Realismus auf dem Prüfstand

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Eine Ausstellung der Kunsthalle Wien rund um die prekäre Beziehung zwischen zeitgenössischer Skulptur und gegenständlicher Abbildung.

Im Hof des Museumsquartiers, unter den Bäumen vor dem Eingang der Kunsthalle steht neuerdings ein lebensgroßer Mann aus Bronze. Trotz des traditionellen Materials wirkt er zart, erinnert durch den fehlenden Sockel und die Lebensgröße so gar nicht an ein historisches Denkmal. Bei genauerem Hinsehen kommt die Ironie dieses 1993 entstandenen "Selbstporträts" des italienischen Künstlers Alighiero Boetti erst richtig zum Ausdruck. Mittels eines Schlauchs schießt in regelmäßigen Abständen ein Wasserstrahl auf den von elektrischen Widerständen erhitzten Kopf der Statue, verdampft dort zischend. Boetti frönt mit dieser Arbeit dem Realismus - zugleich stellt er die skulpturale Denkmal-Tradition und die Jahrhunderte hindurch idealisierte künstlerische Inspiration in Frage.

Natur nachahmen?

Boettis Denker-Persiflage bildet den Auftakt der aktuellen Kunsthallen-Schau, die realistischen Tendenzen in der zeitgenössischen Skulptur nachspürt - und somit nach "Lieber Maler. Male mir ..." 2002 das mehrteilige Realismus-Projekt fortsetzt, das die Kunsthalle in den letzten Jahren seit ihrer Übersiedlung ins Museumsquartier veranstaltet.

An sich ein spannendes Thema, denn auf den ersten Blick möchte man meinen, dass Realismus und zeitgenössische Skulptur so gar nicht zusammenpassen. Realistische Skulptur - da denkt man an Monumente aus den ehemaligen Ostblockstaaten oder an Klein-skulpturen im Bereich des Kunsthandwerks. Dies liegt daran, dass die Kunst der Moderne spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts einer die Wirklichkeit abbildenden Skulptur ausgesprochen skeptisch gegenübersteht. "Ein gutgemachter Torso enthält das ganze Leben. Man fügt ihm nichts hinzu, wenn man daran die Arme und Beine anbrächte", meinte bereits August Rodin und leitete damit die Hochkonjunktur des Unfertigen und des Fragments ein. Wesentlich radikaler verhielten sich die Avantgarden wie etwa die Futuristen, die überhaupt die Vertreibung des Gegenstands aus der Bildhauerei forderten.

Bereits in früheren Jahrhunderten taten sich allerdings Zweifel an mimetischen Skulpturen auf. Einerseits, weil es in Zeiten starker Religiosität als vermessen galt, Gott zu spielen und naturähnliche Gebilde zu kreieren. Andererseits, weil die Plastik aufgrund ihrer Abbildhaftigkeit und der Körpernähe immer als Repräsentantin der Macht fungierte - man denke etwa an die unzähligen Herrscher- und Siegesdenkmäler. Der zweite Weltkrieg, die Unmöglichkeit, den Schrecken des Holocaust gegenständlich zu fassen, haben erst recht dazu beigetragen, dass die realistische Skulptur heute keinen großen Stellenwert mehr hat. Zumindest nicht unhinterfragt. Natürlich gibt es nach wie vor zahlreiche bildhauerische Positionen, die Naturnähe thematisieren, zugleich spiegeln diese aber stets die Skepsis gegenüber einer Abbildungsästhetik, wie die Kunsthalle-Ausstellung zeigen möchte.

25 zeitgenössische internationale Positionen hat Sabine Folie neben den zwei bereits verstorbenen "Klassikern" Medardo Rosso und Alighiero Boetti ausgewählt und in einer reduzierten Ausstellungsarchitektur - im Grunde handelt es sich lediglich um graue Bodenmarkierungen - zu einer bunten Mischung aus Skulpturen, Installationen, Videos und Fotos vereint. Am überzeugendsten sind jene Arbeiten, die vom Medium her gar keine Skulpturen sind - also von einem erweiterten, transformierten Skulpturbegriff ausgehen. Etwa das Video gleich zu Beginn der Schau von Takehito Koganezawa, das zeigt, wie aus grünem Plastilin immer wieder neue Skulpturen entstehen. Koganezawa stellt mit dieser witzigen Animation die fertige Sockel-Skulptur in Frage. Stattdessen rückt er den Prozess und das spielerische Gestalten in den Vordergrund. Ähnlich subtil die konzeptuellen Arbeiten des Österreichers Erwin Wurm, der in dem Video "59 Stellungen" mit seinem in Kleidungsstücke gezwängten Körper lebende Moment-Skulpturen erzeugt und diese filmisch festhält.

Von den dreidimensionalen Arbeiten fallen besonders die erstarrten Farbspritzer von Lynda Benglis, der überdimensionale Vorhang von Tom Claasen oder die Körperabdrücke von Sarah Lucas positiv auf.

Insgesamt lässt sich - wie so oft bei Themenausstellungen - die Auswahl nicht ganz nachvollziehen. Viele Positionen wären austauschbar und manche vermisst man gerade bei diesem Thema besonders, wie etwa die Grande Dame der Bildhauerei Louise Bourgeoise oder den Australier Ron Mueck mit seinen maßstabveränderten Körper-Nachbildungen. Auch wirkt Medardo Rossos "Buchmacher" - so sehenswert und bedeutsam er in diesem Zusammenhang auch ist - verloren inmitten der bunten Gegenwartsschar.

Konzeptuelle Mängel

Als Ausstellungsbesucher kann man trotz großteils interessanter Objekte und einer angenehm zurückgenommenen Gestaltung nur schwer erkennen, was wirklich ausgesagt werden soll. Dies liegt daran, dass der Themenbereich sehr breit gesteckt wurde und zu viele Begrifflichkeiten wie "Skulptur", "Realismus", "Prekär", "Komik" und "Melancholie" im Spiel sind. Eine Beschränkung auf einen Aspekt und eine präzisere Definition dessen, was unter Realismus verstanden wird, hätten der Schau auf jeden Fall gut getan.

SKULPTUR. Prekärer Realismus

zwischen Melancholie und Komik

Kunsthalle Wien, Halle 1

Museumsplatz 1, 1070 Wien,

Bis 20. 2. 2005 tägl. außer Mi 10-19 Uhr, Do 10-22 Uhr

www.kunsthallewien.at

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