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Wie man Ideen ausstellt

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Was will „Drawing now” (Zeichnung - heute)? Ist das eine Bilanz, was sich auf diesem höchst spezialisierten, fast schon esoterischen Gebiet der Kunstübung in den letzten Jahren getan hat? Ein Versuch, vor allem rund um die Zeichnung der Amerikaner der sechziger Jahre auf dem internationalen Kunstmarkt ein Lizitationsverfahren zu eröffnen? Oder ein Versuch, einer in der modernen Kirnst phasenweise in den Hintergrund abgeschobenen Kunstsparte endlich den Nachweis zu liefern, daß sie ein autonomes Medium, ja vielleicht sogar den höchstentwickelten künstlerischen Ausdrucksbereich darstellt? Ist es ein Versuch der Orientierung, wieweit sich die Grenzen des Begriffs Zeichnung in den letzten Jahren verschoben haben, weg vom traditionellen Begriff und hin in konzeptuelle Richtungen, in denen Entwürfe, Ideenskizzen, Materialanalysen wichtig geworden sind? Daß die Zeichnung heute mehr denn je selbständiges Gestaltungsmittel, ja zum Medium für gestalterische Analyse geworden ist und deshalb heute auch in Museen und Privatsammlungen völlig neue Bedeutung gewonnen hat, beweist nun eine in jeder Hinsicht außerordentliche Ausstellung in der Wiener Albertina.

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Was will „Drawing now” (Zeichnung - heute)? Ist das eine Bilanz, was sich auf diesem höchst spezialisierten, fast schon esoterischen Gebiet der Kunstübung in den letzten Jahren getan hat? Ein Versuch, vor allem rund um die Zeichnung der Amerikaner der sechziger Jahre auf dem internationalen Kunstmarkt ein Lizitationsverfahren zu eröffnen? Oder ein Versuch, einer in der modernen Kirnst phasenweise in den Hintergrund abgeschobenen Kunstsparte endlich den Nachweis zu liefern, daß sie ein autonomes Medium, ja vielleicht sogar den höchstentwickelten künstlerischen Ausdrucksbereich darstellt? Ist es ein Versuch der Orientierung, wieweit sich die Grenzen des Begriffs Zeichnung in den letzten Jahren verschoben haben, weg vom traditionellen Begriff und hin in konzeptuelle Richtungen, in denen Entwürfe, Ideenskizzen, Materialanalysen wichtig geworden sind? Daß die Zeichnung heute mehr denn je selbständiges Gestaltungsmittel, ja zum Medium für gestalterische Analyse geworden ist und deshalb heute auch in Museen und Privatsammlungen völlig neue Bedeutung gewonnen hat, beweist nun eine in jeder Hinsicht außerordentliche Ausstellung in der Wiener Albertina.

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Kunsthistorikerin Bemice Rose vom New Yorker Museum of Modem Art hat sie zusammengestellt und nach Europa geschickt. In Wien gab’s allerdings Kalamitäten und bravourös bewältigten Zeitdruck. Denn nach Zürich hat die Kunsthalle Baden-Baden (übrigens nicht das erstemal) die ihr zugeteilte Ausstellungsperiode gleich um fast zwei Wochen überzogen.

Aber jetzt haben wir sie hier, diese Dokumentation des Phänomens Zeichnung, die allerdings aus einersehr persönlichen Sicht gestaltet ist. Denn Bernice Rose, deren Anliegen doch vor allem auf das Aufreißen von Minimal- und Conceptual-Art-Pro- blemen konzentriert sind, hat das Spekulative in den Vordergrund gerückt Zeichnung als sinnliches Element (wie etwa im französischen Surrealismus und seinen Ausläufern), als mystisches Erlebnis (wie etwa bei den Österreichern Hundertwasser, Pichler und Rainer) oder als Fortsetzung expressionistischer Tradition fehlen hier völlig.

Vor allem eine Motivation fällt mir in dieser gedanklich ebenso fulminanten wie eigenbrötlerischen Ausstellung auf: die Abkehr von Paul Klees Zeichnungs-Interpretation als „psychische Improvisation”. Das Emotionelle wie das tiefenpsychologische Element scheinen reduziert. Bis auf den Nullpunkt. Ja, ausgeschaltet. Bemice Rose verkündet ein Konzept künstlerischer Konzeption. Begriffliches, Strukturelles, Analytisches geben an, wo der Bruch mit der traditionellen Zeichnung notwendig geworden ist und wohin man jetzt in den USA steuert.

Bei aller Wertschätzung dieser imponierenden Schau ist aber doch nicht zu übersehen, daß sie ausschließlich aus amerikanischer Sicht gestaltet ist. Um die US-Giganten John Cage, Christo, Jim Dine, Jasper Johns, Robert Morris, Bruce Nauman, Claes Oldenburg, Rauschenberg, Frank Stella, Cy Twombly und Warhol sind ein paar Nicht-Amerikaner gruppiert (so Tinguely, Beuys, Hamilton, Panamaren- ko, David Hockney), die eigentlich nur wie eine Bestätigung wirken - und zwar der amerikanischen These vom Ende der „psychischen Improvisation”, von der „Absolutierung des Bewußtseins oder des künstlerischen Einfühlungsvermögens, die mehr Bedeutung haben als das Objekt selbst”, und der Identität von Kunst und Ausdrucksweise.

Das Schwergewicht hat sich dabei längst auf die Rollenspezifik des Künstlers hin verschoben: auf die immer neue Prüfung von eigener Funktion und Problemen der modernen Kunst in der Zeichnung. Und nur unter diesen Aspekten sieht Bernice Rose auch traditionelle Bindungen, wie sie etwa zwischen Max Emsts Collage-Ästhetik und Automatismus und den Arbeiten eines Beuys und Twoip- bly wirksam wurden oder zwischen der Collage-Ästhetik und dem Pop-Ar- tisten Rauschenberg …

Wer dieser ungemein gescheit und pointiert gestalteten Ausstellung ganz folgen will, muß unbedingt Roses Essay lesen. Ein Beispiel, wie man Kunst dechiffrieren kann, aufschlüsseln, verstehen. Eine Schau, die eine Zerfaserung in Leitlinien propagiert, wie sie für die europäische Kunst in vielen Hinsichten notwendig wäre, aber aussteht.

Eine der wichtigsten Ausstellungen der letzten Jahre, „Junggesellenmaschinen”, hat nun ebenfalls ihren Weg nach Wien gefunden. Nach Bern, Venedig, Brüssel, Düsseldorf, Paris, Malmö, Amsterdam, residieren sie jetzt im Museum des 20. Jahrhunderts … Aber was macht diese Schau so ungewöhnlich? Noch mehr als bei „Drawing now” ist hier eine Idee, allerdings eine literarische, thematisiert worden. Eine brillante, durchaus ironisch-witzige Spekulation.

„Junggesellenmaschinen” ist die Bezeichnung, die Marcel Duchamps für einen Teil seines berühmten Kunstwerks „Das große Glas” (1915 bis 1923) im Museum in Philadelphia gebrauchte, ein Kunstwerk, das hypothetisch einen Mechanismus in Bewegung setzt, ein Kräftespiel von Energien durch symbolische Maschinen, mit dem Abbild einer Jungfrau und Junggesellen, den „Angehörigen einer gesellschaftlichen Hierarchie”, die durch Maschinenteile dargestellt sind.

Michel Carrouges, der französische Autor, hat den Mythos dieser Maschinen analysiert und zugleich entdeckt, daß Duchamps Darstellung im Grunde der Analysenmethode zahlreiche Kunstwerke aus der Zeit zwischen 1850 und 1925 entspricht. Vor allem von literarischen Schöpfungen, die „das Funktionieren von Geschichte, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, Beziehungen des Menschen zu einer höheren Instanz in Form einer simplen Mechanik vorgestellt haben”. Freud selbst bezeichnete bekanntlich die Psyche als Apparat. Hier setzt nun die von „documents 5”-Chef Harald Szeemann gestaltete Ausstellung an. Vergleiche zwischen Kafkas Strafkolonie (deren Vernichtungsmaschine wurde im Modell nachgebaut) und Duchamps „Large Glass” etwa ergeben Parallelen im Mechanismus. Hinter all den Dokumenten dieser Schau, in der Literatur, Bildende Kunst, soziologische Materialien, Automaten und so weiter sich zum Pandämonium unserer Kultur zusammenfügen, steht aber mehr als bloße literarische oder künstlerische Fiktion - die Tragödie unserer Zeit. Und Carrouges resümiert: „Der gordische Knoten der Interferenzen zwischen Maschinismus, Terror, Erotismus, Religion und Atheismus… In ihrer wunderbaren Zweideutigkeit stehen die Junggesellenmaschinen gleichzeitig für die Erotik und deren Verneinung, für Tod und Unsterblichkeit, für Tortur und Disneyland, für Fall und Auferstehung.”

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