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Lincoln Center

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„EINE NEUE ART VON KULTURINSTITUTION.’’ Mit diesen knappen Worten beschrieb John D. Rockefeller III. der Präsident der Lincoln-Center-Gesellschaft, vor kurzem das Projekt das den Bau des größten, modernsten und — teuersten Kulturzentrums der Welt vorsieht. Dieser Traum eines Mannes, der selbst keinen richtigen Ton singen kann, wird rund 75 Millionen Dollar kosten. Das Echo, das er damit unter den amerikanischen Künstlern und Kunstfreunden findet, ist freilich gewaltig. „Lincoln Center ist das kühnste und bedeutendste Projekt seiner Art”, begeisterte sich ein prominenter amerikanischer Künstler.

Das „Lincoln Center for the Performing Arts”, wie sein voller Name lautet, wird am Lincoln Square in New York auf einem Areal entstehen, das größer ist als der Markusplatz in Venedig und das von der Amsterdam- und der Columbus-Avenue, der 62.’und der 66. Straße begrenzt wird. Unweit vom Broadway wird dort eine Kulturstadt entstehen, die folgende Bauten umfassen soll:

• Ein neues Opernhaus für die Metropolitan Opera,

• eine Konzerthalle der New-Yorker Philharmoniker,

• ein neues Heim für die weltberühmte New- Yorker Juilliard-Musikschule,

• ein Theater für Ballette und Operetten,

• ein Schauspielhaus,

• ein Museum mit Bibliothek und

• eine Halle für Konzerte und Kammermusik.

Das Center wird ferner eine unterirdische Garage mit Fassungsraum für 800 Wagen, Geschäftsläden und ein Restaurant erhalten.

DIESES RIESENPROJEKT aber soll nur das Herzstück einer gigantischen Neugestaltung des gesamten Lincoln-Square-Viertels werden, wobei eine Wohnhausanlage mit etwa 5000 Mittei- standswöhnungen ‘ sowie ‘ thüren,r Grünfläche ’ Spielplätze, Parkzonen uhd”Einkäußzentre ’ ör- gesehen sind, ferner eine Hochschulstadt der Fordham-Universität und ein neues Hauptquartier des Amerikanischen Roten Kreuzes in New York. Gesamtkostenvoranschlag: rund 205 Millionen Dollar.

Wer heute Manhattan rund um den Lincoln Square durchstreift, fühlt sich in die Vorstadtviertel von Paris versetzt. Schon in wenigen Jahren aber wird sich dort ein gepflegter Platz mit Brunnen und Skulpturen und eleganten Cafes befinden, umgeben von Parks, Grünflächen und Promenaden. An dominierender Stelle wird sich dort die neue Metropolitan Oper erheben, ein imposantes Gebäude mit acht Stock hohen Bogenfenstern an der Stirnseite, das mit seinen 3 800 Sitzplätzen 23,600.000 Dollar kosten wird. Wenn dieser Bau — nach den derzeitigen Plänen schon im Jahre 1961 — fertig sein wird, kann die „Met” endlich ihr bisheriges unmodernes Gebäude verlassen, in dem man von mehr als 800 Sitzen schlechte Sicht hatte, das viel zuwenig Probenräume und keinen Platz für Fundus und Kulissendepot hatte und dessen bühnentechnische Einrichtungen hoffnungslos veraltet waren.

IN DER NEUEN „MET” wird man von allen Sitzen gut sehen, durch eine neuartige Anordnung der Balkone soll die Akustik verbessert werden, und doppelte Schallabdichtungen werden den Straßenlärm abhalten. Selbstverständlich wird das neue Haus auch in technischer Hinsicht hervorragend ausgestattet sein. Der Orchesterraum wird mittels Lift nach Wunsch erhöht oder versenkt werden können, die Oper erhält unter anderem Fernseh- und Rundfunkstudios, Werkstätten, ein Kulissendepot, in dem die Szenerien für eine ganze Saison Platz finden, und eine geräumige Hinterbühne mit Aufzügen und Drehscheiben.

Zwischen 2550 und 2800 Sitzplätze wird die große Konzerthalle haben, die auch in einen Saal mit Tischen verwandelt werden kann. Ihr Bau dürfte sechs Millionen Dollar kosten. Ihr gegenüber soll das Theater für Ballett- und Operettenaufführungen stehen, das 2500 Sitze haben und ebenfalls sechs Millionen kosten wird. 1200 bis 1400 Personen pro Abend werden im Schauspielhaus (drei Millionen Dollar) Bühnenstücken, Liederabenden und Spielopern beiwohnen können, die im großen Haus von ihrer intimen Wirkung einbüßen würden.

DIE JUILLIARD-SCHOOL (5,500.000 Dollar Baukosten) soll nach modernsten Gesichtspunkten den künstlerischen Nachwuchs schulen. Wie Juilliard-Präsident William Schuman, einer der bekanntesten zeitgenössischen Komponisten Amerikas, dazu bekanntgab, will sich die Schule aus einer reinen Musiklehranstalt in Zukunft in eine Akademie verwandeln und neben Musikern, Dirigenten, Komponisten auch Schauspieler, Dramatiker, Tänzer und Bühnentechniker heranbilden. Die Studierenden können bei freiem Eintritt die Bibliothek und die häufig wechselnden Ausstellungen über Theaterkunst besuchen und sie werden Gelegenheit haben, Proben und Vorstellungen großer Künstler beizuwohnen. Im eigenen, tausend Sitze fassenden Auditorium sollen sich dann die reifsten selbst der Oeffentlichkeit vorstellen.

Dieses ganze Riesenprojekt des Lincoln Centers nahm eigentlich nur durch eine Serie von Zufällen Gestalt an. 1956 sahen sich die New-Yorker Philharmoniker plötzlich vor die Notwendigkeit gestellt, sich ein neues Domizil zu suchen, da ihr bisheriges Konzerthaus, die Carnegie Hall, abgerissen werden soll. Zur selben Zeit wurde die Raumnot in der „Met” wieder akut. Als gerade die Stadt New York und die amerikanische Bundesregierung beschlossen, im Rahmen des National Housing Act veraltete New-Yorker Stadtviertel zu eliminieren, standen auf einmal mitten in Manhattan herrliche Baugründe zur Verfügung. Die enormen Kosten für Lincoln Center werden allerdings vorwiegend von privater Stelle, durch Stiftungen, Gesellschaften und Spendenbeiträge aufgebracht. Die Rockefellers allein beteiligten sich daran mit fünf Millionen Dollar; mehr als die Hälfte der erforderlichen 75 Millionen Dollar ist übrigens bereits beisammen.

DIE BAUPLÄNE für die neue Kulturstadt Amerikas sind allerdings, wie Architekt Wallace K. Harrison, der Planer des Centers, mitteilt, noch nicht völlig fertiggestellt, doch soll noch in diesem Jahr mit dem Bau begonnen werden. 1961, so hofft man, sollen bereits die „Met” und die Concert Hall fertig sein, 1962 das Schauspielhaus und die. Juilliard-School und 1963 das Operettentheater und das Bibliotheksmuseum. Vorsichtigen Schätzungen zufolge dürften diese Termine allerdings nicht ganz eingehalten werden.

Chefarchitekt Harrison — er hat sich beim Bau des Rockefeller Centers und des Gebäudes der Vereinten Nationen sowie bei der Planung des neuen New-Yorker Idlewild-Flughafens einen bedeutenden Namen gemacht — wird neben seiner Arbeit als leitender Experte vor allem der Architekt der neuen „Met” sein. Harrisons Partner, Max Abramovitz, wurde mit dem Bau der Konzerthalle betraut, das Tanz- und Operettentheater übernahm der bekannte Architekt Philip Johnson, die Juilliard-School baut Pietro Belluschi, und der berühmte Finne Eero Saarinen entwirft das Schauspielhaus. Als Konsulenten wurden unter anderen der deutsche Meisterarchitekt Walther Unruh und der Finne Alvar Aalto beigezogen. Harrison und seine Mitarbeiter reisten ferner zu berühmten europäischen Opernhäusern und sammelten Eindrücke in der Mailänder Scala, der Pariser Oper und mehreren neu erbauten deutschen Opernhäusern.

DIE NEW-YORKER KUNSTFREUNDE sehen ihrer neuen Kulturstadt schon jetzt mit größtem Interesse entgegen. Man schätzt, daß die ĄųįfiįhrųĮigpn. ,įn;. J-Jnqpln Center Jjry. einęm. einzigen Jahr , vpn mehr als drei- Millionen Menschen besucht sein werden und daß ungezählte weitere Millionen sie durch Rundfunk- und Fernsehübertragungen miterleben werden. Da alle Gebäude mit modernen Klimaanlagen ausgestattet sein werden, wird man auch während der Sommermonate Saison halten können. Jedes Etablissement des Centers wird von den übrigen Betrieben sowohl in künstlerischer wie auch in finanzieller Hinsicht unabhängig sein.

Wird man das Lincoln Center aber auch bequem erreichen können? Die Antwort lautet: Ja und bei jedem Wetter. Vor allem sollen die nördlichen und südlichen Zufahrtsstraßen verbreitert werden. Privatwagen und Taxi können in unterirdischen Einfahrten zufahren, so daß man beim Aussteigen bei Regenwetter nicht naß wird. Aber auch die öffentlichen Autobusse werden „bis vors Haus” fahren, und auf überdachten Wegen gelangt man trocken zu den einzelnen Gebäuden. Und schließlich sollen zwei U-Bahn-Linien gleich beim Center eine Haltestelle bekommen, von der aus man durch eigene Tunnels zu den einzelnen Gebäuden gelangt. Selbstverständlich werden alle Theater und Konzerthäuser mit Foyers und Büfetts ausgestattet sein, den Gästen wird ein eigenes Restaurant zur Verfügung stehen, und rund um das Center wird man in eleganten Läden Bücher, Ansichtskarten, Schallplatten und Souvenirs kaufen können.

BIS DAS ALLES SOWEIT IST, wird allerdings noch viel Arbeit und Planung nötig sein. Aber Center-Präsident Rockefeller sieht mit Ruhe in die Zukunft. „Er ist ein Meister der freundlichen Ueberredung”, sagen seine Mitarbeiter, „nie will er mit dem Kopf durch die Wand, und doch erreicht er alles.” Rockefeller selbst spricht mit aller Bescheidenheit von sich, aber mit großer Ueberzeugung von seiner Aufgabe. „Ich liebe Musik”, sagt er, „doch abgesehen von ein paar Jahren, in denen mich meine Eltern vergeblich Geige lernen ließen, habe ich aktiv nie etwas mit der Kunst zu tun gehabt. Ich glaube aber, daß sich mehr und mehr Amerikaner für gute Musik, Opern, Tanz und Theater interessieren. Lincoln Center soll für die Welt das Symbol dieser kulturellen Entwicklung Amerikas werden…”

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