Modigliani: Karyatide - © Tate, London 2008

Modigliani: Reduziert, ausdrucksstark

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100 Jahre nach seinem frühen Tod widmet die Albertina dem Künstler Amedeo Modigliani eine beeindruckende Schau.

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100 Jahre nach seinem frühen Tod widmet die Albertina dem Künstler Amedeo Modigliani eine beeindruckende Schau.

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Paris, Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Musée dʼEthnographie du Trocadéro finden sich Kunstwerke, die das koloniale Frankreich nach Europa geschleppt hat und nun in finsteren übervollen Räumen aufbewahrt, Kunst von fremden Kulturen. Pablo Picasso wird das Innere des Museums wie einen stinkenden Flohmarkt beschreiben, dort aber wie auch andere Künstlerkollegen teils jahrhundertealte Kunstwerke entdecken, die ihn überaus faszinieren und bei seinen eigenen künstlerischen Aufbrüchen anregen.

Mit dem Kolonialismus war Kunst nach Europa gebracht worden, etwa jene der asiatischen Khmer oder der afrikanischen Fang, die dann aus der Selbstüberheblichkeit der eigenen Zivilisation herab bestaunt werden konnte. Gelegenheit für einen solchen Blick bot auch die Kolonialausstellung, die 1907 in Vincennes stattfand.

Der Begriff „primitiv“, der sich im 19. Jahrhundert im Sinn von „früh“, „ursprünglich“ auf flandrische und norditalienische Künstler des 14. und 15. Jahrhunderts bezog, dann aber auf außereuropäische Kunst erweitert wurde, ist im Jahr 2021 zumindest erklärungsbedürftig. Auch die Bezeichnung der künstlerischen Strömung Anfang des 20. Jahrhunderts, „Primitivismus“, sollte stets neu problematisiert werden, was in der aktuellen Modigliani-Ausstellung, die diesen Begriff im Untertitel trägt, nicht genügend vorgenommen wird, ansatzweise zumindest im Katalog. Das ist bedauerlich. Die Kunstwerke selbst machen die Ausstellung freilich zu einem Ereignis.

Künstler wie Pablo Picasso, An­dré Derain oder Amedeo Modigliani entdeckten wesentliche Elemente der Kunst in diesen Exponaten aus fernen Ländern und Zeiten, sie erkannten ästhetische Vorgangsweisen, die auch sie selbst beschäftigten, etwa die Reduktion bis hin zur Abstraktion. Ihr Blick galt den Formen und der Komposition, sie revolutionierten auch die Darstellung menschlicher Körper.

Wie den Einfluss anderer Kunst darstellen, ohne dabei die hie­rarchische Zuordnung vorzunehmen, hier das vorliegende Objekt, da das wahre europäische Kunstwerk? Man wählte für die Modigliani-Ausstellung den Weg, die antiken, afrikanischen und ostasiatischen Kunstwerke selbst in die Ausstellung zu holen und als das darzustellen, was sie sind: Kunstwerke, die über den Lauf von Jahrtausenden und Jahrhunderten nichts von ihrem Kunstwerkcharakter, ihrer Faszination und dem starken Ausdruck eingebüßt haben.

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