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Mühle als Art-Center

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Venedig versucht tief Luft zu holen: Im Juni 1976 soll endlich wieder eine glanzvolle Biennale stattfinden, und zwar in den Giardini, vor allem aber auch im Palazzo del Cinema am Lido, wo man sich nach dem Politdebakel von 1974 und der Filmpleite von heuer (mit einer Retrospektive „D. W. Griffith“ und „Kino der Freiheit“) wieder konventioneller und traditionalistischer geben will: Denn Venedigs Biennale will und kann sich den Boykott italienischer und amerikanischer Filmproduzenten, wie man ihn heuer zu spüren bekam, weiterhin nicht mehr leisten.

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Venedig versucht tief Luft zu holen: Im Juni 1976 soll endlich wieder eine glanzvolle Biennale stattfinden, und zwar in den Giardini, vor allem aber auch im Palazzo del Cinema am Lido, wo man sich nach dem Politdebakel von 1974 und der Filmpleite von heuer (mit einer Retrospektive „D. W. Griffith“ und „Kino der Freiheit“) wieder konventioneller und traditionalistischer geben will: Denn Venedigs Biennale will und kann sich den Boykott italienischer und amerikanischer Filmproduzenten, wie man ihn heuer zu spüren bekam, weiterhin nicht mehr leisten.

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Das heißt, reden wird man auch weiterhin über neue Filmstrukturen (Filmkomimissär Camtoettis „Vorschläge neuer Filme“ dienen dafür als Grundlage), aber zugleich soll am Lido wieder Filmpolitik wie vor dem großen Krach gemacht werden, denn auch die „Linke“ will sich die Starnaimen, die Show der Fellini-, Bertolucci-oder Visconti-Uraufführungen auf die Dauer nicht entgehen lassen.

Als einer der ersten arbeitet übrigens Regisseur Luca Ronconi an einer Erneuerung der Biennale: Sein Theaterfestival begann mit der Sechsstunden-Montage aus Aristophanes-Texten „Uto-pia“; eingeladene Gruppen wie die der Ariane Mnouchkine, prominente Regisseure, experimentelle Versuche sollen jedenfalls

Venedig wieder mit internationalen Theaterereignissen versorgen. Daß freilich heuer das meiste nur irgendwie, mehr improvisiert als geplant funktioniert, nehmen die Organisatoren leicht...

„Die neuen Machtverhältnisse im Rathaus werden vieles erleichtern“, gibt sich der Biennale-Präsident Conte Ripa di Meana optimistisch, der hofft, daß die neue Biennale über die „Kinderkrankheiten“ endlich hinauskomme und daß die Phase des Zerredens, der „paradoxen lähmenden Diskussionen, einer Don Quichotterie gegen den Film- und Kunstmarkt!“ endlich vorbei sei. Ripa di Meana hat vor allem für seine Position eine wesentliche Stärkung gefordert, und quasi nebenbei seine Fraktionskollegen dm

Rathaus wissen lassen, daß die Biennale mit dem bisherigen kargen 30-Millionen-Schilling-Bud-get kaum zu halten sein werde. Seine Forderung: Rund 90 Millionen Schilling jährlich.

Damit will er sowohl für eine 'Heranziehung neuer Publikumsschichten, als auch erneut für internationales Renomme sorgen. Grundlage der internationalen Aufwertung ist allerdings ein „Ausgleich“ mit den Nationen, die in den „Giardini“ Länder-Pavillons besitzen. Seit 1972 sind diese mehr oder minder unbenutzt, verursachen enorme Erlhaltungskosten, können aber weder von den Ländern noch von den Venezianern benützt werden. Diesen Ausgleich versucht Ripa di Meana nun herbeizuführen: Das Mitspracherecht am Biennale-Konzept bietet er den Länderkommissären dabei quasi als „Bonbons“ an. Der Biennale-Preis, der diese Veranstaltung zu einer Kunstschau nach Autosalonart machte, wird allerdings nicht wieder vergeben. Immerhin steht ein Thema vorerst für 1976 fest: „Mensch — Gesellschaft — Ambiente.“

Daß Ripa di Meana freilich auf die Dauer nicht auf die gegenwärtige Biennale-Struktur setzt, sondern mehr und mehr zu einer permanenten Kulturmanifestation übergehen möchte, die das unterbetreute Venedig das ganze Jahr über mit kulturellen Angeboten versorgt, ist klar.

Hauptbeweis dafür ist Venedigs neues internationales Projekt, mit dem man sowohl der Stadt ein Aktivitätenzentrum verschaffen, als auch die Biennale zu einer neuen Struktur „permanenter Projektrealisierung“ überführen will. So wurden international bekannte Maler, Bildhauer, Architekten, so Joseph Beuys, Ed Kienholz, Claes Oldenburg, Walther de Maria, Tinguely, Daniel Spoer-ri, Jörn Utzon, aus Österreich übrigens Architekt Gustav Peichl, eingeladen, für die seit 1955 stillgelegte „Stucky Mühle“ Nutzungsund Gestaltungsvorschläge auszuarbeiten.

Peichl stellte vor kurzem in der Wiener Akademie der bildenden Künste sein Projekt vor, das nun seit 15. September in Venedig in den „Saloni“ öffentlich zur Diskussion gestellt wird.

Basis für die Umgestaltung der „Stucky Mühle“ in ein Kommunikationszentrum Ist für Peichl die Rettung des schönen Rohziegelbaues (errichtet 1884). Nach gründlicher Untersuchung der Situation Venedigs hat er für sein Projekt die „Leitlinien“ gefunden; Peichls Vorschläge: eine Chance, die mit arger Platznot kämpfende Universität Venedig zu erweitern, 2u nützen... Schaffung einer „grünen Insel“, da Grünzonen in Venedig fehlen, und zwar durch Begrünung aller Terrassen, Dächer und Türme der Mühle (als Gegensatz zur monotonen Verbauung) ;... Wohnungen für etwa 300 Studenten und Professoren, offene Ateliers für Sommerakade-mien, Cafeterias, Planierwege... Ein gigantisches Kommunikationszentrum, und zwar auf der Linie seines beispielhaften Wiener „Freyung“-Projekts: Das stellt Peichl sich als Basis der Re-vitalisierungsmaßnahmen vor. Einen organischen Lebensraum, in dem die „originale Atmosphäre erhalten bleiben soll, der aber zugleich gesellschaftlich richtig funktionieren muß — alle Altersschichten müssen vorhanden sein! — wenn dieser Stadtteil auf der Insel Giudecca lebensfähig sein soll“. Kurz: eine „Isola verde“, auf der Wohnen, Arbeiten und Freizeitaktivitäten organisch zusammenhängen sollen.

Mit den Umbauten und Korrekturen plant er übrigens sehr vorsichtig vorzugehen: „In Anlehnung an historische Vorbilder und unter Bedachtnahme der Erhaltung wertvoller Bausubstanz enthält der Vorschlag lediglich Um-und Einbauten für flexible und vielfältige Nutzung im Rahmen einer umfangreichen Revitalisierung“, schreibt Peichl in seinem Einführungstext: „Neubauten werden nur als vertikale Aufschließung für Treppen, Lifte, Versorgung und Entsorgung in Form von Funktionstürmen“ — wie sie in Venedig eine alte Tradition sind — „den bestehenden Baukörpern zugeordnet. Dadurch wird die Möglichkeit für erforderliche Infrastruktur geschaffen. Das äußere Erscheinungsbild des Gebäudekomplexes bleibt erhalten, der Innenbereich und die gesamte begehbare Dachlandschaft werden in Anlehnung und Weiterführung der örtlichen Charakteristik total begrünt...“ Ein Projekt, das übrigens beweist, welche Möglichkeiten Wien sich zum Beispiel noch immer entgehen läßt, indem es das große Projekt „Freyung“ nicht in Angriff nimmt, aber auch welche nicht wieder gutzumachende Sünde man zu begehen im Begriff ist, wenn man zum Beispiel die Rossauer Kaserne niederreißen will. Handelt es sich doch hier um eine ähnlich interessante, das Stadtbild prägende Bausubstanz, wo eine ähnliche Funktion die gleiche Bedeutung für ein ganzes Wiener Stadtviertel bekommen könnte.

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