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Überfluß des Überflüssigen

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Wer die (Verdi-)Eröffnuragsvorstel- lunigen in New Yorks Opernhaus- zwiilingen besuchen wird, dem ist das Kursbuch kein weiteres Geheimnis. Es stößt mit heroischem Mut bis Bellini und Donizetti zurück, hält mit Puccini und Wagner eine goldene Mitte, holt aus dem Mottenkeller das eine oder andere leicht vom Zuhörer nachzusingende Liebes- drama hervor, putzt es prächtig auf und hat damit seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Fraglich ist vorerst lediglich, Ob und auf welcher Basis die Metropolitan-Opera eine Einigung mit den alle paar Jahre neue Gehaltsforderungen anmeldenden Gewerkschaften erzielen wird. Es sieht nicht danach aus, daß sich die Verhandlungen (nach Verschiebung des Saisoneröffnungstermins) zerschlagen und zu einer Absage der ganzen Spielzeit führen werden. Hingegen wird Rudolf Bing im 20. Jahr seiner Amtsführung zu einer Erhöhung der Kartenpreise gezwungen sein, als deren Folge der regelmäßige Besuch des Hauses mehr denn je den Vertretern des Geldadels und immer weniger den wirklichen Opernliebhabern möglich sein wird.

Diktiert den Opę/ndirektoren Sparsamkeit und gestattet ihnen die auf volle Häuser berechnete Geschäftsführung kein Experimentieren, so ist mit der daraus resultierenden Entfremdung des Nachwuchses jener Circulus vitiosus geschlossen, der in einer Zeit von angeblich kultureller Erneuerung zum Musterbeispiel eines Paradoxons angewachsen ist.

New Yorks Musikleben erfährt durch die Eröffnung der Juilliard School größere Aktivität und straffere Zentralisierung. Daß sich die Transportierung größerer Menschenmengen zum und vom Lincoln Center problematisch erweise wird, ist beim Fehlen jeglicher zweckmäßiger Vorkehrungen unschwer vorauszusagen. Künstlerische und geschäftliche Einbußen werden andere, aus allen Stadtteilen bequemer erreichbare Konzertsäle erleiden; darin liegt der Keim zu einer unabwendbaren Dezentralisierungs’kampagne in künftigen Jahren.

Die Vermietung dier Lincoln-Center- Konzertsäle schafft ein Massenangebot an Veranstaltungen. Der Quantität kann und wird die Qualität nicht in allen Fällen entsprechen. Die sich auf die Boulez-Ära umstellen müssenden Philharmoniker haben Gastdirigenten verpflichtet, unter denen bedauerlicherweise Herbert von Karajan, Dr. Karl Böhm und andere Spitzenkräfte fehlen, die während ihrer Met-Tät)igkeit zur Leitung einiger Konzertpaare herangezogen werden könnten Das Orchester der amerikanischen Bundeshauptstadt absolviert einen entbehrlichen Konzertzyklus, weil er längst nicht das durch Novitäten interessant gestaltete Programm aufweist, mit dem Altmeister Stokowskis jugendliches Sinfonieorchester in der Carnegie Hall aufwartet.

Ich könnte mir vorstellen, die Rundfunkstation von New Yorks führender Tageszeitung unterhielte ein eigenes Sinfonie- oder Kammerorchester und böte die Erstaufführung entsprechender Auftragskompositionen anstelle der seit letzter Zeit durch gesungenes Werbereimgeklingel barbarisch unterbrochenen Durchgabe von Plattenmusik. Ebenso könnte ich mir denken, die großen Femsehsendemetze präsentierten in eigenen Opemstudios Werke, wie Dallapiccolas „Odysseus”, Pendereckis „Die Teufel von Loudon” und Zimmermanns „Soldaten”: Produktives aus der Feder zeitgenössischer Autoren, das dem amerikanischen Publikum seit Jahr und Tag vorenthalten bleibt, weil in der Planung des Lincoln Centers auf ein Experimentaltheater verzichtet worden ist und weil der privateigene Hör- und Bildfunk trotz millionenschwerem Reichtum noch nicht die Initiative ergriffen hat, den Lauten der Musik diese Bedeutung beizumessen wie den Lunauten unseres Raumforschungszeitalters.

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