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Spektakel & sensible Visionen

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Was haben das Großereignis und Massenspektakel einer Weltausstellung und die Stille und Ernsthaftigkeit der Kunst mitein- ander zu tun? Ich versuche eine Antwort.

Vieles soll neu sein an dieser Weltausstellung 1995 in Wien und Budapest. Neu ist schon, daß erst- mals in der Geschichte der Welt- ausstellungen zwei Städte den Zuschlag erhielten eine gemeinsa- me EXPO zu veranstalten, neu ist auch, daß von Anfang an vom Pari-

ser Bureau International des Expo- sitions gefordert wurde, daß sich zwei Kulturnationen, Österreich und Ungarn, mit Kunst und Kultur auseinandersetzen und darstellen müssen. Und neu ist schließlich, daß sich neben den EXPO-Gelän- den, auf denen die Präsentationen der Nationen, die Pavillons der Themen und Weltfirmen zu sehen sein werden, und neben den sie umgebenden Metropolen, Wien und Budapest, auch die Bundesländer, beziehungsweise die Komitate in den Kreis der Veranstalter und Dar- steller einreihen, daß sie mitden- ken und mitplanen wollen. Nicht nur in den Bundesländerpavillons sondern auch in den Bundeslän- dern selbst werden sie sich präsen- tieren, in der Hoffnung, daß ein Teil der erwarteten 20 Millionen Besu- cher auch nach Tirol und Salzburg, in die Steiermark und nach Linz reisen wird. Niederösterreich und Burgenland als die Bundesländer, die unmittelbar betroffen sind von Infrastrukturmaßnahmen, von Rei- serouten und Übernachtungen, sind selbstverständlich in den Kreis der Betroffenen einbezogen.

Diese drei Bereiche gilt es mit Inhalt zu füllen, soll nicht die Welt- ausstellung als leerer Sack verkauft werden.

Was Kunst und Kultur für Öster- reich bedeuten weiß jeder, der im Ausland erlebt hat, daß Salzburger Festspiele und Wiener Staatsoper, daß Lipizzaner und Sängerknaben, daß Schloß Schönbrunn und die Kaiserin Sisi, daß die Wiener Phil- harmoniker und die Wiener Schrammein bekannt und berühmt und auf alle Fälle unverwechselbar

sind. Gegenüber dem Phänomen, daß unsere Historie und unsere traditionelle Kultur bekannter sind als unsere Moderne haben wir mit der Weltausstellung eine Chance zu zeigen, was Österreich in der Gegenwart leistet, welche künstle- rischen und technischen, welche zukunftsträchtigen Projekte hier- zulande entwickelt und in alle Welt geschickt werden. Vielleicht sogar auf einem Schiff von Budapest bis Rotterdam, das Ausstellungen zeigt und Theater,“ auf dem Musik ge- spielt wird und Kongresse stattfin- den als Werbung für die Weltaus- stellung schon ab 1992.

Die Weltausstellung gibt die ein- malige Chance, Werte zurechtzu- rücken und Inhalte neu zu definie- ren. Geschichte kann kein Polster sein zum Ausruhen, sondern sie bietet die Ausgangsbasis für Neu- es, den Start zu neuen Zielen. Wis- senschaft und Kunst stehen nicht nur für Randfragen der Gesellschaft sondern für zentrale Überlegungen: Wo stehen wir? Wo geht der Weg weiter? Was haben wir zu sagen am Ende des zweiten Jahrtausends, am Beginn einer Neuorientierung in Mitteleuropa.

Wo liegt bei- spielsweise unser Beitrag zur Spra- che, zum Leben mit Minderhei- ten, wie sieht unsere Definiti- on des Raumes aus, in dem wir leben - der Do- nauraum, aber auch der Stadt- raum -, welche Verantwortung und welche Op- fer sind wir be- reit für die Um- welt zu leisten und was hat zu all diesen zutiefst

menschlichen und gesellschaftli- chen Fragen die Kunst beizutra- gen? Zu diesen Themen wird es Ende Juni eine Enquete geben, an der Ungarn und Österreich aber auch andere Nachbarländer teilnehmen werden, und von der Impulse und Anregungen zu erwarten sind.

Immer deutlicher wird es, wie sehr wir alle verantwortlich sind für die Zukunft unserer Erde. Keiner kann sich davonstehlen und im Elfen- beinturm die Stürme der Zeit über- dauern. Wir müssen einsteigen in die Aufgaben und Nöte der Zeit und haben keine andere Wahl als mitzutragen und mitzuhandeln auf dem Weg ins dritte Jahrtausend.

Wer sonst als Künstler und Wis- senschaftler haben hier ihre eigent- liche Aufgabe. Wer außer ihnen besitzt die Sensibilität und die Visionen, aber auch die Kraft zu handeln, selbst im luftleeren Raum? Die Weltausstellung als Aufgabe für die Kunst und die Wissenschaft, neue Inhalte zu schaffen und neue Ziele zu fordern. Sicher geht es da auch um Details wie Museumsöff- nungszeiten und Opernaufführun-

gen im Sommer, um gutes Design und Musik, um Theater und Aus- stellungen auf dem EXPO-Gelände und in den Städten. Letztlich geht es aber um einen umfassenden neuen Ansatz.

Die Weltausstellung verlangt Wahrhaftigkeit und überregiona- les Denken. Kleingeist und Provin- zialismus, Angst vor klaren und eindeutigen Aussagen müssen ei- nem positiven und mutigen Den- ken und Handeln Platz machen. Opportunismus und Kompromiß- bereitschaft, sonst Lieblingsmodel- le unserer Gesellschaft, sollten kei- nen Platz finden.

Wir sind ein kleines Volk, aber wir haben Nachbarn, die um ihre neuerworbene Freiheit ringen, die erst lernen müssen mit ihr umzuge- hen. Können wir ihnen etwas bei- bringen oder haben wir schon wie- der die Geschichte verspielt? Ha- ben wir unsere nachbarschaftliche Aufgabe begriffen und strecken un- sere Hand zur Hilfe aus. Eine Hand, die zupackt und nicht losläßt in der Not, in Sorgen und Problemen?

Die Kunst hat wieder eine wirk-

liehe Aufgabe,nach 150 Jahrenl'art pour l'art und der Überzeugung, daß gesellschaftliche Einbindung Fesseln bedeute und nur die totale Freiheit Kunst ermögliche. Heute sehnt sich die Kunst wieder nach dem gesellschaftlichen Auftrag, nach Aufgaben, denen sie sich ver- pflichten kann.

Es gibt beispielsweise die Idee, daß in jedem Konzert des Jahres 1995 eine Erst- oder Uraufführung gespielt wird. Eine andere Idee ist die eines nonverbalen Theaters, das von Österreich aus in die Nachbar- länder zieht um Gemeinsamkeiten im Spiel, im Tanz, in der Pantomi- me zu suchen. Es gibt den Vor- schlag für ein Jugendparlament, das über 1995 bestehen bleiben und für die Probleme der Jugend wichtige Funktionen übernehmen könnte. Vielleicht strömen zur Zeit die Projekte und Visionen etwas zu üppig, aber der schöpferischen Phantasie sollen keine Zügel ange- legt werden. Reduzieren ist immer noch möglich, wenn zu viele Pläne oder zu wenig Geld vorhanden sind.

Natürlich ist eine Weltausstel- lung ein Massenspektakel. Etwa 20 Millionen Menschen werden die EXPO besuchen, sie sind 20 Millio- nen Individuen: aber die meisten von ihnen wollen unterhalten wer- den. Das soll geschehen und soll nicht gering geachtet werden. Die wenigen aber, die auf der Suche sind, die gilt es zu treffen und ihnen zuliebe - das mag vielleicht etwas pathetisch klingen - wird die Welt- ausstellung veranstaltet. Sie wer- den es sein, die den Gedanken von Europa, von Humanität und von einer friedlichen Zukunft weiter- tragen. Dazu mag die Weltausstel- lung Anstoß und Anlaß sein

Die Autorin ist die Kulturkoordinatorin des Bundes im Sekretariat des Lenkungsausschus- ses und ist befaßt mit den Kunst-, Wissenschafts- und Kulturprojekten der Bundesmuseen, der Hochschulen und Universitäten, der Bundes- theater, der Bundesländer und einzelner Künst- ler und Wissenschaftler.

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