Nachleben der Bilder IM TANZ

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Das internationale ImPulsTanz-Festival in Wien zeigt noch bis 14. August aktuelle Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz.

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Das internationale ImPulsTanz-Festival in Wien zeigt noch bis 14. August aktuelle Entwicklungen im zeitgenössischen Tanz.

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Beim ImPulsTanz-Festival in Wien findet sich so ziemlich alles: konzeptueller Tanz, Rekonstruktionen von historischen Choreografien, narrative Formate und experimentellere Formen, die die Sprache des Tanzes erweitern oder Fragen der Darstellung und Repräsentation hinterfragen oder gar negieren. Das Festival bietet eine schier unüberblickbare Fülle an Themen, Stilen, Positionen. Wollte man der Vielfalt ungeachtet trotzdem grobe Trends im zeitgenössischen Tanzschaffen ausmachen, so fällt die -bereits im vergangenen Jahr begonnene -Grenzen überschreitende Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst auf. Die kanadische Choreografin Marie Chouinard etwa ließ sich für "Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste" vom weltberühmten Tafelbild des vor 500 Jahren gestorbenen Malers inspirieren. Auch an Äußerlichkeiten zeigt sich die Tendenz: Neben Theaterräumen werden auch wieder Museen wie das mumok und das Leopold Museum bespielt und es wird, wie beispielsweise von Xavier le Roys Arbeit "Untitled" von 2014, neben der Theater-auch eine Museumsversion zu sehen geben.

Grenzüberschreitende Kunst

Wie signifikant die Nähe von Tanz und bildender Kunst gegenwärtig ist, kann man auch daran ablesen, dass der 2013 mit einem Goldenen Löwen der Kunstbiennale Venedig ausgezeichnete deutsch-britische Künstler Tino Sehgal als danceWEB-Mentor fungiert und dafür gewonnen werden konnte, 40 Workshops mitzukuratieren, die von jeweils einem bildenden Künstler gemeinsam mit einem Vertreter aus dem Bereich Tanz geleitet werden. Darüber hinaus ist im Leopold Museum eine Ausstellung dieses grenzüberschreitenden Künstlers zu sehen, dessen Markenzeichen paradoxerweise immaterielle Arbeiten sind.

Sehgals Kunst besteht im Wesentlichen nämlich darin, dass er Situationen konstruiert, die der Besucher sinnlich erfahren soll. Ziel all seiner Kunstprojekte, die er weder filmen noch fotografieren lässt, ist die Herstellung einer absoluten Gegenwärtigkeit. Daher gibt es auch kein abschließendes Kunstobjekt, sondern nur eine konstruierte Situation. Dem leidenschaftlichen Entschleuniger, passionierten Zug-und Schiffsreisenden ist der Prozess des Werdens eines Kunstwerks viel wichtiger als das Objekt, weil dieses die so fragile, weil flüchtige Gegenwart nur töten würde. Seine Ästhetik des Immateriellen kann in diesem Sinne als eine Arbeit an der Wahrnehmung verstanden werden. Zugespitzt und seine Nähe zum Tanz unterstreichend kann man sagen, Sehgal choreografiere Wahrnehmung. Durch die teil-und wahrnehmende Gegenwärtigkeit des Betrachters in einer Situation entsteht nämlich erst das Werk. Und dieses besondere Einssein mit der Bewegung einer Situation heißt, frei nach Nietzsche, tanzen. In der Ausstellung wird auch Sehgals wohl berühmteste Arbeit, der als stummer Tanz choreografierte "Kiss", zu sehen sein, in welcher ein Paar, Mann und Frau, bekannte Küsse aus der Kunstgeschichte nachstellen.

Getanztes Gedicht

Eine Produktion, die auf besondere Weise von in Kunstwerken verdichteten Momenten ausgeht und darüber hinaus einen anderen beobachtbaren Trend des zeitgenössischen Tanzes offenbart -nämlich die Hinwendung zum Erzählen einfacher Geschichten -, ist die wunderschöne Choreografie "Verklärte Nacht" von Anne Teresa De Keersmaeker. Die bereits 1995 als Ensemblearbeit begonnene Auseinandersetzung mit Arnold Schönbergs Komposition zu einem Gedicht von Richard Dehmel hat sie vor zwei Jahren zu einem Pas de deux reduziert. "Verklärte Nacht" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ein Kind von einem Mann erwartet, den sie nicht liebt, und dies ihrem Geliebten während eines Spazierganges in einer hellen Mondnacht gesteht. Dabei trägt schon allein der Plot alle Merkmale des Melodramatischen und De Keersmaeker scheut nicht davor zurück, das in ihrer Choreografie auch herauszustreichen: In überaus lyrischen, ausdrucksstarken, ergreifenden Posen und Gesten erzählt sie von der Verfehlung, den Seelenqualen, der Angst, den Geliebten zu verlieren, dem Geständnis und der unerwarteten Wendung, der verständnisvollen Reaktion des Geliebten, der das Kind als sein eigenes akzeptieren möchte.

Stumm beginnt die Geschichte auf der leeren, nur von einem Scheinwerferkegel beleuchteten Bühne als eine Art Vorspiel: die flüchtige Begegnung der Frau mit einem Mann. Nur wenig später wird die wunderbare Samantha Van Wissen das Gleiche noch einmal tanzen. Begleitet von Schönbergs betörender, opulenter Programmmusik für Streichorchester ist es diesmal das Geständnis, das in den Worten Richard Dehmels so lautet: "ich glaubte nicht mehr an ein Glück /und hatte doch ein schwer Verlangen /nach Lebensfrucht, nach Mutterglück / und Pflicht -da hab ich mich erfrecht, / da ließ ich schaudernd mein Geschlecht /von einem fremden Mann umfangen".

De Keersmaeker choreografiert das Gespräch zwischen Mann und Frau mit nuancenreichen, ebenso gewaltsamen wie zärtlichen Gesten: ein furioser Paartanz losstürmender, innehaltender, zweifelnder, fallender, bittender und schließlich vergebender, umarmender, stützender Körper: "du treibst mit mir auf kaltem Meer, / doch eine eigne Wärme flimmert /von dir in mich, von mir in dich; / die wird das fremde Kind verklären".

Dieser melodramatische Exzess geht unter die Haut, nicht zuletzt auch dadurch, dass es so einfach zu verstehen ist, weil vieles einem irgendwie bekannt vorkommt. Das ist kein Zufall, denn so manche Geste und Pose entlehnt die belgische Choreografin der Kunstgeschichte, vor allem der Bewegung in den Skulpturen Auguste Rodins. Mit diesen Ent-und Anlehnungen an Werke der bildenden Kunst bedient sie sich einer Methode, die der Kunsthistoriker Aby Warburg um 1900 mit seinem einflussreichen Mnemosyne-Projekt verfolgte. Ihn beschäftigten Bilder in und als Bewegung. Vor allem interessierte ihn, wie Bildmotive und -formen von einer Epoche zur anderen und auch von einem Medium in ein anderes migrieren. Denn seiner Meinung nach seien in Bildern und Skulpturen narrative Momente kondensiert und ein Energiepotenzial inhärent, also Kräfte eines gespeicherten kultischen Erlebens, das sich zu ewig gültigen Ausdrucksformen und Pathosformeln verdichte und deren Bedeutungsgehalt jederzeit abrufbar sei.

Heimisches Tanzerbe

Eine ganz andere Art von Rückgriff auf bestehende Ausdrucksformen pflegen Produktionen wie "BiT" der französischen Choreografin Maguy Marin, die auf den provenzialischen Volkstanz Farandole rekurriert, oder Israel Galván, der dem Flamenco neue Möglichkeiten eröffnet. Besonders spannend ist die Arbeit "Sons of Sissy" von Simon Mayer. Die sehenswerte Arbeit ist eine manchmal heitere, aber vor allem auch schmerzvolle und bisweilen auch pessimistische Abrechnung mit dem heimischen volkstümlichen Tanzerbe und den darin zementierten Geschlechterrollen. An ihrer Unverrückbarkeit scheint der moderne Tanz ganz buchstäblich nackt, (noch) in die Knie zu gehen.

ImPulsTanz

Bis 14. August 2016

Verschiedene Orte in Wien www.impulstanz.com

ImPulsTanz

Berühmte internationale Choreografen und Newcomer, Workshops, bei denen tausende Anfänger und Profis mitmachen, und Performances (Bild: Wim Vandekeybus' "In Spite of Wishing and Wanting").

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