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Noch bis Ende November zieht die 54. Kunstbiennale Interessierte aus aller Welt nach Venedig. Viel Kritik gab es rund um die Eröffnung. Die FURCHE zieht eine differenzierte Zwischenbilanz.

Im gesteckt vollen Vaporetto fährt man den Canal Grande entlang. Die Fahrt führt an den Renaissance-Palästen und an der Barockkirche Santa Maria Salute vorbei - nichts weist auf die Gegenwart hin. Einzig rote Transparente machen auf die Mega-Schau aufmerksam: "ILLUMInazioni“ hat die diesjährige künstlerische Leiterin Bice Curiger die Ausstellung betitelt: Ein vielversprechender Titel, leitet er sich doch von italienisch "illuminazione“ (Erleuchtung) ab und lässt auch "illuminismo“ (Aufklärung) mitschwingen. Erleuchtet ist man in den letzten Jahren selten aus Gegenwartskunst-Ausstellungen gekommen, aufgeklärt schon eher. Bereits im Zuge der Eröffnung Anfang Juni war viel geschimpft worden. Langweilig sei die heurige Mega-Schau, so der Grundtenor. Stimmt das? Und was lässt sich daraus für die gegenwärtige Kunstentwicklung ablesen? Gibt es bestimmte Themen und Inhalte, die im Moment Künstler besonders beschäftigen? Und: Sind Video und Fotografie nach wie vor die dominierenden Medien, oder gibt es diesmal das in den letzten Jahren häufig beschworene, aber nie wirklich eingetretene Revival von Malerei und Skulptur?

Keine Renaissance der Malerei

Nach Tagen intensiver Auseinandersetzung mit Unmengen von Kunst ergeben sich mehrere Überlegungen. Zunächst: Malerei ist zwar stärker als bei letzten Großschauen vertreten, wirklich überzeugend wirkt dieses Lebenszeichen der Leinwandkunst aber (noch) nicht. Meist erscheint sie als Parodie ihrer selbst wie im grauenvoll kitschig-üppigen italienischen Pavillon oder ist in multimediale Installationen integriert. Erstaunlich wenig Video- und Fotoarbeiten, dafür umso mehr Rauminstallationen und skulpturale Objekte. Allerdings gehören die wenigen ausgestellten Videos und Fotos zu den stärksten Exponaten der Schau - wie die mit einem Goldenen Löwen für den besten Künstler der Gruppenschau ausgezeichnete Filmmontage "The Clock“ von Christian Marclay, in der es um die Bedeutung von Zeit und Uhren geht.

Auffällig ist eine starke Vergangenheitsorientierung. Dies betrifft sowohl die Kunstschaffenden selbst als auch die den Kunstmarkt mitgestaltenden Theoretiker. So eröffnet Bice Curiger die von ihr kuratierte Gruppenausstellung nicht mit einem zeitgenössischen Superstar, sondern mit einem Künstler, der bereits seit mehr als 400 Jahren tot ist. Im Hauptraum des "Großen Pavillons“ hängen - leitmotivisch gedacht - drei Bilder von Tintoretto, dem "antiklassischen“ venezianischen Maler und Ausgestalter der faszinierenden Scuola San Rocco, der wie kein Zweiter an die Sinnlichkeit der Kunst appellierte.

Auch wenn Curiger damit zeigen wollte, wie zeitlos gute Kunst sein kann, so gelingt ihr damit das Gegenteil. Viele der zeitgenössischen Kunstwerke können den Tintorettos nicht standhalten. Stattdessen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, auch die Kuratorinnen zeitgenössischer Kunst sehnen sich verstärkt nach Werken, die so viel Kraft haben wie jene Tintorettos oder Tizians. Besser gelingt es da schon dem Schweizer Bildhauer Urs Fischer, Vergangenes mit Gegenwärtigem zu verbinden, indem er Giambolognas manieristische Skulptur "Raub der Sabinerinnen“ detailgetreu aus Wachs nachbauen ließ. Die monumentale Kerzen-Skulptur wird bis zum Ende der Biennale wieder zu einem lächerlichen Wachshaufen zusammengeschmolzen sein. Die Gegenwartskunst als vergängliche Kopie großer Kunstgeschichte also?

Dass verstorbene Künstler oft mehr Wirkkraft haben als die noch lebenden, beweist auch die Vergabe des Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag. Ihn erhielt der 2010 gestorbene Christoph Schlingensief posthum für den deutschen Pavillon, in dem seine Witwe Aino Laberenz und Kuratorin Susanne Gaensheimer eine Art "sakrale Gedenkstätte“ in Erinnerung an das Wirken und Sterben des Künstlers eingerichtet haben. Auch ein weiterer Länderbeitrag, der zu den eindrucksvollsten der diesjährigen Biennale zählt, stammt von einem Künstler, der nicht mehr am Leben ist. Im ägyptischen Pavillon werden Arbeiten des experimentell arbeitenden Multimedia-Künstlers Ahmed Basiony gezeigt. Basiony filmte die Jänner-Proteste auf dem Tahrir-Platz gegen das Mubarak-Regime, allerdings erlebte er die erfolgreiche Revolution nicht. Denn er starb am 28. Jänner 2011 an den Schussverletzungen, die ihm die ägyptische Polizei zugefügt hatte.

Überraschend sind die vorherrschenden Themen. Denn diese sind im Unterschied zu vergangenen Großausstellungen nur selten gesellschaftspolitisch. Genderthematiken oder Fragen rund um Globalisierung und Migration spielen nur eine nebengeordnete Rolle. Vielmehr beschäftigen sich viele der Künstler mit existentiellen Aspekten menschlichen Daseins. Zum einen sind dies die Entstehung und die Vergänglichkeit des Lebens. Zum anderen spielen räumliche Orientierungslosigkeit und die Suche nach Wegen eine zentrale Rolle bei dieser Schau. Als Besucherin wird man immer wieder in labyrinthische Konstruktionen geführt, in denen man sich selbst zurecht finden muss.

Endlichkeit und Orientierungslosigkeit

Wie sehr die beiden Themenstränge der Endlichkeit und der Orientierungslosigkeit zusammenhängen, wird im französischen Pavillon sichtbar. Hier hat Christian Boltanski eine monumentale labyrinthische Aluminiumkonstruktion aufgebaut, auf der Babyfotos wie auf einer Zeitungspresse vorbeirollen. Anzeigetafeln mit gelben und roten Leuchtdioden in den Nebenräumen listen die weltweiten Sterbeziffern auf der einen und die Geburtenziffern auf der anderen Seite in Echtzeit auf. Auch Markus Schinwald lässt die Besucherinnen im diesmal sehr überzeugenden österreichischen Pavillon in labyrinthischen Räumen umherirren; der Rundgang wird durch die Betrachtung von kleinformatigen Porträts aus dem 19. Jahrhundert, die Schinwald übermalt hat, unterbrochen.

Nachdenklich und fragend verlässt man also diese heuer eher durchwachsene Kunstschau. Im Bewusstsein, dass in zwei Jahren möglicherweise alles anders sein wird. Schließlich, überlieferte Sansovino aus dem 16. Jahrhundert, leite sich der Name Venedig aus dem lateinischen "Veni etiam“ ab, was soviel bedeute wie "Komm immer wieder“. "Denn“, so Sansovino, "sooft du auch kommst, du wirst immer Neues erblicken.“ Dies gilt nicht nur für die Serenissima, sondern auch für die Biennale als Institution, die trotz aller Schwächen zumindest punktuell immer wieder spannende neue künstlerische Sichtweisen auf die Gegenwart - und heuer besonders auch auf die Vergangenheit - zutage fördert.

Biennale

Seit 4. Juni läuft die 54. Kunstbiennale, die noch bis 27. November geöffnet hat. 1895 erstmals abgehalten, ist sie die älteste Schau zeitgenössischer Kunst.

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