Subtil und nachhaltig

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Bildende Kunst steht der Gesellschaft nicht gleichgültig gegenüber. Sie kann bisweilen sogar das Leben wieder lebenswert machen.

Mit ihrem engagierten Auftreten als Globalisierungsgegner in Genua kam die Volxstheaterkarawane zuerst in die Schlagzeilen und dann in Haft. Christoph Schlingensief löste mit seiner Containeraktion bei den Wiener Festwochen heftige politische Kontroversen aus. Seine Koppelung des Reality-TV-Booms mit der Ausländerthematik war aktuell und provozierte Diskussionen. Theater eignet sich gut für medienwirksame politische Botschaften, die bildende Kunst ist deswegen lange nicht unpolitisch.

Für Skandale sorgten um 1968 die Wiener Aktionisten Otto Mühl, Günter Brus, Rudolf Schwarzkogler, Herrmann Nitsch und andere. Fotos der blut-fäkalien-fesselungsreichen Aktionen mit meist nackten Akteuren und Nitsch's Orgien- und Mysterientheater sind heute längst museumstauglich. "Der Tabubruch ist definitiv gestorben, die Gesellschaft ist offener geworden. Bildende Kunst ist kein Massenphänomen. Sie hat kein konservatives Publikum. Ihre politischen Statements funktionieren subtiler nach verschiedenen Strategien", meint Werner Rodlauer, der mit Christina Werner die auf Kunst spezialisierte Kommunikationsagentur "w.hoch.2wei" betreibt.

Öffentlich provokante Erregung ist stiller Nachhaltigkeit und der Anregung von Denkprozessen gewichen. Wer in die Secession geht, um sich "Ausgeträumt ..." anzusehen, wird in einer Ecke des modernen, weißen, hehren Kunstraumes Obdachlose entdecken. Pawel Althamers Aktion "Zukunft Obdachlos" rückt so eine Randgruppe ins Bewusstsein der Besucher, indem er sie die Rolle "spielen" lässt, die ihrer wirklichen sozialen Lage entspricht. "Ich möchte, dass der Stress im Umgang mit Kunstgegenständen schwindet und es zur Konfrontation des Menschen mit sich selbst und mit anderen Menschen kommt", sagt er. In Warschau engagierte er Obdachlose als lebende Reklame für die Zeitschrift "Obserwator" (Beobachter): per Aufkleber gekennzeichnet, taten sie, was sie immer tun: beobachten.

Reaktionen auf Themen in der Gesellschaft sind so vielfältig wie die individuellen Positionen der Künstler. Anything goes: das Tafelbild, die Renaissance des Porträts, Fotografie, Medienkunst, Konzepte, soziale Interventionen, Kunst im öffentlichen Raum, gesellschaftspolitisch relevante Arbeiten mit Randgruppen oder die Eroberung des Marktes.

"Sabotage", ein Wiener Aktionistenteam aus dem Umfeld der elektronischen Musik präsentierte 1998 im Tresorraum der Bank Austria "Cash", ein Parfüm, das wie eine druckfrische 100-Dollar-Note duftet. "Wer heute nach Geld riecht, steht in höherer Verbindung mit Ansehen, Luxus und Macht," so Robert Jelinek, der Boss der Truppe. Zur Euro-Umstellung gibt es in einer Edition von 500 Stück einen parfümierten 10-Euro-Schein, der nach dem Schilling riecht. "Das Alte geht, der Geruch bleibt", meint Christina Werner. Die geruchsintensive Kunstbanknote kostet 30 Euro.

Kunst & Markt

* An der Schnittstelle zwischen Kunst, Gesellschaft und Markt bewegt sich die Lomographische Gesellschaft. Ihre Begeisterung für eine billige, russische Kleinbildkamera, mit der man schräge Fotos mit Kultcharakter knipsen kann, steckte weltweit an. Der ersten Lomo"Sunsplash" Ausstellung 1995 folgte die Einladung zur "Photokina" nach Köln, der größten Fotomesse der Welt. Inszenierte Events mit DJ-Lounge, Bar und Fotos führten zum "Lomo"-Fieber. "Anfangs waren wir ein Verein und dachten gar nicht an kommerzielle Verwertung. Aber die Leute bestellten immer mehr Kameras," sagt "Lomo World President" Matthias Figl. Als das Leningrader Werk, das die Kameras erzeugte, die Produktion einstellen wollte, reiste er nach Russland, um einen Exklusivvertrag auszuhandeln. Ein einziger Koreaner orderte per Internet über 1.500 Stück. Die zehn "Lomo"-Regeln wie "Don't think" werden in Korea mit missionarischem Eifer verbreitet.

Slip mit Lomo-Fotos

Inzwischen vertreibt die Lomographische Gesellschaft Kameras und Produkte junger Designer im Museumsquartier. Neben dem Klassiker gibt es den "Supersampler" für vier parallele Bildstreifen auf einem Foto, das "Elf-Nachtsichtgerät", den "Actionsampler" und den lichtstärkeren "Cybersampler". Passend zum lomographischen Lebensgefühl besticht der Shop mit schrägen Regalen aus Verpackungsmaterial, die Decke ist mit Lomo-Fotos gepflastert. Neueste Idee der Gruppe, die als Aktiengesellschaft an der Börse notiert: eine Unterwäschekollektion, individuell mit Lomo-Fotos gestaltbar.

* An der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Design ist das "Atelier van Lieshout" angesiedelt. Joep van Lieshout beschäftigt sich mit essentiellen Themen: Behausung, Verpflegung, Entsorgung, Fortbewegung und Fortpflanzung. Sein Ateliergelände am Rotterdamer Hafen erklärte er zum freien Staat "AVL-Ville". Seine Arbeiten wie mobile Wohnungen, ein Feldspital, Labors zur Herstellung von Medizin und Alkohol, eine Akademie und ein Bauernhof haben Modellcharakter. Zur Vernissage "Schwarzes und graues Wasser" in der Wiener BAWAG-Foundation in den Tuchlauben kochte der Künstler auf einer fahrbaren Feldküche, alle konnten aus der Gulaschkanone essen. Fleischerwerkzeuge, Wasseraufbereitungsanlagen und eine Kompostierungstoilette wiesen unmissverständlich auf die Nahrungsmittelkette und die abfallreichen Folgen eines solchen Mahles hin. Aspekte, die sonst nicht weiter bedacht werden.

"Die bildende Kunst entwickelt sich in zwei Richtungen. In eine Kunst, die von Wirtschaftsinteressen und Quotendenken bestimmt ist, die mit Spektakel Publikumsmassen anlockt und in eine Kunst, die unabhängig von Profit und Populismen als Möglichkeit agiert, gemeinsame Lebensbedingungen zu überprüfen und verbessern", schreibt Wolfgang Zinggl, Mitglied der "WochenKlausur".

Anliegen des Teams ist "Kunst und konkrete Intervention". Schon die erste Intervention zur medizinischen Versorgung der Obdachlosen an der Secession 1993 wirkte nachhaltig. Resultat der Kunst-Initiative war der "Louise"-Bus. Als fahrende Ambulanz betreute er monatlich über 700 Patienten ohne Krankenschein. Finanzierungskonzept, Sponsoren für den Bus, die Übernahme durch die Caritas - kein Weg war der Gruppe zu steinig, um sich durchzusetzen. Die Zusage der Stadträtin für Gesundheit bekam man mit Hilfe eines "Spiegel"-Journalisten: die Spekulation auf schlechtes Medienecho wirkte.

Vieles hat die WochenKlausur durchgezogen: unter anderem ein Café mit Bocciabahn für Ältere in Civitella d'Agliano, legale Aufenthaltsbewilligungen für sieben Ausländer in Graz, ein Bürgerbeteiligungsmodell für kommunalpolitische Entscheidungen in Ottensheim, Interventionen zur Drogenproblematik in Zürich, zur Verbesserung der Schubhaftbedingungen in Salzburg, zur Situation der Erwerbslosen in Kreuzberg in Berlin.

1999 wurde WochenKlausur zur Biennale nach Venedig geladen. Der Balkankrieg schwelte, das Team nutzte die große Öffentlichkeit, um Sponsoren aufzutreiben, durch eine Lotterie im Österreich-Pavillon Geld zu sammeln und so acht Sprachschulen im Kosovo und in Mazedonien zu finanzieren.

Interventions-Boom

"Der Begriff der Intervention wird in der Kunst heute inflationär eingesetzt. Auf Einladung von Kunstinstitutionen entwickeln wir demgegenüber kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Veränderung gesellschaftspolitischer Defizite und setzen sie um. Wir sehen den Kunstbetrieb als Möglichkeit, längerfristige Verbesserungen des Zusammenlebens zu erzielen. Überall gibt es Probleme, die sich auf konventionellem Weg nicht lösen lassen und als Thema für ein Kunstprojekt herangezogen werden könnten," meint Pascale Jeannée von WochenKlausur. "Theoretisch bestehen keine Unterschiede zwischen einem Künstler, der sein Bestes tut, um ein Bild zu malen, und Künstlern, die ihr Bestes tun, um ein bestimmtes Problem in unserer Gesellschaft zu lösen."

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