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Afrikas Kunst entsteigt der ethnologischen Schablade

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Schwarzafrikanische Künstler weiten den schmalen Freiraum zwischen traditioneller und Allerweltskunst aus und bringen etwas völlig Neues in die internationale Kunstszene ein.

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Schwarzafrikanische Künstler weiten den schmalen Freiraum zwischen traditioneller und Allerweltskunst aus und bringen etwas völlig Neues in die internationale Kunstszene ein.

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Romuald Hazoume aus Benin schnitzt seine Masken nicht aus Holz. Er verwendet Fundgegenstände: Bürsten, alte Telefonhörer, zerschnittene Kanister oder Blechdosendeckel. Daraus entstehen Gebilde, die niemals ihre Herkunft aus der afrikanischen Maskenkunst verleugnen und mit denen er trotzdem jederzeit, ohne jeden afrikanischen selling appeal, in New York, London oder Frankfurt in einer Galerie reüssieren könnte. Sie haben einen unglaublich starken Ausdruck, manche haben eine starke Ambivalenz von Komik und Dämonie.

Afrikanische Kunst wird so gut wie ausschließlich im ethnologischen Kontext gesehen. Als traditionelle Kunst, Stammeskunst, „primitive" Kunst. Kunst aus Schwarzafrika als Kunst schlechthin, Teil der Weltkunst: Dies ist ein Blickwinkel, der erst von wenigen eingenommen wird. Ob es so ist, weil diese Kunst noch kaum eine Bolle auf dem internationalen Kunstmarkt spielt, oder ob sie letzteres eben deshalb nicht tut, weil man sie in der Ethnologie-Schublade einschließt: Diese Frage gleicht der nach der Priorität von 1 Ienne oder F,i. So oder so: Publikationen und Ausstellungen, in denen afrikanische Kunst als ästhetisches Phänomen, als Kunst schlechthin, behandelt und der ethnologische Zusammenhang vernachlässigt wird, haben Seltenheitswert und verdienen schon deshalb Beachtung.

Um so mehr, wenn das künstlerische Niveau so hoch ist, wie das der im Band „Neue Kunst aus Afrika" in der Heidelberger Edition Braus versammelten Werke, die übrigens in einer Berliner Ausstellung zu sehen waren. Hier ist es gar keine Frage mehr, ob und warum die Zurückdrängung des ethnologischen Zusammenhanges produktiv ist: Erst dadurch wird die neue Einordnung dieser Kunst in die Kategorien der , internationalen Kunstkritik und Kunsttheorie möglich. Diese Arbeiten beweisen, wie ernst zu nehmen ist, was da in einem

Kontinent praktisch ohne geregelte Ausbildungsmöglichkeiten, ohne Galerien, ohne die Tradition des Kunstsammelns, ohne Kunstkritik geschaffen wird, wobei im allgemeinen gerade die originellsten und eigenwilligsten Werke von Autodidakten stammen.

Daß in Schwarzafrika Kunstsammler im traditionellen europäischen Sinne fehlen, heißt natürlich nicht, daß diese Kunst keinerlei Markt hat. Ohne Markt hätte sie sich schwerlich dahin entwickeln können, wo sie heute steht. Die materielle Überlebensbasis der afrikanischen Künstler bildeten zunächst in Afrika lebende Weiße, und der Niedergang der Stammeskunst, ihr Herunterkommen zur Touristen- und „Flughafenkunst", wurde zur großen Chance für die afrikanischen Künstler. Der Übergang war fließend. F,s begann mit dem Auftauchen neuer Motive (zum Beispiel Figuren europäischer Soldaten). Agbag-li Kossi aus Togo ist einer von denen, welche die Tradition der afrikanischen Holzstatuen zu einem Aus drucksmittel für völlig neue Inhalte weiterentwickeln.

Heute umfaßt das Schaffen schwarzafrikanischer Künstler die ganze Palette von der traditionsverhafteten Kunst bis hin zu Arbeiten völlig an die großen Strömungen angepaßter Künstler, denen nichts „Afrikanisches" mehr anhaftet, bis hin zur Allerweltskunst.

Was den Band „Neue Kunst aus Afrika" so interessant macht, ist die Auswahl der Künstler. F,r klammert alles aus, was sich völlig aus dem afrikanischen Kontext gelöst hat, er ist gegenüber dem Traditionsverhafteten offener. F,r favorisiert vor allem jene Künstler, die noch in den Traditionen der Stammeskunst wurzeln, aber neue Wege suchen, um J manzipation ringen, und die Eigenwilligen, Eigenständigen, deren Formensprache zwar noch der traditionellen nahe ist, die aber durch ihre Kreativität, ihr Können, ihren Ausdruckswillen, mehr oder weniger bewußt, etwas Neues daraus machen. Einen völlig anderen Aspekt afrikanischer Kunst repräsentieren die Schwarzweißaufnahmen des nigerianischen Fotografen Akinbode Akinbivi.

Die einleitenden Essays referieren die divergenten europäisch-afrikanischen und innerafrikanischen Diskurse, Kuropas langen, lässigen Umgang mit nichttradi tioneller afrikanischer Kunst (Ulli Beier), die Bemühung um einen Dialog mit der westlichen Kultur, „ohne eine Opfer-Täter-Beziehung im Hinterkopf zu haben" (Lydia Flaustein), die Ablehnung weißer kultureller Hegemonie Ansprüche, etwa bei Ery Camara: „Der Westen glaubt, er allein sei fähig, eine fremde Kultur zu erfassen, ohne sich zu verlieren. In solchem Sumpf bleiben die stecken, die immer noch glauben, Tarzan sei der Präsident von Tansania. Es ist durchaus denkbar, daß sich ein Afrikaner, ohne seine Persönlichkeit zu verlieren, die westliche Kultur zu eigen macht, die ohne uns nicht das wäre, was sie heute ist... Es ist lästig, die Anmaßung sogenannter Kunstexperten, weltlicher Missionare oder diejenige von Safariteilnehmern zu spüren oder zu hören, die uns Lektionen über Afrika erteilen wollen."

NEUE KUNST AUS AFRIKA

Herausgeber: Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Edition Braus, Heidelberg 1996. 208 Seilen, 89 Färb- unA24s\w-Abbildungen, kart, öS 578,

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