Institutionen, gibt es in Osterreich noch an keiner staatlichen Hochschule einen fixen Lehrstuhl für Kunsttherapie. Dafür nimmt die Zahl an privaten Ausbildungsstätten jährlich zu: Vier Schulen bestimmen im Moment die österreichische Kunst-therApieszene, wobei unterschiedliche Ansätze vertreten werden. So ist die Ausbildung am „poly College Stöbergasse” eher künstlerisch orientiert,

die „Wiener Schule für Kunsttherapie” mehr pädogogisch-therapeu-tisch. Zwei weitere Möglichkeiten bieten sich an: Die malerisch-therapeutisch ausgerichtete Gruppe von Erwin Bakowsky und die Ausbildung des ÖAGG (Österreichischen Arbeitskreises für Gruppentherapie und Gruppendynamik). Die unterschiedlichen Ansätze werden in dem Symposium „Theoretische Grundlagen der Kunsttherapie” von 21. bis 23. Februar mit internationalen Fachleuten an der Hochschule für angewandte Kunst diskutiert.

Das Problem, daß die privaten Ausbildungen selbst bezahlt werden müssen, und das können sich die meisten Künstler nicht leisten. Karl-Heinz Menzen zeigt sich erstaunt über die mangelnde Initiative von seiten des Staates: „Die Kunsthochschulen und die Öffentlichkeit, die sie finanzieren, sollten eigentlich ein dringendes Interesse daran haben, daß mehr Absolventen ihre künstlerischen Fähigkeiten öffentlich nutzbar machen”.

Engagement von Künstlern in sozialen Einrichtungen ist zu einem we-

sentlichen Teil der aktuellen Kunstszene geworden, wie das Beispiel der österreichischen Zwillingsschwestern Christine und Irene Hohenbüchler zeigt: International bekannt wurden die beiden durch ihre Arbeit mit gesellschaftlichen Randgruppen - heuer sind sie auf der „documenta” in Kassel vertreten.

Ihr erstes Projekt verwirklichten sie 1989 in der Kunstwerkstatt der Lebenshilfe in Lienz, wo sie in Zusammenarbeit mit dem dortigen Leiter Kurt Baluch regelmäßig mit Behinderten arbeiteten. Die Arbeit der Ho-henbüchlers war nicht immer unumstritten - Kritiker warfen ihnen vor, daß sie die Behinderten ausnützen, um sich selbst auf dem Kunstmarkt einen Namen zu machen. Die Zwillinge haben selbst keine Kunsttherapieausbildung und wollen ihre Arbeit auch nicht therapeutisch, sondern künstlerisch verstanden wissen.

Angesichts des verstärkten Auftretens von Kunst in sozialen Einrichtungen, stellt sich die Frage, was Kunst überhaupt im Bereich des sozial, seelisch, körperlich, beeinträchtig-

ten Menschen beizutragen habe? Karl-Heinz Menzen ist von dem heilenden Potential, das in den künstlerischen Prozessen liegt, überzeugt. Er erinnert an Joseph Beuys und seine Idee, daß in jedem Material - sei es Fett oder Holz Energien stecken, die durch die künstlerische Arbeit mit diesen Materialien freigesetzt werden. Die Leistung von Kunst im therapeutischen Bereich steht für ihn außer Zweifel:

„ Kunst im Baum von Therapie will im sozialen Feld, wc> notwendig, das heißt da, wo Not zu wenden ist, Lebensverhältnisse abbilden, um sie dem alltäglichen Gestus wieder verfügbar zu machen, um sie überschaubar, gestaltbar zu machen, so daß sie nicht mehr krankenmachend sind”. Das Symposium „Theoretische Grundlagen der Kunsttherapie” findet von 21. bis 23. Februar an der Hochschule für angewandte Kunst statt

Eine Ausstellung „Kunsttherapeutisch orientiertes Arbeiten mit Kindern in Ausnahmesituationen”

läuft bis 9. März in der Arkadengalerie des Wiener Raihauses.

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