6681708-1961_47_11.jpg
Digital In Arbeit

Afrikanisches Leben

Werbung
Werbung
Werbung

AFRIKA, GESCHICHTE UND GEGENWART. Eine Einführung. Von Hans Mukarovsky. Herder-Verlag, Wien- Freiburg-Basel. 304 Seiten und 16 Seiten Bilder. Preis 90 S.

Der Aufbruch des afrikanischen Kontinents — der Eilmarsch, in welęhem die Völker dieses Erdteiles einen Weg durchmessen, den die europäischen Nationen in Jahrtausenden durchschrittet haben — zeitigt einen Andrang von Problemen, deren bloße Existenz oder gar Tragweite vor zwei Menschenaltern kaum geahnt wurde. Konnte jemand meinen, die im Rahmen zufälliger Kolonialgrenzen zusammengewürfelten Völkerschaften würden eines Tages in der Steinzeit einschlafen und am Morgen, im wirtschaftlichen, kulturellen, weltanschaulichen und weltpolitischen Spannungsfeld des 20. Jahrhunderts, einen Platz als gleichberechtigte Partner einnehmen? War es bei der Gründung der Vereinten Nationen glaubhaft, daß 15 Jahre später zwei „Farbigen” im Namen ihrer eigenen Nationen die beiden ersten Plätze in der Hierarchie der UNO zugeteilt würden? Über diesen Kontinent, in dem sich die verwirrendsten Geschehnisse zutragen, der die geographische und wirtschaftliche Ergänzung Europas ist und bisnun dessen sicherster Besitz war, wird in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts entschieden werden. So ist es unabweisbar, sich mit dem gar nicht rein „schwarzen” Erdteil in allen seinen Bezügen so eingehend und so einfühlend wie möglich zu befassen: mit seiner näheren, aber auch mit seiner sehr wissenswerten entfernteren Geschichte, seinen volklichen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten, seinen sich überkreuzenden politischen Einordnungen und den aufzuzeigenden Entwicklungen. Bis zu welcher Tiefe konnten etwa die heldenmütigen Künder des Christentums die Scholle aufbrechen? Welchen Grad der Nachhaltigkeit haben im einzelnen die westlichen Kultureinflüsse erreicht? Welche Kräfte stehen ihnen entgegen? Wie sind da der Islam und, in den unteren Stufen, die heidnischen Naturreligionen zu sehen? So viele Fragen, die Antworten erfordern, welche, ohne den Boden der Tatsachen zu verlieren, dem Künftigen seine Deutung geben.

Man sieht, wie groß, wie vielschichtig die Aufgabe war, die sich der Autor, ein bekannter Afrikanologe, gestellt hat. Er hat sie mit dem geistigen Rüstzeug des Wissenschaftlers, aber auch mit der Kenntnis des wahlgeschulten politischen Denkers gelöst. Der Verfasser nennt seine Arbeit eine „Einführung”. Das mag vielleicht dem Umfang des Bandes entsprechen, dem Gehalt nach kann man diese Eingrenzung nicht gelten lassen. Wer das Buch aus der Hand legt, ist in seiner Kenntnis alles Wesentlichen wesentlich bereichert worden. einen Wettlauf von Politikern, Wirtschaftlern und Agenten mancher Art, sondern auch einen Wettlauf der Verlage und Autoren zur Folge. Jedes Jahr erscheint eine neue Welle von Afrikabüchern, an den Strand der Leser geworfen. Die Bücher yon Janheinz Jahn haben Sonder- rang, wer einen einer Afrikabände gelesen hat,, wartet auf den nächsten. Jahns Einführungen und Auswahltexte afrikanischer Dichtung, sein „Muntu — Umrisse der neoafrikanischen Kultur” sieht man gern in den Bücherständen wacher Zeitgenossen. „Durch afrikanische Türen” ist eine Art R,eisebericht aus Westafrika, nach Themen geordnet: aufmerksam, mit einer nüchternen Liebe, beobachtet Jahn das afrikanische Alltagsleben und nimmt an ihm teil. Diese Teilnahme beginnt mit dem Essen: Viele Europäer verzichten (unbewußt und ungewollt) von vornherein auf diese Partizipation, weil sie das scharf gewürzte afrikanische Essen nicht lieben (der europäische Magen muß sich ein bis zwei Wochen einüben): ihnen werden also europäische Speisen und Getränke vorgesetzt — damit ist eine grundlegende Schranke errichtet. Janheinz Jahn hat diese Schranke überschritten. Dafür erhalten wir von ihm Berichte eines kameradschaftlichen, ebenbürtigen Umganges von Afrikanern mit diesem Deutschen, wie sie in vielen Afrikabüchern fehlen, in denen Sachkenntnis und direkte, geduldige Anteilnahme ersetzt sind durch Anempfindung, Befremdung oder gar schlecht verhohlene Abscheu. Jahn hat keine Angst vor diesen Afrikanern, die ganz anders sind als wir, und die mit den Mitteln einer europäiden Zivilisation sich ihr altes Wesen rückerobem. Das letzte Kapitel „Die Gottheiten wechseln iur die Gewänder” — schließt mit dem Hinweis: „Es ist eine Reafrikanisierung auf allen Gebieten: in der Religion, in der Politik, in der Kunst, in der Literatur. Kein Rückfall jedoch in alte, vergangene Formen: vielmehr wird neuen, modernen Lebensformen afrikanischer Stil aufgeprägt, und die traditionellen Denk- und Stilelemente werden modernisiert und geläutett. Afrika schickt sich an, auf die Füße zu kommen, und es sorgt dafür, daß diese Füße auch wirklich seine eigenen sind.” Eine nicht geringe Rolle spielt bei dieser Emanzipation die Frau. Sehr konkret und sehr lebendig schildert Jahn die westafrikanische Frau: ihre große Geschäftstüchtigkeit, ihren gesunden Hausverstand, ihre Freiheit dem Mann gegenüber. Selbstbewußt steht da die Hökerin neben der jungen Dame, die schlicht sagt: „Wir haben einen Pontiac und zwei Cadillacs.” Auch das ist Afrika.

AFRIKANISCHES DEKAMERONE. Von Peter Fuchs. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 241 Seiten. Preis 16.80 DM.

Peter Fuchs, der bekannte Wiener Völkerkundler und Autor der Bücher „Weißer Fleck im Schwarzen Erdteil” (Meine Expedition nach Ennedi) und „Die Völker der Südostsahara”, legt fünfzig Geschichten aus dem Zentrum Afrikas, dem Gebiet des Gera-Massivs, vor. Hier ist noch eine unverdorbene Eingeborenenkultur, vielleicht die älteste des Schwarzen Erdteils, lebendig. Die ungebrochene Kraft einer in sich gewachsenen weit, die heute nur noch an wenigen Stellen unserer Erde zu finden ist, ist unverkennbar. Der ganze Reichtum des Fühlens und Denkens dieser „Primitiven”, ihres von magischen Vorstellungen durch- flochtenen Alltags, ihrer Bräuche lebt in diesen von Mund zu Mund über Generationen hinweg weitergegebenen Geschichten, die Fuchs mit feinem Gespür für die Sprache aufgezeichnet hat. So ist iiiie ‘Sammlüng entstanden, die sięb würdig den berühmten Märchensamm!ungen der Völker anreiht. Der Laie wird diese anonym aus dem Geist der verschiedenen Stämme geborenen Kunstwerke mit Genuß lesen, wird liebenswürdige Heiterkeit, helle und düstere Leidenschaften erleben, in einer Natürlichkeit, die einem für uns auf immer verlorenen Paradies der Seele zuzugehören scheint. Wer tiefer eindrin- gen will in die allgemeinseelische Bedeutung dieser und anderer Evokationen des kollektiven Unbewußten, deren Erkenntnis gerade für den modernen Menschen so wichtig ist, mag unter anderem zu C. G. Jungs einschlägigen Arbeiten greifen. Das Bändchen „Bewußtes und Unbewußtes” von ihm, 1957 in der Fischer- Bücherei erschienen, das die Betrachtung „Zur Phänomenologie des Märchens” enthält, bietet dazu den geeigneten Auftakt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung