Wenn der Tanz neugierig ins Museum geht

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Im zeitgenössischen Tanz ist seit Jahren eine Radikalisierung dahingehend zu beobachten, dass nach landläufigem Verständnis kaum noch getanzt wird. Gedanken zum diesjährigen ImPulsTanz Festival.

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Im zeitgenössischen Tanz ist seit Jahren eine Radikalisierung dahingehend zu beobachten, dass nach landläufigem Verständnis kaum noch getanzt wird. Gedanken zum diesjährigen ImPulsTanz Festival.

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Das 1984 aus einer Reihe von einigen wenigen Workshops hervorgegangene ImPulsTanz Festival ist mit den Jahren nicht nur beträchtlich gewachsen, sondern in der Szene weit über Wien hinaus zu einem regelrechten "hot spot" geworden. Aber auch in der Stadt ist das wichtigste Festival seiner Art längst angekommen. In Wien gilt mittlerweile das Bonmot: Ein Sommer ohne ImPulsTanz ist kein Sommer!

Für die 32. Ausgabe, die noch bis zum 16. August dauert, haben der Gründer und Langzeitintendant Karl Regensburger und sein Team 50 Produktionen von 45 Companies eingeladen, die in 120 angesetzten Vorstellungen ihre neuesten Arbeiten zeigen. Das Publikumsinteresse ist dabei so groß, dass bis jetzt 35 Zusatzvorstellungen angeboten werden konnten. Dabei ist das Festival nie von seiner Ursprungsidee abgewichen, Plattform für Begegnungen, Vernetzungen, Labor zu sein, wo Neues ausprobiert und weitergegeben werden kann. Die über 250 Workshops mit an die 6000 Buchungen bilden nach wie vor das Herzstück von ImPulsTanz.

Im Spielprogramm fehlen in diesem Jahr die großen internationalen Namen weitgehend, denn man hat den Fokus heuer auf die österreichische Szene gelegt, deren Förderung dem Festival schon immer ein Anliegen war. Mit "ImPulsTanz geht in die Museen" wurde darüber hinaus ein recht ungewöhnliches Projekt lanciert. Indem mit dem Museum moderner Kunst (mumok), dem 21er Haus und dem (ethnologischen) Weltmuseum neben elf anderen Spielstätten drei Wiener Museen als ungewöhnliche Spielorte dienen, sollen nicht nur neue Präsentationsformen und -räume erforscht, sondern soll vielmehr der Dialog mit dem Ort des Museums und den in ihm ausgestellten Dingen befördert werden. Dass diese Idee nicht einfach einer inhaltsleeren Eventkultur geschuldet ist, sondern konzeptuellen Entscheidungen, die mit Spektakel rein gar nichts, mit der Entwicklung zeitgenössischen Tanzschaffens dafür umso mehr zu tun haben, sollen folgende Erläuterungen erhellen.

Wirkmächtige Deutungsinstanzen

In allen Kulturen dienen Museen als symbolische Ordnungen etablierten Wissens. Sie sind in diesem Sinne wirkmächtige Deutungsinstanzen, die durch die Auswahl der Gegenstände und ihre Anordnungen (kunst) historische Interpretationsmodelle vorgeben, wobei sie gelegentlich auch alternative Sichtweisen von ehemals verbindlichem Wissen entwerfen. Dieser Gedanke kann ebenso für die kuratorische Praxis eines Festivals gesagt werden: Mit der je besonderen Auswahl, der Anordnung und Konfrontation von in diesem Fall choreografischen, tänzerischen Arbeiten werden jeweils etablierte Wissensbestände hinterfragt, Alternativen aufgerufen. Damit wird eine mögliche Transformation des Begriffs, was unter Tanz verstanden wird, zur Diskussion gestellt. Die Ansammlung von verschiedensten Performances kann so zu einer Veränderung des Wissens über Tanz führen.

Kaum noch getanzt

Nun ist ImPulsTanz seit Jahren dafür bekannt, dass es für die Besucher herausfordernd ist, weil es die Grenzen dessen, was Tanz ist, sein kann und sein soll, immer wieder neu zieht. Im zeitgenössischen Tanz ist seit Jahren eine Radikalisierung dahingehend zu beobachten, dass nach landläufigem Verständnis kaum noch getanzt wird. Wo doch noch getanzt wird, wie etwa bei Jan Kaler, Philip Gehmacher, Doris Uhlich oder Elina Pirinen und Volmir Cordeiro (um nur einige wenige zu erwähnen) ist die Bewegung kaum noch schön zu nennen. Die Bewegungsformen lassen sich kaum noch durch einen gemeinsamen Stil charakterisieren und in der jeweiligen figuralen Ausprägung so ohne weiteres einem kulturellen Muster zuordnen oder als körperliche Zeichen, im Sinne einer "écriture corporelle", lesen. Den heterogenen Praktiken zum Trotz scheint den Tänzern und Choreografen der Gegenwart die mentale Einstellung zum Körper gemeinsam zu sein, die sich als Misstrauen ihm gegenüber beschreiben lässt, ihn noch als Hort des authentischen Ausdrucks menschlicher Subjektivität zu verstehen.

Wo der Köper noch thematisiert wird, geht das oft mit Kritik an seiner Darstellung, der Repräsentation einher oder aber er wird ausgestellt, auf mitunter bizarre und drastische Weise deformiert oder auf einen pur funktionalen Bewegungsapparat reduziert, was Tanz zur abstrakten Kunst macht. Das Interesse am Körper und an der reinen Bewegung aber - so gewinnt man den Eindruck - scheint im Moment eher untergeordnet zu sein. Stattdessen gilt das Augenmerk verstärkt gesellschaftspolitischen Inhalten und sozial-philosophischen Diskursen, sowie besonderen Orten und Gegenständen der Dingwelt, womit andere, neue Kontexte eröffnet werden, in denen auch der Körper als Werkzeug oder als Refugium des Selbst wieder anders wahrgenommen werden kann.

Die Reihe "Redefining Action(ism)" die im mumok stattfindet, wo gegenwärtig die Ausstellung "Mein Körper ist das Ereignis. Wiener Aktionismus und internationale Performance" zu sehen ist, bemüht sich um die historische Verortung des vielgestaltigen zeitgenössischen Tanzschaffens innerhalb der Genealogie der Performance-und Konzeptkunstbewegung der späten 1960- und frühen 1970er-Jahre, mit der es viel Gemeinsames hat: Man teilt die Kritik an der Darstellung, kombiniert das Visuelle mit der Sprache, betont den Minimalismus der eigenen Ästhetik, erweitert die Grenzen des Genres.

Besonders der Portugiesin Ana Rita Teodoro gelang mit ihrem Solo "Gut's Dream" - auch die erstaunlich vielen Solos, die die Zahl der Ensembledarbietungen bei weitem übertreffen, machen übrigens die Parallele des zeitgenössischen Tanzes zur Performancekunst deutlich - ein offener Dialog mit der Geschichte der Performancekunst, der auch einen befreiten Blick auf den zeitgenössischen Tanz möglich macht.

Erweiterung des Begriffs Tanz

Dabei war es weniger ihr Hantieren mit ineinander gesteckten Papiersäckchen, die sie zu mehr oder weniger eindeutigen Objekten formt, oder die vielen Körperzitate aus der historischen BodyArt, als vielmehr das Setting selbst. Auf einer kleinen, leicht erhöhten, ganz in weiß gehaltenen Bühne war Teodoro umrahmt von auf Podesten stehenden schwarzen Monitoren, auf denen Schwarzweiß-Videos von Paul McCarthy, Valie Export, Yoko Ono oder Bruce Nauman liefen. Gerade Letzterer war es, der sich als bildender Künstler in den späten 1960er-Jahren folgenreich mit der Erweiterung des Begriffs der Skulptur beschäftigt und dabei den Körper sowie die Einführung des Choreografischen zum zentralen Mittel erhoben hat. Die Experimente, in denen er vorher präzise festgelegte, mitunter stark formalisierte oder manchmal auch ganz alltägliche Bewegungen ausführte, hat er in seinem Atelier ganz für sich gemacht und auf Videos festgehalten.

Arbeiten wie "Walking in an Exaggerated Manner Around the Perimeter of a Square" oder "Walk with Contrapposto" liefen hinter Teodoro nicht zufällig. Nauman hat die Skulptur durch den performativen Akt, das heißt durch den Faktor Zeit erweitert und den realen Körper durch Videobilder ersetzt. Das lässt sich als Aufforderung lesen, auch Teodoros Perfomance anders, vielleicht als erweiterte Form von Tanz zu begreifen. In diesem Sinne hat "Gut's Dream" übergreifenden programmatischen Charakter. Für alle Darbietungen von ImPulsTanz kann gelten, was Nauman einst sagte: Tanz entsteht aus einer einfachen Bewegung, ganz einfach weil man sie als Tanz präsentiert.

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