Künstlerhaus vor dem Aus

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Das Wiener Künstlerhaus wird seine Arbeit einstellen müssen. Zehn Millionen Schilling würden zum Weitermachen reichen - doch die will niemand zahlen.

Das Künstlerhaus ist ein kleines Centre Pompidou: Musik, Film, neue Medien, Architektur, Malerei: kein anderes Haus eignet sich so hervorragend zum Crossover", sagt Architekt Manfred Nehrer. Seit 1995 ist er Präsident des Künstlerhauses. Aus einem traditionsreichen Haus mit verstaubten Image wurde ein multimedial bespielter, junger, schillernder Kunstraum. Nun drohen die Räume im buchstäblichen Sinn zu verstauben - dann nämlich, wenn das Haus seinen Betrieb aus Geldmangel einstellen muss.

"Ghost story", "fast forward", "Den Fuß in der Tür", "Sounds&Files", "stealing eyeballs" oder die noch bis 9. September laufende Schau "Global tools" brachten zeitgenössische Trends und Strömungen pulsierender Stadtkultur ins Museum, die an keinem anderen Wiener Kunstort aufgenommen werden. "Statt musealer Kunst wollen wir junge Kunst fördern und neue Entwicklungen zeigen", definiert Nehrer die Linie des Künstlerhauses. 1868 eröffnet, war es das erste von Künstlern selbst errichtete Ausstellungs- und Vereinshaus im deutschsprachigen Raum. Architekt August von Siccardsburg war Gründungspräsident, Rudolf von Alt, Oskar Kokoschka Ehrenmitglieder, die Kette prominenter Vereinsmitglieder reißt nicht ab: Christian Ludwig Attersee und Adolf Frohner sind nur zwei davon.

Mit minimalem Kosten- und Personalaufwand gelang ein mutiges, eigenwilliges Programm, das vom Publikum auch angenommen wurde. "Wir machen Ausstellungen um 1,5 bis 2,5 Millionen Schilling, die anderswo das zehnfache kosten", so Nehrer. Einnahmen aus Kino, Theater, Restaurant, Veranstaltungen, steigenden Besucherzahlen und erfolgreichem Sponsoring haben ein kleines wirtschaftliches Kunstwunder bewirkt. Zu Nehrers Amtsantritt betrug der Eigendeckungsgrad des Hauses 20 Prozent, mittlerweile ist er auf 52 Prozent angestiegen. "Klar ist allerdings, dass sich zeitgenössische Kunst nie zur Gänze decken kann", weiß Nehrer.

Selbst bei jährlich um 20 Prozent steigenden Besucherzahlen und professionellstem Management kann das Künstlerhaus nicht ohne Subventionen aus- und seiner Bestimmung nicht mehr nachkommen. Die Statuten verpflichten dazu, zeitgenössisches Schaffen aufzuzeigen. Maler, Bildhauer, Architekten, Filmemacher, angewandte Künstler sind in den Sektionen vertreten. Das "Crossover" entspricht dem Haus mit seinen fast 500 spartenübergreifenden Mitgliedern auch inhaltlich, kein starker Kurator bestimmt über das Programm, das Ausstellungskomitee entscheidet. Bahnbrechende Reihen wie ein von Hortensia Völckers zu den Wiener Festwochen kuratiertes, 24-tägiges Projekt waren hier in Kino, Theater, Ausstellungsraum und Vorträgen multimedial präsent. In künstlerischer Identitätssuche wurden Bruchlinien der Globalisierung erforscht.

Etwa 20 Millionen Schilling beträgt das Jahresbudget, es deckt Betriebs- und Personalkosten. "Wir agieren sehr wirtschaftlich", so Doris Rothauer, seit 1997 Geschäftsführerin des Hauses. Eigenaktivitäten werden getrennt budgetiert, projektbezogen reicht man um Förderungen ein." An die zwei Millionen bekam man bisher vom Bund, etwa genauso viel von der Stadt Wien, außerdem gab es einen bestandssichernden Mietvertrag mit dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst. Der brachte an die acht Millionen Schilling im Jahr plus Betriebskosten. Dafür stellte das Künstlerhaus ein halbes Jahr lang seine Säle den Bundesmuseen zur Verfügung. Bespielt wurden die 2.000 Quadratmeter meist vom Kunsthistorischen Museum.

1997 wurde der Mietvertrag abgeschlossen, eine längerfristige Zusammenarbeit war in seiner Präambel vorgesehen. Nun will das Kunsthistorische Museum davon nichts mehr wissen, mit 31. Jänner läuft der Vertrag aus. "Immer war bekannt, dass der Vertrag befristet ist", versteht Pressesprecher Ronald Zecha die Aufregung nicht. "Das Künstlerhaus war ein willkommenes Ausweichquartier. Wir haben darin während der Übersiedlung ins Museumsquartier Exponate aus dem Palais Liechtenstein zeigen können. Nun besteht kein Bedarf mehr."

Dieser Argumentation kann Nehrer nicht folgen. "Die Ausstellung ,Zwischenquartier' lief drei Monate. Wir haben in diesen fünf Jahren viel anderes gezeigt, das mit der Übersiedlung ins Museumsquartier nichts zu tun hat." So zeigte das Bundesministerium in den angemieteten Räumen beispielsweise "Jemen", "Die Schätze der Kalifen", "Das Land der Bibel", "Historismus", "Max Weiler". An die plötzliche Bedarfslosigkeit kann Nehrer nicht wirklich glauben. "Wir könnten nach wie vor zu geringen Kosten Ausstellungen für das BMUK ausrichten. Mit unserer Größe, vielfachen Bespielbarkeit und Vereinsstruktur sind wir mit keinem Kunsthaus vergleichbar".

Das Auslaufen des Vertrages bedeutet das sichere Aus für beinahe alle Aktivitäten. "Wir sind nicht zuständig. Alle Kunsthäuser sind Landessache, sie fallen nicht in unsere Kompetenz," so Zecha. Einen persönlichen Gesprächstermin mit Kulturministerin Gehrer erhielt Nehrer nicht: "Wir fühlen uns vor den Kopf gestoßen." Zwar gab es Gespräche auf höchster Sektionschefebene, der politische Wille zum strikten "Nein" blieb. Zecha: "Wir wollen dem Künstlerhaus nicht schaden. Zuerst müssen wir erledigen, was in unsere ursprüngliche Kompetenz fällt. Das ist die Überführung der Nationalbibliothek in die Vollrechtsfähigkeit, die kann man nicht links liegen lassen. Dann sind die Bundesmuseen dran. Dazu das Museumsquartier. Grundsätzlich gibt es keine Gelder, weil keine da sind. Wenn was da wäre, sähe die Geschichte anders aus".

"Das Museumsquartier darf keine Ausrede sein für die Nichtförderung des Künstlerhauses. Wenn es eine so heiße Institution für zeitgenössische Kunst gibt, sollten sich die Verantwortlichen die Finger abschlecken," ärgert sich Dieter Bogner. Adolf Frohner schlägt in dieselbe Kerbe: "Ich bin sehr traurig, dass man eine Institution wie das Künstlerhaus verkommen lassen will. Diese Haltung zeigt wieder einmal das Desinteresse der Regierung an der zeitgenössischen Kunst."

Der Bund ist nicht der einzige öffentliche Geldgeber, bei dem Nehrer auf ziemlich taube Ohren stößt. Zwischen Stadt Wien, Ministerium und Kunstaatssekretariat wird das legitime Anliegen nach nötigen Zuschüssen von etwa 10 Millionen Schilling wie ein glühendes Stück Kohle, das niemand aus dem Feuer holen will, hin und her geschoben. Auch die von Ex-Finanzstadträtin Brigitte Ederer einst getroffenen Zusagen über 61 Millionen Schilling für den Umbau der Karlsplatzpassage werden nicht eingehalten. Das ursprünglich rege Interesse des historischen Museums der Stadt Wien am anspruchsvollen Entwurf der Architekten Jabornegg/Palffy ist aufgrund von Einsparungsmaßnahmen erlahmt. Die Planungskosten des öffentlichen Raumes der Passage soll das Künstlerhaus nun selbst tragen. "Die Stadt Wien behandelt uns diesbezüglich wirklich schlecht", so Nehrer. Trotz beeinträchtigender Baustelle fanden 180 Menschen pro Tag den Weg in die "Global tools".

"Nicht erwünscht"

"Ich bin betroffen, wie stark der Bund sich hier aus der kulturellen Verantwortung zieht", meint Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. "Das Künstlerhaus macht zukunftsweisende, gute Arbeit. Es zeigt Projekte, die man sonst nirgendwo sieht." Immerhin bemüht er sich im persönlichen Kontakt mit Künstlerhauspräsident Nehrer und Geschäftsführerin Rothauer um Schadensbegrenzung. Allerdings: "Ich kann aber nicht zur Gänze einspringen, wenn der Bund so massiv kürzt". Im Jahr 2000 subventionierte die Stadt Wien mit etwa zwei Millionen, heuer kann sich Mailath-Pokorny vorstellen, bis zu vier Millionen zuzuschießen. "Den Rest muss man anders finden." Sein Vorschlag, an einem Tisch zu verhandeln, lässt sich nicht verwirklichen, Dialogbereitschaft zeigte bisher niemand.

Im Vergleich zum kulturellen Mehrgewinn, den das Künstlerhaus Wien als einzige Plattform junger, unkonventioneller Kunst bringt, ist der überlebenswichtige Betrag von etwa zehn Millionen pro Jahr eine Lappalie. Allein die Ausstellung "Dennis Hopper" im MAK kostet etwa genauso viel. Staatssekretär Franz Morak war urlaubsbedingt schwer erreichbar, hat aber grundsätzliches Interesse nicht verwehrt. Er wird die Budgetlücke auch nicht stopfen. "Das Künstlerhaus ist schon jetzt einer der größten Förderempfänger. Wir können nur im Rahmen der Ausstellungen zuschießen, für Betriebskosten sind wir nicht zuständig", so die Pressestelle. Einen Gesprächstermin wird Nehrer Ende September erhalten. "Wir sind in einer Situation, in der wir betteln gehen müssen, obwohl wir eine ungeheure kulturelle Leistung bringen", ist Nehrer wütend und verzweifelt. "Offensichtlich ist experimentelle, junge Kunst nicht erwünscht."

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