7132289-1997_31_10.jpg
Digital In Arbeit

Unerledigtes wird in der Phantasie zu Ende gebracht

Werbung
Werbung
Werbung

Jeder Mensch ist schöpferisch. Und daraus ergibt sich ein wichtiger Zugang zum Unbewußten, nämlich indem man an diese schöpferische Komponente andockt.” Dieser Gedanke des deutschen Gestalttherapeuten Hillarion G. Petzold ist eine wesentliche Basis der Kunsttherapie, einer Therapieform, die in Österreich gerade dabei ist, sich ihren Weg zu bahnen. Berufsverbände sind im Entstehen, Ausbildungsmöglichkeiten werden seit einiger Zeit angeboten, und - was wohl das Wichtigste ist - zahlreiche Hilfesuchende haben inzwischen positive Erfahrungen mit der Kunsttherapie gemacht.

Da ist zum Beispiel Markus, ein junger Mann, der etwas schüchtern und verträumt wirkt. Und Träume sind es auch, die ihm meistens die Inspiration für seine Bilder liefern. „Wenn ich aufwache, denke ich mir oft, was war das für ein Chaos, das mir da heute Nacht wieder untergekommen ist”, erzählt er. „In so einem Fall setze ich mich gern hin und beginne, den Traum aufzuzeichnen. Dabei zeigt sich dann schnell, was wirklich wichtig an dem Traum ist; was ich dann vor mir auf dem Blatt habe, das ist das Wesentliche.” Markus arbeitet im künstlerischen Gestalten die zentralen Symbole und Szenen seiner

Träume heraus. Im Gespräch mit seiner Kunsttherapeutin kann er dann der dahinter steckenden Botschaft auf die Spur kommen.

„Das Besondere an der Kunsttherapie ist, daß der Betreffende sich auf lustvolle Weise mit seinen Themen auseinandersetzen kann”, erklärt die Wiener Kunst- und Gestalttherapeutin Ursula Bast. „Wenn man über diese Inhalte spricht, erzeugen sie oft Angst. Wenn man sie aber im Bild darstellt, in Form von Symbolen, dann steht die Freude am künstlerischen Gestalten im Vordergrund. Die damit verbundenen angstbesetzten oder schmerzhaften Punkte können so lang im Hintergrund bleiben, bis ich spüre, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, auch diese Dinge anzusprechen.”

So nüchtern und ernst wie das jetzt klingt, läuft es freilich in der Praxis nicht immer ab. Kunsttherapie hat eine sehr starke sinnliche Komponente, sie arbeitet mit Farben ebenso wie mit Klängen, Gerüchen und Lichtreflexen. Daneben regt der Umgang mit verschiedenen Materialien auch den Tastsinn an. Letzteres wird oft im Umgang mit Behinderten, Autisten etwa, angewandt.

Freude am Spüren, Freude an der eigenen Kreativität haben in der Kunsttherapie einen großen Stellenwert, ebenso wie das Lachen und - oft damit verbunden - die Anregung und stete Erweiterung der eigenen Phantasie. Besonders im Arbeiten mit alten Menschen macht Ursula Bast die Erfahrung, daß viele unerledigte Geschäfte mit Hilfe von Phantasien, sozusagen in einer inneren Wirklichkeit, zu Ende gebracht werden können.

Deutlich wird das etwa an der Geschichte einer älteren Frau, die an den Bollstuhl gefesselt ist. „Sie ist eine sehr kräftige Frau”, berichtet Ursula Bast, „die früher immer davon sprach, daß sie etwas arbeiten möchte. Und damit war harte, körperliche Arbeit gemeint. Es hat sich dann herausgestellt, daß sie vor Jahren gemeinsam mit ihrem Mann ein Haus gebaut hat. Der Mann ist dann gestorben, und sie konnte dieses Haus nie bewohnen. Im Leben dieser Frau stellte das einen nicht abgeschlossenen Prozeß dar, unter dem sie sehr litt. Uns ist schließlich die Idee gekommen, ihr Ton mitzubringen, damit sie sich wieder mit dem Hausbauen beschäftigen kann. Und wirklich, sie hat Häuser modelliert, Häuser und immer wieder Häuser. Eines Tages hat sie begonnen, mit Hilfe eines Freundes eines dieser Tonhäuser einzurichten. Gemeinsam haben sie kleine Möbel gebaut, sie haben Lampen gebastelt und Vorhänge. Schließlich ist diese Frau in ihr neues Haus eingezogen - natürlich nur in der Phantasie - aber das hat für sie genügt, um das Thema ,Haus' zu einem Abschluß zu bringen.”

Heilungsprozesse wie der hier beschriebene setzen keine künstlerischen Vorkenntnisse voraus. „Kunsttherapie eignet sich grundsätzlich für jeden”, erklärt Ursula Bast, „vorausgesetzt, er kann seine Hände noch einigermaßen bewegen, noch einigermaßen sehen und er hat keine abgrundtiefe Abneigung gegen Zeichnen und Malen ”. Sie selbst arbeitet als Therapeutin mit ganz verschiedenen Personen: mit Strafgefangenen und psychosomatisch Kranken, mit Ma-gers'üchtigen und Menschen im Altersheim.

Übrigens: Künstlerisch orientierte Psychotherapie wird in Österreich -unter gewissen Umständen - von der Krankenkasse mitfinanziert. Informationen erhalten Sie bei Ursula Bast (Tel.: 01/315 29 13).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung