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BLAU-ROT-GELB

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Um der Leistung eines Künstlers gerecht zu werden, bedarf es mehr, als sein Werk nach künstlerischen und ästhetischen Gesichtspunkten zu werten. Betrachtet und beurteilt man es im Zusammenhang mit der Persönlichkeit, der Umwelt, der Kulturepoche seines Schöpfers, so gibt es — über den Künstler hinaus — Aufschluß über die soziale und geistige Struktur der Zeit und über die Stellung, die der Mensch in dieser Zeit einnimmt. Das bedeutet, daß jedes Kunstwerk mehrere Bezugspunkte hat, vielschichtig ist. Diese Betrachtungsweise, die, im Gegensatz zur nur formalästhetischen oder nur historischen, zusammenfaßt und das Kunstwerk als Ganzes begreift, entspricht dem Universalitätsstreben der Gegenwart.

So gesehen, müssen sich aus der Summe der Werke der Künstlergeneration, die zwischen 1880 und 1890 geboren wurde, jene Auseinandersetzungen ablesen lassen, welche die Wege zum neuen, von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmten Weltbild säumen: Der Einfluß der technischen Errungenschaften wirkt sich ebenso aus wie der Kampf gegen den Materialismus, nicht zuletzt wird das neue Bild des Menschen und dessen Stellung im Universum sichtbar, und gleichzeitig mit der Zerstörung der jahrhundertealten künstlerischen und weltanschaulichen Ordnungen werden neue Gesetzlichkeiten, neue Bindungen im Kunstwerk offenbar, manifestiert sich eine über dem Sichtbaren liegende Wirklichkeit. Im Werk des einzelnen Künstlers werden dessen Persönlichkeit und menschliche Beziehung zur Umwelt spürbar.

Wilhelm Thöny, aus einer angesehenen Grazer Bürgerfamilie stammend, erlebte seine Kindheit und Jugend in einer Stadt, die in jenen Tagen kaum Beziehungen zur bildenden Kunst besaß, jedoch auf musikalischem Gebiet rege und aufgeschlossen war. Das großzügige Elternhaus legte der reichen und vielfältigen Begabung des Kindes keinerlei Zwang auf. So durfte er seinen Drang nach kindlich-künstlerischer Betätigung auf den Wänden seines Kinderzimmers ausleben, die — wie er in einem Essay erzählt, — alle sechs Monate neu gestrichen, „Platz für neue Kreationen schufen“. Musik- und Malunterricht begleiten die Kinder-und Jugendjahre. Zu weiterer künstlerischer Ausbildung geht Thöny aber nicht nach Wien, wo Wiener Secession, Wiener Werkstätte und eine glanzvolle Oper größte Anziehungskraft gehabt haben müssen, sondern nach München. Bis zum ersten Weltkrieg lebt er in München, das, ein Brennpunkt künstlerischen Lebens, zwischen der formbetonten westlichen Kunst und der expressionistisch orientierten des Nordens vermittelt. Die sinnvolle Verschmelzung dieser beiden künstlerischen Richtungen sind für das Gesamtwerk Thönys bezeichnend, wobei das Pendel einmal mehr zu Münch, das andere Mal wieder mehr zu Cezanne ausschlägt, der schwächer betonte Akzent aber immer als ein belebendes und bestimmendes Agens im Bilde vorhanden ist. Darin bleibt Thöny zeitlebens München verbunden. In den Münchner Jahren ist Thöny in seiner Malerei noch unfertig; er schwankt zwischen einem der steirischen Tradition entwachsenen gesunden Naturalismus, in

„Melioribus Annis“, enthalten in „ . . mit y — Wilhelm Thöny erzählt und zeichnet“, dem einzigen literarischen Werk aus der Feder ds Künstlers (Ley-kam-Verlag, Graz 1953). den er impressionistische oder expressionistische Elemente einfließen läßt. In der Graphik aber hat er schon damals seinen eigenen Stil gefunden. Er schafft Buchillustrationen, mehr noch beschäftigen ihn freie Improvisationen über bestimmte Themen, vornehmlich gesellschaftskritischen Inhalts, entsprechend der geistigen Haltung, welche die Jahre vor dem ersten Weltkrieg kennzeichnet. Viele dieser Federzeichnungen, in genialer Strichführung, häufig mit breiten Lavierungen von dünnem Grau bis zu intensivem Schwarz gearbeitet, sind in der Zeitschrift „Münchner Jugend“ veröffentlicht worden. Die Art der Thönyschen Auffassung der Themen ist humorvoll, aber nicht bissig, mit einer leicht hintergründigen Nuance.

Auch die Radierung wird in den Münchner Jahren gepflegt, später aber nicht mehr weitergeführt, weshalb die wenigen erhaltenen Blätter — von den meisten existieren die Platten nicht mehr — besonders wertvoll sind

München ist für den Künstler die Zeit des Aufnehmens und Reifens, die vom ersten Weltkrieg unterbrochen wird. Als Kriegsmaler lernt er die italienischen Frontabschnitte kennen und lebt nachher kurze Zeit in der Schweiz, am Bodensee und auch wieder in München, das ihn schon wegen der politischen Verhältnisse nicht mehr festhalten kann. Thönv kehrt 1923 in seine Heimatstadt Graz zurück, findet hier gewissermaßen den Boden für seine Kunst bereitet, die nun in geballter und vitaler Kraft aus seinem Pinsel strömt. Er gründet die Grazer Sezession mit einer Gruppe junger Maler, Bildhauer und Architekten, von denen viele wie er aus dem Ausland zurückgekehrt waren, eine avantgardistische Gruppe, die mit einem Schlag den Anschluß an die Weltkunst gefunden hatte. In kürzester Zeit erreicht Thöny nun Höhepunkte in seinem malerischen Schaffen, das etwa dadurch auffällt, daß er auf einen düsteren und schwermütigen Grund, in grauen, weißlichen oder bläulichen, auch grünlichen Tönen gehalten, leuchtende grelle Farbakzente setzt, damit Klangfiguren erzielend, die dem Inhalt eine melancholische, düstere, oft ausweglos scheinende Deutung verleihen. So sagt der „Schulhof“, ein zentrales Werk dieser Epoche, nicht nur von einem Kindheitserlebnis — der seelischen Bedrückung des Schülers — aus, er erzählt uns darüber hinaus vom Zwang, dem sich der Künstler ausgesetzt sah, da das Grazer Publikum seiner Kunst zu folgen nicht in der Lage war; und schließlich lebt in dem erregend roten Boden des von grauen Mauern umschlossenen Hofes und den darin schachbrettartig verteilten Kindergruppen die Angst vor dem ungewissen Schicksal, die in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg die zerrüttete bürgerliche Welt erfaßt hatte.

Die angewendeten Kompositionsprinzipien sind expressionistisch: die unmeßbare Raumtiefe, die an der grauen Mauer gewaltsam abprallt, die schwarzen Baumskelette, der rote Boden und die in Dreiecksgruppen gestellten Kinder, die in ihrem Schweigen ohne Leben erscheinen. Der auf Blau, Rot und Gelb gestimmte Farbakkord kennzeichnet auch später viele Bilder Thönys, so daß man nicht nur von einem Thöny-Weiß oder -Schwarz, sondern auch von dem Thönyschen Farbendreiklang Blau-Rot-Gelb sprechen kann.

Auch ein eigener Kompositionsrhythmus kehrt als ein besonderes Stilelement im ganzen Schaffen des Künstlers vielfältig moduliert wieder.

Neben der Landschaft fesselt Thöny die Welt des Theaters, nimmt ihn die Gestaltung bestimmter Menschentypen, heldenhaft-tragischer Erscheinungen, gefangen. Seine musikalische Veranlagung findet ihren Niederschlag in der Darstellung der Gestalt Beethovens, in den vielen Kompositionen um den Meister verdichtet sich Thönys starkes Einfühlungsvermögen bis zur Identifikation. Aber auch andere Gestalten, wie

Napoleon, Jeanne dArc, Männer im Zylinderhut und Frack, vermitteln sein eigenes Wesen, werden zu Spiegelbildern seines Ichs.

Von 1931 bis 1938 lebt Thöny in Paris und in Südfrankreich. Hier erfährt, sein-, von der Schwere des provinziellen Lebens und- der Härte der künstlerischen Weiterentwicklung gehemmtes Wesen die innere Befreiung, dies, obwohl am politischen Horizont die Vorboten von Diktatur und Krieg sichtbar werden. Eine neue malerische Phase beginnt. Auf den hellen, aufgelockerten Bildgründen verlieren nun die Farben und die Pinselzüge die Schwere, die starken Tiefenspannungen, die betonten Vordergrundfigu-rationen werden gemildert; die Landschaften überwiegen, nur spärlich finden sich darin kleine Figuren, die nur noch als Farbakzente Bedeutung haben. Die Malerei selbst wird in lockeren Flecken durchgeführt, und häufig gleiten helloder dunkelfarbige Liniengespinste flüchtig über sie hinweg. Seit Paris malt er auch seine eigenartigen Stadtlandschaften, Architekturbilder, in denen einzelne bedeutende Bauten der Stadt, wie Notre-Dame, das Pantheon oder der Invalidendom, als geistige Zentren aufgefaßt, entmaterialisierte Mittelpunkte darstellen. Es ist etwas Edelsteinfunkelndes in diesen Bildern, die inmitten der Hochflut französischer Kunst die Individualität ihres Schöpfers verraten, der sich an keine der Ismen angeschlossen hat. Sein angeborenes Formgefühl und die zeichnerisch geschulte Hand schaffen Werke von künstlerischer Einheit — seltene malerische Kostbarkeiten; hierzu gehören auch die Farbskizzen zu dem leider verbrannten Bild des Kardinals Verdier, der, selbst eine bedeutende Persönlichkeit, wie eine feierliche Architektur den Bildraum beherrscht.

Trotz großer Sehnsucht nach der Heimat

— viele Briefe zeugen davon — zwingt die politische Entwicklung in Europa den Künstler, der die menschliche und persönliche Freiheit über alles stellt, nach Amerika zu gehen. Hat ihn Frankreich beglückt, so fasziniert ihn New York, und diese Faszination ist so stark, daß Thönys künstlerische Zwiesprache mit der Natur, bisher vom Pulsschlag des Herzens geleitet, zu einer rein geistigen Auseinandersetzung mit dem Objekt wird. Dieser Wandel — von nun an verströmt die Persönlichkeit widerstandslos ins Objekt — zeigt sich nicht so sehr in den Oel-bildern als vor allem in den kleineren Arbeiten der vierziger Jahre, besonders in den zauberhaften Aquarellen von New York. Vom 26. Stockwerk eines Hochhauses gesehen, wo er

— mit der Aussicht über den Centralpark — Jahre hindurch wohnte, werden die Straßen zu engen Schluchten, werden die Architekturen der Wolkenkratzer zu farbigen Flecken und Linien entmaterialisiert. Menschen und Natur — in die Fläche gebannt, entpersönlicht, maskenhaft — folgen allein formalen Gesetzen. Unverändert aber bleibt die Palette, der blaut-rot-gelbe Dreiklang und die Weißschwarztöne, die sehr subtil eingesetzt sind. Diese vorher nie geübte Freiheit dem Objekt gegenüber, wie sie im letzten Lebensjahrzehnt Thönys immer stärker wird, erwächst aus der geänderten Umwelt, in der er sich nicht beheimatet fühlte; unter dem Einfluß der Größe und geistigen Macht New Yorks wandelte sich der Stil Thönys. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich in den wenigen Bildern dieser Zeit eine ganz neue Entwicklung im malerischen Schaffen des Künstlers angekündigt hat, der durch den plötzlichen Tod ein Ende gesetzt worden ist.

Die seit 25. Oktober dieses Jahres in den Räumen der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz gezeigte Ausstellung „Wilhelm Thöny — zur 70. Wiederkehr seines Geburtstages“ enthält 125 Werke aus allen Schaffensepochen, die das erste Mal der Oeffent-lichkeit gezeigt werden.

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