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Die 52. Biennale von Venedig zeigt von vielem etwas - und wenig Überzeugendes.

Willkommen zur Grand Tour des 21. Jahrhunderts." So der marketingtaugliche Slogan, mit dem für die nur alle zehn Jahre stattfindende Überschneidung mehrerer Großereignisse seit Juni geworben wird. Ausschlaggebend für diese Kooperation dürfte nicht nur das gemeinsame Interesse an Gegenwartskunst gewesen sein, sondern auch die Angst, sich gegenseitig Besucher abspenstig zu machen. Biennale in Venedig, Art Basel, Documenta in Kassel, Skulpturenprojekte in Münster. Tatsächlich: Der heurige Sommer versprach ein Kunst-Super-Ereignis zu werden. Aber: Bringt der Besuch mehrerer Ereignisse mehr als die konzentrierte Beschäftigung mit nur einer Großausstellung?

Wider Erwarten lohnt die Reise nach Kassel und Venedig auf jeden Fall. Zumindest für jene, die nicht nur an den Objekten selbst, sondern auch an Ausstellungsgestaltungen und der Bedeutung von bildender Kunst im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs interessiert sind.

Biennale und Documenta

An sich hat die Biennale gegenüber der Documenta einen Startvorteil. Denn wer in die Serenissima kommt - ist ohnehin positiv gestimmt. Das erholsame Areal der Giardini, die wunderschönen Räumlichkeiten des Arsenale - wer geht da noch so kritisch mit der Kunst ins Gericht? Auch kann die Biennale gegenüber der Documenta auf eine längere Geschichte verweisen: Während die Documenta erstmals 1955 stattfand, präsentierte Venedig bereits im Jahr 1895 zeitgenössische Kunst.

Das alles hilft der Biennale diesmal aber wenig. Wer zuerst in Kassel war, wird von der diesjährigen Biennale enttäuscht sein und die Relevanz von Gegenwartskunst angesichts des einen oder anderen Länder-Pavillons sogar in Frage stellen. Dabei kann die 52. Biennale heuer mit dem renommierten Kunsttheoretiker, MoMa-Kurator und ehemaligen Künstler Robert Storr auf einen der versiertesten Leiter ihrer Geschichte verweisen - übrigens der erste Biennale-Chef aus den USA. Zugleich präsentieren sich diesmal so viele Länder wie noch nie. 77 Nationen haben Künstler und Künstlerinnen ins Rennen um den "Goldenen Löwen" geschickt, der heuer erstmals nicht gleich zu Beginn, sondern erst im Oktober vergeben wird.

Mit dem Allerwelts-Motto Think with the Senses - Feel with the Mind, das eher an die Werbung eines Selbsterfahrungs-Wochenendes als an eine Ausstellung von Gegenwartskunst erinnert, verweist Storr darauf, dass sich seine Zusammenschau an Emotion und Intellekt richtet - eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Storrs Handschrift zeigt sich am besten in der zweiteiligen Ausstellung im Arsenale und im Italienischen Pavillon der Giardini. Im Unterschied zur Biennale vor zwei Jahren, die vor allem vom Eventcharakter bestimmt war, findet sich in der Schau heuer jede Menge Kunst, die sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen wie Migration, Krieg, Armut und Terror beschäftigt.

Migration, Armut, Terror

Allerdings gehen die Werke nur selten unter die Haut. Das mag an den oft wenig kraftvollen Objekten selbst liegen oder an der allzu ausgewogenen Zusammenstellung. Vergleicht man aber die Storr'sche Überblickschau mit der Documenta, so wird deutlich, woran es in Venedig krankt. Egal ob man mit der Künstlerauswahl und der didaktischen Präsentation in Kassel einverstanden ist oder nicht, als Besucher spürt man, dass einem hier etwas erzählt wird, dass die Documenta-Macher einem eine "andere" Kunstgeschichte näher bringen wollen. Und dass sie Künstler vorstellen, die man bisher nicht gekannt hat. Genau diese kuratorische Bestimmtheit fehlt in Venedig. Storr zeigt von vielem etwas; und er hat objektiv gesehen vieles richtig gemacht - vielleicht auch zu richtig. Der große Wurf wie Harald Szeemann (1999 und 2001) ist ihm aber nicht gelungen.

Kein großer Wurf

Gleichwohl finden sich auch in Venedig Entdeckungen, die man so schnell nicht wieder vergisst. Etwa die Wandinstallation der jungen Amerikanerin Emily Prince, die seit 2004 alle American Servicemen and Women Who have Died in Iraq and Afghanistan (But Not Including the Wounded, nor the Iraqis nor the Afghanis) zeichnerisch festhält. Oder das fünfteilige schwarzweiße Video des Chinesen Yang Fudong über Seven Intellectuals In Bamboo Forest, das auf ungemein poetische Weise menschlichen Befindlichkeiten, dem Gefühl von Einsamkeit, der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung nachspürt.

Herausragend im Arsenale auch der kolumbianische Künstler Óscar Muñoz, der in seiner aus fünf Video-Wänden bestehenden Installation Projekt für ein Denkmal Porträts mit Wasser auf heißen Stein malt, die im Laufe des Malprozesses durch die drauf scheinende Sonne sich wieder der Sichtbarkeit entziehen. Ein Werk, das ohne zusätzliche Informationen überzeugt - zugleich aber durch das Wissen rund um den kolumbianischen Krieg und die medialen Diskurse im Zusammenhang mit der "Macht der Bilder" noch an Reiz gewinnt.

Im Italienischen Pavillon dominieren Klassiker wie Gerhard Richter, Ellsworth Kelly und Sigmar Polke. Für den einen vielleicht erfreulich, weil endlich wieder Malerei zu sehen ist - neue Erkenntnisse und Sichtweisen über den Status Quo von Gegenwartskunst gewinnt man aus dieser Zusammenschau internationaler Größen aber keineswegs.

Aus dem Malerstar-Reigen ragt der Raum mit Werken der französischen Künstlerin Sophie Calle eindrucksvoll heraus. Calle arbeitet in Pas pu saisir la mort - einem Video, Texttafeln und Fotos - den Tod ihrer im Vorjahr verstorbenen Mutter auf, die allzu gerne die Biennale-Teilnahme ihrer Tochter noch erlebt hätte. Einen Gefallen, den die stets autobiografisch arbeitende Künstlerin ihrer Mutter postum erwiesen hat, indem sie diese zur Protagonistin ihres Venedig-Werks erklärte.

Dass Calle eine der interessantesten Persönlichkeiten dieser Biennale ist, zeigt sich auch im französischen Pavillon, der ebenfalls von ihr bespielt wird - und wo es um die sprachliche und visuelle Interpretation eines fiktiven oder echten Trennungs-E-Mails geht. Ein Pavillon, der zu den heißesten Kandidaten für den Goldenen Löwen gehören müsste, hätte Frankreich nicht bereits vor zwei Jahren die begehrte Trophäe erhalten.

Nationale Präsentationen?

Die Länder-Pavillons spiegeln erst recht die Halbherzigkeit dieser Biennale - auch die fragwürdig gewordene Ausrichtung der Institution Biennale an sich. Was soll in den nationalen Präsentationen gezeigt werden? Bereits renommierte Stars? Kunst, die sich gut verkaufen lässt? Oder vielleicht doch experimentelle, wirklich zeitgemäße Kunst?

Beim Rundgang findet man von allem etwas - häufig aber hat man nach Verlassen eines Pavillons das Gefühl, man hätte nichts versäumt, wäre man gerade an dieser Präsentation vorbeigeschlendert. Sei es der deutsche Pavillon mit der im Vorfeld medial bereits über die Maßen gefeierten Bildhauerin Isa Genzken, für deren surreale Gruselkabinett-Installation man wohl ein besonderes Sensorium braucht, der meditative, aber wenig innovative österreichische Pavillon mit Natur-Bildern von Herbert Brandl oder der ästhetische, jedoch allzu klassische amerikanische Pavillon mit dem bereits verstorbenen Exilkubaner Félix Gonzáles-Torres - so wirklich überzeugend ist das alles nicht. Nachdenklicher stimmt da schon die holländische Präsentation Citizens and Subjects von Aernout Mik, der in einer den ganzen Pavillon einbeziehenden Video-Arbeit den oft brutalen Umgang mit (illegalen) Migranten thematisiert.

Heterogene Kunstszene

Die 52. Biennale zeigt eines unübersehbar: Großausstellungen zeitgenössischer Kunst haben heutzutage eigentlich nur noch einen Sinn, wenn sie klare Zielsetzungen verfolgen. Wenn man als Besucherin Sichtweisen gezeigt bekommt, die man, so subjektiv sie auch sein mögen, ohne die Ausstellung nicht bekommen hätte. Diese Biennale verdeutlicht aber auch, dass die Kunstszene heterogener denn je ist. Nicht nur, was die Medienvielfalt, sondern auch was die Arbeitsweisen, die künstlerischen Ansätze und Themen betrifft.

Dies macht die Beurteilung sowohl für interessierte Laien als auch für Fachleute schwieriger. Malerei, Video, Objektinstallationen, Alltagsgegenstände, Texte, Fotos - dokumentarische, autobiografische, konzeptuelle und metareflexive Ansätze. Da braucht es schon ein gutes Auge, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Dass Qualität und Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen dennoch spürbar sind - vor allem auch breitenwirksam sein können - spiegelt das Echo auf Sophie Calles Beiträge. Ihre hyperästhetische Publikation gehört - wenig überraschend - zu den meist verkauften Katalogen der Biennale, wie man im Bookshop erfahren kann.

Biennale bis 21. November

Giardini: täglich außer Mo 10-18 Uhr

Arsenale: täglich außer Di 10-18 Uhr

Information: www.labiennale.org

Zur Ausstellung erscheint der dreibändige Katalog "think with the senses feel with the mind. art in the present tense." Italienisch oder Englisch, Marsilio Verlag 2007, € 70,-

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