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Kosmopolis an der Donau

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Österreichische Alemannen und ungarische Haiducken bilden in diesen Tagen eine seltsame Gesinnungsgemeinschaft: in Vorarlberg wie im Komi tat Hajdu wollen die Lokalpatrioten von der geplanten Weltausstellung Wien-Budapest 1995 am liebsten nichts hören. Sie blicken auf die Landkarte, zählen die Kilometer und stellen fest, daß der ferne Westen beziehungsweise der ferne Osten auf die materiellen Segnungen der EXPO wohl werden verzichten müssen. Da wie dort hat das finanzielle Kalkül die Idee des schöpferischen Uni vers alismus verdrängt.

Die Rechnungen sind freilich falsch. Die Weltausstellung ist mit den Maßen der Umwegrentabilität, des unmittelbaren Nutzens nicht zu messen-, ihre Ausstrahlring kann und muß den ganzen Kontinent, ja den gesamten Globus miteinb eziehen, mit innovativen Impulsen beleben. Im Motto „Brücken in die Zukunft“ liegt die Verpflichtung, nicht nur die Forschung und die Technik, sondern auch die Gesellschaftsstruktur und das Menschenbild des kommenden Jahrhunderts ins Auge zu fassen. Eine bunte, jahrmarktähnliche Präsentation handfester Leistungen wäre zu wenig. Die EXPO muß den Geist, der in den Dingen steckt, begreifbar machen.

Dieser Geist, den es noch genauer zu fassen gilt, ist nicht von heute auf morgen entstanden, sondern wurzelt in der Geschichte. Folglich hat die Weltausstellung auch eine historische Dimension. Sie wird auf den Rückblick, auf die Darstellung und Neubewertung vergangener kulturhistorischer Prozesse an den Punkten nicht verzichten können, an denen die Wurzeln gegenwärtiger und zukünftiger Vorgänge freigelegt werden müssen. Nicht ohne Grund wendet sich der Blick in unserer Epoche, in der die Illusion der simplen Machbarkeit menschlichen Glücks zusammengebrochen ist, den organisch gewachsenen Strukturen zu. In ihnen liegt die Antwort auf quälende Fragen verborgen.

Die zu erwartende Vielfalt der Präsentationen wird wohl einhöchst pluralistisches, schwindelerregendes, da und dort das menschliche Maß sprengendes Ganzes ergeben-, die Selbstbespiegelungen einzelner Nationen, Weltorganisationen, Unternehmungen und kleinerer Einheiten werden eigenwillige Ausformungen zeigen. Umso wichtiger erscheint, daß Wien und Budapest, Österreich und Ungarn sich in diesem geordneten Chaos klar zu erkennen geben. Der geistige Reichtum beider benachbarten, miteinander mannigfaltig verbundenen und doch so unterschiedlichen Länder liegt aber im Kulturellen.

Gerade darüber wurde bisher, wie es scheint, wenig nachgedacht. Die fünf oder sechs Jahre, die zurVerfü- gung stehen, verfliegen aber schnell. Es ist hoch an der Zeit, die kulturelle Dimension der Weltausstellung wenigstens im Umriß zu skizzieren.

„Brücken in die Zukunft" schlagen, heißt, die zukünftige kulturhistorische Epoche, die wir selbst formen, unserer eigenen Gesinnung entsprechend darzustellen. „Der Gedanke geht der Tat voran, wie der Blitz dem Donner“, meinte Heinrich Heine. Es ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, auch die Denkansätze, die in dem von Erhard Busek herausgegebenen Buch „Visionen“ formuliert worden 6ind, weiterzusp innen. Unterschiedliche Bestrebungen in Österreich und in Ungarn können als Beispiele dienen: Abkehr von der billigen Äußerlichkeit, Hinwendung zur geistigen Substanzl

Die kulturellen Verbindungen werden - bei einer EXPO Wien- Budapest erscheint das selbstverständlich - den gesamten Donauraum als vielfältige Einheit mite inbeziehen müssen. Doch werden die Veranstalter nicht vergessen dür- fen, daß sie gerade im Rahmen einer Weltausstellung die engere und weitere Heimat mit der Welt zu verbinden haben. Gerade auf kulturellem Gebiet kann jener Universalismus zum Ausdruck kommen, der die Künstler aller Völker vereint. Hat man an eine Weltausstellung der bildenden Künste, an einen Wettbewerb großer Komponisten, Orchester und Solisten, an eine einzigartige Tribüne der Weltliteratur gedacht? Hat man ein Weltfestival der Theater und des Films nicht vergessen? Ist man dabei, jene Philosophie der Weltausstellung zu definieren, die geeignet ist, für die Kulturen der Entwicklungsländer und der industriell hoch entwickelten Staaten einen gemeinsamen Nenner zu finden? Und hat man bedacht, daß im Jahre 1995 die schöpferischen Geister in Wien und in Budapest die einmalige Gelegenheit haben werden, sichtbare Zeichen dieser menschheitsvereinenden Kraft mitzuformen?

Die abgeschmackte Antwort lautet: Wir sind noch nicht so weit, wir haben noch genügend Zeit, die ven- schiedenen fachkundigen Gremien werden schon ihre Pflicht tun. Doch Visionen kann man solchen Gruppen von Berufsmitdenkem nicht überlassen - sie verlieren die Kraft der Inspiration und einigen sich schließlich auf dem Niveau der Schwächsten. Wien und Budapest, Österreich und Ungarn müssen ihre besten Denker, ihre originellsten Geister mobilisieren, und zwar gleich. Die Zeit drängt. Es liegt nur am Wollen der Zuständigen, ob sich die Weltausstellung als eine grandiose, aber wirkungslose Show präsentiert, oder ob sie geeignet sein wird, den Zeitgeist einer zukünftigen Epoche, wie wir ihn begreifen, in Erscheinung treten zu lassen.

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