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Wagnis eines Gespräches

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Im Februar 1963 baten die beiden Ordensgenossenschaften, die bisher Lehrerbildungsanstalten in der Diözese Graz führten, den Bischof, doch auf diözesaner Ebene für die künftige Lehrerbildung Vorsorge zu treffen. Weder einer der beiden Orden allein noch die beiden gemeinsam sahen sich dazu in der Lage, weil eine solche Akademie notwendig in jeder Hinsicht auf einer zu schmalen Basis stehen würde. Wohl aber versicherten die Verantwortlichen ihre Bereitschaft, einerseits ihre bestehenden Lehrerbildungsanstalten in musisch-pädagogische Realgymnasien, also zu Zubringeranstalten für die Akademie, umzuwandeln, und anderseits auch nach Kräften an einer diözesanen Akademie mitzuwirken. Darüber hinaus hat die Generaloberin der Eggenberger Schulschwestern in großherziger Weise einen geeigneten Baugrund dem Bischof angeboten. Als der steirische Bischof dann in einer Konzilspause nach Prüfung aller Argumente den endgültigen Entschluß zum Bau einer katholischen Lehrerakademie in Graz faßte, da lag Johannes XXIII. im Sterben. Sein Geist echter, natürlicher Christlichkeit, sein Geist des Optimismus, der Weltaufgeschlossenheit, der Gesprächsbereitschaft und der Toleranz sollte nach dem ausdrücklichen Wunsch des Bischofs in dieser Anstalt weiterieben.

In der Überzeugung, daß auch das Bauwerk den Geist einer Schule mitbestimmt, wurde das Diözesanschulamt mit den Vorbereitungsarbeiten für den Bau der Akademie beauftragt. Ein vom Bischof berufenes Kuratorium, das in drei Ausschüssen arbeitet, wurde aktiv und verantwortlich schon im Stadium der Planung eingeschaltet.

Ein kleines Arbeitsteam, dem Landesschulinspektor Hofrat Dr. Hauser, der Direktor der LBA Prof. Göbhart, der Wettbewerbsreferent der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten Hochschulprofessor Architekt Dr. Schuster und der Vertreter des Schulamtes angehörten, erstellte ein Raumprogramm und die Unterlagen für einen Architektenwettbewerb (Ideenwettbewerb). Leitgedanke dieses Teams war: Die interessierte Architektenschaft sollte sehr klar in die geistige Gestalt des neuen Schultyps eingeführt werden und den möglichst endgültigen Raumbedarf kennenlernen. Sie sollten aber völlig frei von jeder Vorschrift hinsichtlich Form, funktionellen Zuordnungen, Material usw. sein, um eigenschöpferische Lösungen Vorschlägen zu können. Die Verantwortlichen erhofften sich damit wohl nicht ganz zu Unrecht neue Impulse für den etwas starr und fast schablonenhaft gewordenen Schulbau in Österreich. In Verfolgung dieses Leitgedan kens wurde vor Ausgabe der Wettbewerbsunterlagen — der Wettbewerb wurde auf Architekten, die in der Steiermark ihren Wohnsitz haben, eingeschränkt — eine Enquete veranstaltet, an der 60 Pädagogen und ebensoviel Architekten teilnahmen.

Zwei Kurzreferate befaßten sich mit der Idee der neuen Lehrerbildung und mit dem Gedanken einer christlichen Menschenbildung. Hofrat Dr. Hauser und Universitätsprofessor Dr. Hansemann vermieden als Referenten sorgfältig jede Beeinflussung oder Anregung in baukünstlerischer Hinsicht. Ein. lebendiges Gespräch zwischen Pädagogen und Architekten hatte seinen Anfang genommen, ein Gespräch, das seither in Graz wohl kaum abgerissen ist. Es war daher nicht verwunderlich, daß an den 15 eingereichten Projekten rund 40 steirische Architekten gearbeitet haben.

Eine Jury, die unter dem Vorsitz von Hochschulprofessor Architekt Dr. Schuster stand und sich im wesentlichen aus Fachleuten zusammensetzte, krönte das Werk der Planungsgruppe Domenig-Huth mit dem ersten Preis. Es war ein Projekt, von dem wohl sehr wenige annahmen, daß es realisiert werden würde. War doch Mar, daß es von den gewohnten Schulbauvorstellungen sehr weit abwich und darüber hinaus die in unseren Gegenden für den Hochbau und schon gar für den Schulbau ungewohnte Sichtbetonbauweise erfordern wird. Zudem bot sich als zweiter Preis eine Lösung an, die scheinbar beim Bauern wenig Unbekannte geboten hätte. Nachdem die Prüfung der Frage der Wirtschaftlichkeit eher zugunsten des ersten Preises ausfiel und viele Bedenken gerade gegen den Beton entkräftet waren, entschied sich der Bischof mit den Worten: „Wir bauen nicht für gestern und nicht für heute, wir bauen für morgen und übermorgen. Wir müssen wie Johannes XXIII. den Mut zum Wagnis und das Vertrauen zu den Menschen haben.“

Das Modell der jungen Architekten Diplomingenieur Ormenig und Diplomingenieur Huth zeigte schon, wie sehr sie auf den Gedanken der Begegnung, des Gespräches eingegangen waren. Es war ihr Herzensanliegen, überall, in der Übungaschule, in den Internaten, im eigentlichen Akademiegebäude, aber auch in den umgebenden Freiräumen Stellen und Berichte zu schaffen, die zum Gespräch, zur Diskussion einladen. Bewußt wurden nur für die halbe Schülerzahl der Übungsschule Internatsplätze vorgesehen, damit schon bei den Kleinen die ständige Begegnung zwischen den Internatskindern und den externen Kindern vorhanden ist. Ebenso kann das Akademikerinternat nur einen Teil der Studierenden aufnehmen, während der Großteil extern lebt. Hier wurden zur Förderung des ständigen Dialoges die Begegnungsräume wie Klubzimmer, Bibliothek und Studierzimmer als bauliches Glied zwischen dem eigentlichen Lehrgebäude und dem Akademikerinternat eingeschoben. Auch im Internat selber sind die Wohneinheiten zu Gruppen zusammengefaßt, die der Entfaltung der Einzelpersönlichkeit wie der Gemeinschaftsbildung Raum bieten. Nicht große Gemeinschaftsräume, sondern gemütliche Nischen und Ecken mit Sitzgelegenheiten stehen zur Verfügung. Im eigentlichen Akademikergebäude wurde das Lehrkanzelsystem dem Klassensystem vorgezogen. Seminarraum, Lehrmittelraum beziehungsweise Handbibliothek und Zimmer des Professors bilden jeweils eine Einheit. Wiederum haben es die Architekten verstanden, wie zufällig Räume anzubieten, die zum Verweilen, zum Fortsetzen eines auf der Stiege oder im Seminarraum begonnenen Gespräches verlocken. Geistiger Mittelpunkt ist die Kapelle. Sie ist im Brennpunkt eines großen freien Raumes von allen Gebäudeteilen aus sichtbar angeordnet: keine bauliche Dominante, aber Herzstück der ganzen Anlage.

Das Gespräch zwischen Architekten und Pädagogen hatte begonnen, das Gespräch zwischen Architekten und Bauherrschaft funktionierte, das Gespräch war als Gestaltungsprinzip in die Bauidee eingegangen. Würde es gelingen, das Gespräch zwischen Architekten und bauausführenden Firmen, ja selbst das Gespräch zwischen den wichtigsten am Bau beteiligten Firmen zustande zu bringen? Das war die große Frage, vor der alle bange standen. Nur ein Einfühlen aller Beteiligten in die Grundidee, die Bereitschaft, sich einzuordnen, Verzicht, sich „durchzusetzen“, kann zum Erfolg führen. Radikale Vereinfachung in Form und Material, aber höchste Anforderung an Qualität bedeuten auch große Anforderungen an die innere Bereitschaft aller am Bau Beteiligten, nicht zuletzt aber der Bauarbeiter selber. Nachdem nun die Übungsschule in Betrieb genommen ist, die Internate zum Großteil im Rohbau fertigstehen, soll mit Freude und zur Ehre der österreichischen Arbeiter gesagt werden, daß in Eggenberg ein ArbeitsMima entstanden ist, das alle Besucher in Staunen versetzt. Und der Besucher sind viele: Fachleute aus Österreich, der Schweiz, aus Deutschland, Jugoslawien, Bulgarien; Touristen, die zufällig in die Muirmetropole kommen, und viele, sehr viele Grazer. Sie schauen, sie staunen, sie entsetzen sich, sie bewundern, sie äußern Zweifel, sie diskutieren — aber sie können nicht schweigen, sie können nicht Vorbeigehen. Die Akademie in Graz-Eggenberg, die so sehr auf das Gespräch ausgerichtet ist, sie fordert zur Diskussion heraus.

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