Gelungene Inszenierung

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Noch bis 7. November: 48. Biennale von Venedig.

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Noch bis 7. November: 48. Biennale von Venedig.

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Sinnlich, spielerisch und lebensfroh präsentiert sich die diesjährige Biennale in Venedig. Als im Winter des Vorjahrs der Schweizer Grandseigneur der Kunstszene, Harald Szeemann, 66, zum Direktor der Biennale 1999 und 2001 berufen wurde, waren die Erwartungen hochgesteckt. Zu recht. Denn der international wohl renommierteste Ausstellungsgestalter - er gilt als Künstler unter den Kuratoren - hat mit seinen unkonventionellen und stimmungsvollen Inszenierungen (documenta 5, Biennale in Lyon) schon allzu oft bewiesen, daß er das Publikum für Gegenwartskunst zu begeistern vermag. Die Biennale in Venedig kam Szeemann wie gerufen und er verkündete metaphorisch und pathetisch: Aus der "Mutter aller Biennalen" wolle er wieder eine "schöne, attraktive Frau" machen. Der hinkende Vergleich ist insofern zu entschuldigen, da Szeemann seine Biennale mit einem besonders hohen Anteil an weiblichen Künstlerinnen realisierte - an sich schon ein großes Verdienst.

Szeemann hat nicht zuviel versprochen. Sein Konzept, die Nachwuchsschau "APERTO" (Offen) zu einer "APERTO überALL" auszuweiten, kristallisierte sich zum spannendsten Teil der Biennale. Dazu löste er das Zentralgebäude in den Giardini, den "Padiglione Italia", auf, indem er keinen durch eine staatliche Kommission kuratierten Gastgeberbeitrag mehr zuließ, und stattdessen eigenhändig und unkonventionell inszenierte. Viele weitgehend unbekannte und sehr junge, vor allem asiatische, Künstler und Künstlerinnen mischte er ungeniert mit wenigen bekannten Namen wie Sigmar Polke und Louise Bourgeois zu einem großen Schauerlebnis. Trotz des spektakulären, leichten Charakters werden in vielen Arbeiten wesentliche Themen wie Einsamkeit, Krieg, Schönheit, Tod und Erinnerung angesprochen.

Unübersehbar im Vordergrund steht dabei das Medium Video, das die Malerei beinahe ganz verdrängt hat. Gleich zu Beginn des Zentralpavillons wird man in "Ora Locale" mit der Geschichte der Biennale konfrontiert: Eine alte Italienerin liest mit ruhiger Stimme die Namen sämtlicher Biennale-Teilnehmer seit 1945. Über Katharina Fritschs monumentale Großplastik "Der Rattenkönig", eine den voyeuristischen Blick eines Zimmermädchens thematisierenden Videoinstallation der Schwedin Ann-Sofi Siden und den berührenden Zeichentrickfilm des Südafrikaners William Kentride gelangt man am Ende des Pavillons zum Medienflohmarkt des in Paris lebenden Chinesen Wang Du - dem Publikumsmagneten der Schau. Wang Dus medienkritische, bunte Gipsfiguren sind aus Zeitungsausschnitten ins Dreidimensionale übersetzt worden: Wie auf einem Laufsteg aufgebaut, stehen Torsi von Monica Lewinsky, Jassir Arafat und Jacques Chirac nebeneinander und relativieren somit auf kritisch-ironische Weise die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Realitäten innerhalb der Medienwelt.

Shooting-Stars der vorigen Biennale fehlen auch in Szeemanns Dramaturgie nicht: Die Schweizerin Pipilotti Rist parodiert mit einer Videoarbeit das Kleinbürgertum, während der Schotte Douglas Gordon Ausschnitte aus Martin Scorseses "Taxi Driver" zu einer aggressiv beklemmenden Raumgestaltung inszeniert.

Malerisch, wenn auch ohne Malerei, wird es erst richtig im "Arsenale", der mittelalterlichen Hafenanlage Venedigs. Hier greift Szeemann ins Volle. Zusätzlich zu den bisher genutzten Seilereien, den "Corderie", konnte er dem Militär weitere 4000 Quadratmeter, die "Artiglierie", die "Gaggiandre" und die "Tese", für die Kunstschau abspenstig machen. Die verfallenen Anlagen, erbaut von keinem geringeren als dem berühmten Architekten Jacopo Sansovino (1486-1570), wären auch ohne Kunst schon eine Sensation. Noch schöner zur Geltung kommen sie durch künstlerische Akzente wie das farbenfrohe, schwimmende Teppichfloß des Schweizers Lori Hersberger oder das hundertfigurige Terrakotta-Skulpturenensemble des Exil-Chinesen Cai Guo-Qiang, das zurecht mit dem "Award-Preis" der Biennale ausgezeichnet wurde. Auch der zweite von der internationalen Jury prämierte, junge Künstler hat die Ehrung mehr als verdient: Der 31jährige Amerikaner Doug Aitken zeigt mit seiner sensiblen, mehrräumigen Videoinstallation, daß man auch mit heutigen Medien große "Fresken" malen kann. Unter den wenigen tatsächlich gemalten Bildern überzeugt lediglich Simone Aaberg K¾rns Serie weiblicher Pilotinnen aus dem Zweiten Weltkrieg.

Österreich enttäuscht Im Vergleich zur lebendigen "APERTO überALL" verblassen die meisten Länderpavillons, deren nationale Begrenzung ohnehin antiquiert erscheint. Dies haben die deutschen Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt mit ihrem aus Kisten zusammengesetzten "Pavillon für eine unbekannte Nation" treffend persifliert. Herausragend sind lediglich der belgische Beitrag, der den Besucher in einem weißen Nebel nach der Kunst tasten läßt oder die Videos der polnischen Künstlerin Katarzyna Kozyra und deren visuellen Fragen nach der Geschlechteridentität. Spektakulär ist auch die Raumgestaltung im japanischen Pavillon: Hier werden Kunstinteressierte durch einstellige Zahlenwände, die bei Null das Licht auslöschen und die Besucher in Dunkelheit hüllen, an Ursprung und Endzeit erinnert. Simcha Shirman aus Israel mahnt beklemmend und eindrucksvoll an Ausschwitz.

Enttäuschend und unzugänglich präsentiert sich hingegen der österreichische Pavillon. Vom Ansatz mag Weibels Konzept der "Offenen Handlungsfelder" zwar spannend sein, real übersetzt erscheinen die teilweise nicht mehr funktionierenden Beiträge allzu belehrend, trocken und "politisch korrekt", um sich dem Publikum zu erschließen.

Man verläßt die Biennale von Venedig dieses Jahr gut gelaunt, denkt aber mitunter auch fragend über die momentane Kunstsituation nach. Selbst die gelungene Inszenierung Szeemanns kann Krisen, Fragen und Orientierungssuche der Gegenwartskunst nicht verdecken. Durch die Loslösung vom Werkbegriff und dem Künstlerbild im klassischen Sinn, haben sich Grenzen in vielerlei Hinsicht aufgelöst, was es zum Teil schwierig macht, Qualitätvolles von Mittelmäßigem zu unterscheiden. Welchen Weg die bildende Kunst weitergehen wird, bleibt offen. Aber gerade diese Biennale zeigt, daß man trotz aller Auflösungstendenzen sehr schnell spürt, wo Künstler sich überzeugend mit Gegenwartsfragen auseinandersetzen und dies in eine Sprache übersetzen, die mit anderen Mitteln nicht erreichbar ist.

Bis 7. November

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