Michela Ghisetti - © Foto: Daniela Beranek

Versöhnliche Vielfalt: Michela Ghisetti in der Albertina

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Michela Ghisettis Werk fasziniert mit monumentalen, fotorealistischen Buntstift-Close-ups ebenso wie mit abstrakten Arbeiten und Skulpturen. Diversität und Stilpluralismus sind hier Konzept.

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Michela Ghisettis Werk fasziniert mit monumentalen, fotorealistischen Buntstift-Close-ups ebenso wie mit abstrakten Arbeiten und Skulpturen. Diversität und Stilpluralismus sind hier Konzept.

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Eine junge Frau mit vollen Lippen und lebendigem Blick, der wie eine Aufforderung wirkt – den sie im nächsten Bild aber vom Betrachter ab und einem alles überstrahlenden Licht zuwendet. „Afua“ und „Afua/Der Weg“ gehören zu einem Triptychon von Michela Ghisetti, welches das Œuvre der Künstlerin auf den Punkt bringt: Zwei Teile sind minutiös gezeichnete Farbstift-auf-Holz-Kreationen, die fotorealistisch und monumental gearbeitet wurden. Der dritte jedoch löst das Werk in die komplette Abstraktion auf und ist ganz mit Blattgold überzogen, so als wäre die Schöne im Licht aufgegangen.

Es ist dieses Werk und vor allem der eindringliche Blick der Frau, die den Besucher in die Pfeilerhalle der Albertina ziehen, wo erstmalig eine Retrospektive zum Werk der 1966 geborenen italienischstämmigen, seit 1992 in Wien lebenden Künstlerin gezeigt wird. Fast möchte man meinen, in eine Gruppenausstellung eingetreten zu sein, so gegensätzlich wirken viele der 54 Positionen.

Seiten einer Medaille

Den großformatigen Zeichnungen, die Konturen und Details wie einzelne Haarsträhnen so genau wiedergeben, dass sie wie Fotos wirken, liegt eine Skulptur gegenüber, in der zwei Gebetsketten-ähnliche Kugelreihen ineinander verwoben werden. Nebenbei hängen wild und ungestüm anmutende Acrylarbeiten mit Farbspritzern, die wie Feuerwerke wirken und zwar an Jackson Pollocks Drip-Painting-Technik erinnern, aber in Wahrheit der Spontaneität des Amerikaners exakte Planung und sorgfältig kreierte Farbpunkte entgegensetzen. In Ghana und Marokko ließ sich Ghisetti einerseits von Stammeskunst zu Puppen, die mit Perlenketten und Strohteppichen behängt sind, inspirieren. Andererseits erzählt sie, dort erkannt zu haben, „dass die interessantere Seite von Teppichen oft die rückwärtige ist“.

Was wiederum Ausgangspunkt für „ein Ausdrücken im Nichtperfekten war“ und Ghisetti dazu brachte, auch mal mit der linken Hand zu arbeiten – und für Arbeiten, in denen Farblinien zu springen scheinen, anstatt das Auge zu führen. Kuratorin Antonia Hoerschelmann nennt all dies „Seiten einer Medaille“ und spricht von einem „reichen Universum der Michela Ghisetti, das erstaunlich unterschiedliche Bildsprachen aufweist. Aber wenn höchster Realismus in ihrem Werk gleichberechtigt mit größer Abstraktion auftaucht, ist es kein Hinter-, sondern ein Nebeneinander.“ Es gehe der Künstlerin unabhängig von der stilistischen Ausformung stets um die Diversität der Welt, darum, „dass wir alle die Möglichkeit haben, miteinander zu koexistieren und zu kommunizieren. Für jeden ist Platz.“

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