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Die dritte Klasse wird modern

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Da gibt es in Wien eine Gemeinschaft bildender Künstler, die alljährlich im Frühjahr und Herbst die Arbeiten ihrer Mitglieder in ihrem Ausstellungshaus, der Wiener Kunsthalle/ I ‘:k įUtzgassę dem Publikum vorführt. Viele Talente sind in dieser Gemeinschaft, manche haben sogar genialische Züge, alle aber sind sie begabt und malen mit viel Fleiß und Freude. Die Gemeinschaft hat ihren Freundeskreis, der diese Ausstellungen besucht und auch Bilder kauft. Das alles ist bekannt und nicht weiter aufregend. Wer ist schließlich heute nicht begabt?

Nun aber zeigt die heurige Frühjahrsausstellung ein überraschendes Phänomen, das unter Umständen eine ganz neue Kunstentwicklung — nicht nur in Wien — andeuten könnte. Und hier beginnt die Sache aufregend zu werden. Betritt man nämlich die helle’ Ausstellungshalle und wirft einen ersten, flüchtigen Blick auf die Bilder — ehe man sich jedem einzelnen zuwendet —, so glaubt man, in einer wirklich modernen Kunstschau zu sein. Hat die Kunsthalle so plötzlich das Künstlerhaus überflügelt und Anschluß an die Malerei unserer Zeit gefunden? fragt man sich und will es nicht recht glauben. Aber die Bilder scheinen es zu beweisen. Sie machen es notwendig, daß man sich mit ihnen näher beschäftigt.

Und da kommen einem plötzlich auf den zweiten Blick viele der Gemälde bekannt vor. Dieses oder jenes muß ich schon gesehen haben, denkt man, ist aber nicht sicher, wo und wann. Erst der dritte Blick bringt des Rätsels Lösung.

Da ist ein Maler, der malt nach Monet, da ist ein anderer, der malt ä la Cėzanne. Das Gemälde einer Künstlerin wirkt wie ein verunglückter Chagall. Eine andere wieder hält sich an Slevogt. Eine dritte hat sich Schiele angesehen. So ließe sich für viele Bilder ein Stammbaum angeben.

Als die zweite Garnitur der Maler modern wurde, konnte man von Stilnachfolge sprechen. Der eine Künstler hatte Klee zum Vorbild, der andere Braque, der dritte Matisse. Sein Talent war stark genug, sich den Stil des Vorbildes anzueignen und Epigone zu werden, die eigene Persönlichkeit aber zu schwach, sich gegen den Einfluß des Vorbildes durchzusetzen. Er malte „genau so wie”. Nur nicht so gut und so einfallsreich.

Nun wird die dritte Klasse modern. Und man kann nicht mehr von Stilnachfolge sprechen. Denn die dritte Klasse hat keinen Stil. Kunst kommt bei ihr bloß von Können. Die Maler dieser Klasse wollen zeigen, daß sie auch so können, wie Cėzanne, Monet, Slevogt … Sie eignen sich aber nicht mehr — denn das ist ihnen verwehrt — den Stil ihres Vorbildes an, sondern bloß seine Themen, seine Motive, im Einzelfall seine Bildkomposition.

Die moderne Kunst beginnt populär zu werden. Viele Verlage bringen Taschenbuchreihen mit farbigen Reproduktionen. Jedes Jahr kommt mindestens eine neue Geschichte der Malerei unserer Zeit heraus. Ueber alle bedeutenderen Künstler liegen Monographien vor, die ihr Lebenswerk beinahe lückenlos vorstellen. Es ist also für den, der einen Zugang zur neuen Malerei sucht, nicht schwer, sich zu informieren.

Diesen Zugang haben wohl auch die Künstler der Wiener Kunsthalle gesucht und gefunden. Und sie haben sich weniger einzelne Künstler als bestimmte Bilder zum Vor-Bild genommen. Sie haben diese Werke dann .Rieht kopiert, sondern frei abgewandelt. Sie haben auch’IJehrere Bilder gemischt, von einem das, vom anderen j?nes, übernommen. Der Wille ist gut und lobenswert: sie möchten beweisen, daß sie gemerkt haben, woher der Wind weht. Das Ergebnis ist3 in- det!Kunsthalle zu sehen.

Vielleicht ist diese ‘ Frühjähfsäusstellting kein Einzelfall, sondern ein Symptom. Vielleicht wird die dritte Klasse (und dann wohl auch die vierte und fünfte) wirklich „modern”. Wir setzen das Wort unter Anführungszeichen, denn gar so leicht ist es nun wieder doch nicht, modern zu werden. Wille und Vorlage allein genügen nicht.

Die moderne Kunst setzt bei dem, der sie schafft.

weit mehr als beim Künstler früherer Jahrhunderte hohen malerischen Intellekt und ausgeprägten Instinkt voraus. Es genügt nicht, die Ergebnisse, die andere Künstler vor einem gefunden haben, aufzunehmen und zu variieren. Zuerst muß der Weg, den diese gegangen sind, Schritt für Schritt nachvollzogen, in allen seinen Möglichkeiten, Gefahren und Perspektiven begriffen werden. Dann erst kann man den Weg weitergehen. Zuerst muß man das bisher Geleistete überdenken und die daraus erwachsenden Konsequenzen überlegen. Dann erst weiß man, was man tut.

Vielleicht wird es aber der dritten oder vierten Garnitur der Maler, den viel kleineren Talenten, nie möglich sein, den von der modernen Kunst zurückgelegten Weg nachzuvollziehen. Und sie werden, wenn sie einmal eingesehen haben, daß man nicht mehr so harmlos wie früher weiterpinseln darf, heimatlos werden in der Welt der Bilder. Sie werden es da und dort versuchen, werden „expressionistisch” und „abstrakt” sein, ohne in Wahrheit expressionistisch oder abstrakt zu sein.

Nennen wir zum Schluß dieser Ueberlegungen, um nicht ungerecht zu sein, zwei Namen, auf die das hier Gesagte nicht zutrifft (abgesehen von denen, die noch im tiefsten 19. Jahrhundert halten und sich nicht zu „modernen” Versuchen aufschwangen). Es sind dies Elisabeth Sandri, der schlichte Stilleben gelingen, und Rudolf Wirth, der flächig-bewegte Landschaften zeigt. Diese beiden Künstler haben in ihren Bildern eigenen Stil und eigenes Leben.

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