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Der Wiederaufbau der Staatsoper in Wien

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Der einst glanzvolle Bau am Opernring, der sozusagen die Ringstraßenarchitektur einleitete, ist heute durch die Kriegsereignisse schwer mitgenommen. Wird der Wiederaufbau des Inneren den alten Plänen folgen, sie restlos übernehmen, oder wird er ein Kompromiß eingehen mit den notwendigen Forderungen, die heute an ein solches Haus gestellt werden, oder wird unabhängig von den ehemaligen Raumelementen ein neuer Weg der Gesaltung beschritten werden?

Das zuständige Ministerium für Handel und Wiederaufbau hat einen allgemeinen Wettbewerb zur Klärung dieser Fragen und zur Erlangung der notwendigen Entwürfe unter den österreichischen Architekten ausgeschrieben. Das Ergebnis dieses Wettbewerbs war nicht befriedigend. Ein zweiter, engerer Wettbewerb scheint nun in die vorhin aufgeworfenen Fragen Klarheit zu bringen. Aus kurzen Mitteilungen der Presse wie aus einem Diskussionsabend im Ingenieur- und Architektenverein ist zu entnehmen. daß zumindest dieser Wettbewerb unter den einzelnen Teilnehmern Fragen aufgeworfen hat, die ihrer prinzipiellen Natur nach erfaßt und auch erörtert werden müssen. Hier ist entscheidend die erste, die sich erhebt: Rekonstruktion oder Wiederaufbau.

1869 wurde das alte Opernhaus eröffnet, bis zu seiner Zerstörung sind also 75 Jahre an ihm vorübergezogen, Jahre, in denen die Gesellschaftsordnung, auf die das Haus damals abgestimmt war, versdiüttet wurde wie dieses selber. Das Prinzip des reinen Logentheaters wird also konsequent nicht mehr zu halten sein. Wie schmerzlich es den damaligen Baukünstlern war, während des Baues die dritte Galerie einzugliedern und hier das umlaufende System der Logen zu durchbrechen, ist bekannt. Ebenso sind auch die Nachteile dieses Eingriffes in die damalige Planung, also die Mängel der dritten Galerie mit ihrer schlechten Akustik und schlechten Sicht, bekannt. Eine reinere Konstruktion müßte also das Logensystem, wie es war, in seinem ganzen Aufbau durchführen, und nur so wäre die Rekonstruktion annähernd das, was wir unter dem einstigen Festraum verstanden.

Geben wir das Logensystem als Grundlage der Gestaltung ganz oder teilweise auf, so ist es klar, daß wir damit die Van der Nüll- sche Raumkonzeption zerstören und somit neue Wege der Gestaltung gesucht werden müssen. Ein verstümmelter Van der Null kann uns auch bei Übernahme dekorativer Teillösungen niemals den Festraum wiedergeben, den wir in der Erinnerung als schmerzlichen Verlust zu beklagen haben.

Eine gründliche Revision der baulichen Voraussetzungen, wie die heutigen praktischen Forderungen an einen festlichen Zuschauerraum, müssen also das Grundrißlichc und damit auch das gestalterische Gefüge im Zuschauerraum gegenüber dem früheren wesentlich ändern. Hiezu kommen noch all die Fragen hinsichtlich des Bühnenaus- schnittes, des Bühnenrahmens, des Proszeniums der Decke wie der Wandgestaltung. Mit diesen Elementen als den Hauptgrundlagen muß der neue Festraum gestaltet werden. Dazu kommt, daß die stark traditionelle Kunstform der Oper als festliches Singspiel nach einer Stätte verlangt, die ihrer Würde und Bedeutung entspricht, zumal in Wien, wo Mozart und Beethoven diese Kunstform entscheidend mitgestaltet haben. Der Raum also, der den Zuschauer aufnehmen soll, muß diesen an sich schon in eine gehobene Sphäre versetzen. Er muß wohl der Tradition Rechnung tragen, wird aber den praktischen Erfordernissen unserer Generation, die nun vor der Aufgabe steht, ihn neu zu schaffen, kompromißlos nach- kommen.

Die am Mittwoch, den 21. Jänner, er- öffnete Ausstellung bringt vor allem zwei Projekte zur Diskussion. Es ist dies einerseits das Projekt des Architekten G. Boltenstern, der in Anlehnung an Van der Nüllsche Teilmotive die Lösung zu finden sucht. Die grundrißlichen Forderungen an den neuzugestaltenden Zuschauerraum sind in diesem Projekt im wesentlichen erfüllt. Das Logensystem wird zugunsten von Galerien im Mittelfeld aufgegeben. Die seitlich angeordneten Logen bleiben so nur Rudimente und schließen den Raum nicht mehr einheitlich. Um der vierten Galerie bessere Sicht zu ermöglichen, sind die Pfeiler, auf denen ehemals die Decke ruhte, weggelassen. Der ganze Raum wird nun von der vierten Galerie an hufeisenförmig mit einer flachen Decke überwölbt. Abgesehen davon, daß dies zur ehemaligen geschlossenen Raumauffassung im Widerspruch steht der alte Raum bezog die Decke als wesentliches, gestaltendes Element ein —, kann auch die barockisierende Bemalung derselben mit dem übrigen auf Van der Nüll abgestimmten Dekor nicht recht in Einklang gebracht werden. Das Proszenium mit den Hoflogen wird als Torso wieder aufgebaut.

Das Projekt des Architekten O. Prossinger (Mitarbeiter F. Cevela) verzichtet bewußt auf die Übernahme des Van der Nüllschen Dekors oder auch nur auf Anklänge daran. Proszenium, Bühnenausschnitt und Logenwende sind zu einer Einheit zusammengefaßt und bilden so einen festlichen Raum, der durch die Entwicklung der Decke, die im Gegensatz zum ersten Projekt oberhalb der Logenbrüstungen architektonisch abschließt, den Raum auch nach oben entschieden schließt. Die Ausmittlung der Pfeiler in den Logen und Galerien ist bestrebt, den Raum möglichst rationell und ökonomisch zu verwerten und so Zuschauerfläche zu gewinnen. Die Anlage einer Galerie in Höhe der ehemaligen Parterrelogen erweitert den Fassungsraum gegen früher um ein Beträchtliches. Ebenso sind die inneren Kommunikationen, wie Zü- und Abgänge umlaufende Korridore, als auch die Pausen- und Festräume sichtlich aus dem Grundriß organisch entwickelt. Trotz Beibehaltung der für die Oper geforderten abgeschlossenen Bühne war der Projektverfasser bemüht, durch Erweiterung der Vorbühne dem modernen Regisseur wie Bühnengestalter Rechnung zu tragen. Dieses Projekt verzichtet von vornherein auf jede Art historisierender Reminiszenzen.. Das Einzeldekor könne ja doch nicht mehr in dem uns heute fremden Geist Van der Nüll- scher Konzeption noch in dem seiner Vorbilder produktiv-schöpferisch nachgebildet werden, es darf aber auch nicht allzu pro- nonciert-modern konzipiert sein, sondern muß sich diskret dem ehrwürdigen Innenraum mit seinen stolzen Erinnerungen angleichen. Das Projekt Prossingers sucht den Weg einer solchen Lösung.

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