Bilder von Müttern und mehr

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Johanna Schwanberg über die vielen Facetten der Mutterrolle im Spiegel der modernen Kunst.

Zwei nackte Körper - eine Frau und ein Säugling - liegen am Boden auf einem weißen Tuch. Ansonsten gibt es nichts zu sehen. Keinen Stuhl, kein Bett, keine Requisiten. Im Hintergrund lediglich eine beruhigend blaue Fläche. Die Betrachterinnen und Betrachter dieses Bildes werden ganz auf die Innigkeit des Augenblicks verwiesen - auf die Symbiose von Mutter und Kind.

Bei dem 1906 entstandenen Ölgemälde handelt es sich um eine der innovativsten Mutter-Kind-Darstellungen der Kunstgeschichte. Innovativ, weil dieses Bild mit dem Titel "Liegende Mutter mit Kind" mit allen Traditionen der abendländischen Kunst bricht. Sicherlich gab es immer Darstellungen nackter Frauen. Aber das waren begehrenswerte erotische Frauen wie "Venus" oder "Susanna im Bade" und keine Mütter, alle gemalt von männlichen Künstlern natürlich. Dass Säuglinge, auch Jesus, nackt dargestellt wurden, war üblich. Aber eine Mutter wurde, abgesehen von der entblößten Brust bei Stillbildern, niemals nackt gezeigt. Man kann sich also vorstellen, wie Aufsehen erregend dieses Motiv war, als Paula Modersohn-Becker es Anfang des vorigen Jahrhunderts auf die Leinwand pinselte.

"Zärtliche Madonna"

Das Bild überzeugt nicht nur aufgrund seiner schlichten, elementaren Ausdrucksweise, sondern auch, weil hier eine Malerin mit einem weiblichen Blick eine vollkommen neue Sichtweise auf Frauen aufzeigt und zugleich das Natürlichste auf der Welt - eine nackte Mutter mit ihrem nackten Säugling in zärtlicher Umarmung - erstmals zu einem bildwürdigen Thema erklärte. Dass es Modersohn-Becker gelang, derartige Momente in Farben und Formen auszudrücken, obwohl ihr Kinderwunsch damals noch unerfüllt blieb, berührt umso mehr.

Modersohn-Beckers Bild verkörpert eine Neuinterpretation des Motivs der "Zärtlichen Madonna", denn Bilder der stillenden oder herzenden Muttergottes gehören zu den ältesten Mutter-Kind-Darstellungen der europäischen Kunstgeschichte. Als "Schutzmantelmadonna" fungiert Maria auf Bildern als gütiger, mütterlicher Gegenpol des strafenden Vaters. Eine Rolle, die im 20. Jahrhundert auf Bildern kritisch hinterfragt wurde - als etwa Max Ernst 1926 einen Tabubruch beging und eine strafende Gottesmutter auf die Leinwand pinselte. Das Bild trägt den provokanten Titel: "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen."

Von liebenden Müttern wimmelt es nur so in der Kunstgeschichte. Umso faszinierender ist die Begegnung mit einem Bild, das so gar nicht der Vorstellung einer ihr Kind beschützenden Mutter entspricht. Das weißlich-hellblaue Gemälde hängt im Wiener Belvedere und ist heute unter dem Titel "Die bösen Mütter" bekannt. Gemalt hat es im Jahr 1894 der Trentiner Künstler Giovanni Segantini - einer der Hauptvertreter des europäischen Symbolismus. Von weitem könnte man meinen, es handle sich um die Darstellung einer alpenländischen Schneelandlandschaft mit einem knorrigen Baum im Vordergrund. Sieht man genauer hin, so erkennt man, dass in dem Baum eine Frau mit entblößtem Oberkörper hängt. Die roten aufgelösten Haare haben sich in dem dürren Geäst verfangen, der Körper windet sich in einer ekstatischen Befreiungsgeste nach oben. An der einen Brust trinkt ein aus dem Ast herauswachsender Säugling mit leicht bläulichem Gesicht.

Lange Zeit war man sich einig, dass Giovanni Segantini, der bereits als Kind Vollwaise war, mit diesem Bild ganz im Geiste der Jahrhundertwende den Egoismus von Frauen anklagen wollte, die ihre Mutterschaft ablehnen. Spannender sind allerdings weniger moralisierende, gegenwärtige Deutungen, die dieses Gemälde als Spiegel eines Konflikts zwischen dem Bild der Frau als Mutter und jenem als sinnliche Frau interpretieren.

"Tod, Frau und Kind"

Mutter sein bedeutet nicht nur, unendliche Liebe zu verspüren, sich täglich am Lachen des Kindes zu erfreuen, sondern auch ständig mit Angst umzugehen. Angst, das Kind wieder verlieren zu können. Ganz zu schweigen von Müttern, denen wirklich ein Kind vom Tod entrissen wurde. Ein Thema, das vor allem Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts angesprochen haben, wie eine Kohlezeichnung der deutschen Expressionistin Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1910 zeigt: Wange an Wange geschmiegt berühren sich Mutter und Kind. Die Augen geschlossen, ganz in die zärtliche Umarmung vertieft. Die Innigkeit scheint nur mehr von kurzer Dauer zu sein, denn eine unheimliche Gestalt schlingt die Arme um die Hüften des Kindes. Der Titel "Tod, Frau und Kind" gibt Gewissheit darüber, dass es sich bei dieser Zeichnung um ein erschütterndes Werk handelt. Noch mehr geht dieses Blatt unter die Haut, wenn man weiß, dass die Künstlerin selbst Mutter zweier Söhne war; dass sie den älteren aufgrund einer Krankheit in der Kindheit beinahe und den jüngeren im Ersten Weltkrieg tatsächlich verloren hat. "Als ob das Kind einem noch einmal vom Nabel abgeschnitten wird. Das erste Mal zum Leben, jetzt zum Tode", notierte sie in ihre Tagebücher.

Mutterbilder haben einen schalen Beigeschmack. Denn es gibt wohl kaum ein Motiv, das ideologisch so missbraucht wurde wie die Darstellung der Frau als fürsorgliche Mutter. Bei Mutterbildern kommt man nicht darum herum, an das nationalsozialistische Frauenbild zu denken, das in erster Linie eine propagandistische Idealisierung von Mütterlichkeit war. Unzählige Gemälde von so genannten "deutschen Müttern" in bäuerlicher Umgebung der 1930er und 1940er Jahre vermitteln, dass Muttersein während dieses Gräuelregimes keine persönliche Angelegenheit war, sondern eine Sache der Politik. Wie heuchlerisch diese Gemälde sind, spiegelt der Vergleich mit Werken, die damals als "entartet" galten. Mit Bildern, die Frauen nicht auf ihre Mutterrolle reduzieren und in einer experimentellen Bildsprache ausdrücken, dass Krieg für Mütter nichts als Leid bringen kann. Pablo Picasso etwa hat dem Schmerz einer Mutter angesichts ihres im Krieg getöteten Kindes ein unverkennbares Gesicht verliehen. Es ist ein einziger aufgerissener Mund, ein expressiver Schrei, der seine Mutterdarstellung auf dem Antikriegsbild "Guernica" aus dem Jahr 1937 charakterisiert.

In der Kunst nach 1945 haben Künstlerinnen das über Jahrhunderte überlieferte Mutterbild einer kritischen Sichtung unterzogen, wie die 1976 entstandene Fotocollage der renommierten österreichischen Medienkünstlerin VALIE EXPORT mit dem Titel "Geburtenmadonna" eindrucksvoll vor Augen führt: Eine Frau in T-Shirt und Blümchenrock sitzt über einer Waschmaschine in der Pose der Madonna von Michelangelos berühmter Pietà im Petersdom. Die Marmorskulptur des Renaissance-Bildhauers ist dahinter als Schwarzweißabbildung zu erkennen. Aus der Wäschetrommel windet sich ein rotes Handtuch heraus. Als markanter Farbtupfer erinnert es an eine Blutspur. Anstelle des Christussohnes befindet sich eine Leerstelle.

Pietà ohne Jesus

EXPORT verunglimpft die Mutterrolle nicht, sondern bricht mit einem bürgerlichen Idealbild der Frau als Mutter und Hüterin des Hauses. Mittels einer eindringlichen Bildsprache weist sie darauf hin, dass Muttersein nicht nur mit hehren Gefühlen, sondern auch mit Alltag, Hausarbeit und Geburtsschmerz zu tun hat. Die Künstlerin, selbst Mutter einer Tochter, wollte nie auf die Mutterrolle festgelegt werden, wie sie in einem Gespräch erzählt: "Für mich war Weiblichkeit nicht automatisch mit Mutterschaft verknüpft, die hatte für mich etwas mit Verantwortungsgefühl zu tun."

Man könnte meinen, die Thematik der "Geburtenmadonna" sei zwar in den 1970er Jahren mit der damaligen Suche nach alternativen Rollenbildern aktuell gewesen, heute aber längst überholt. Dass dies jedoch nur teilweise der Fall ist, zeigen gegenwärtige Debatten. Die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern, die mangelnden Kinderbetreuungsplätze und der diskutierte "Papamonat" sprechen dafür, dass sich Mutter- und Vaterrolle auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch im gesellschaftlichen Umbruch befinden.

Die Autorin gestaltet diese Woche die Ö1-Sendereihe "Gedanken für den Tag" über Mutter-Bilder.

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