Künstlerinnen - © Fotos: Wikipedia (gemeinfrei)

Frauen in der Kunstgeschichte: Ignoriert und hintergangen

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So oft Frauen in der Kunstgeschichte ins Bild gerückt wurden: Als Kunstschaffende wurden sie systematisch ausgeblendet. Zahlreiche Projekte und Museen wollen diesen blinden Fleck nun beseitigen.

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So oft Frauen in der Kunstgeschichte ins Bild gerückt wurden: Als Kunstschaffende wurden sie systematisch ausgeblendet. Zahlreiche Projekte und Museen wollen diesen blinden Fleck nun beseitigen.

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„Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?“ Mehr als 30 Jahre ist es her, dass eine legendär gewordene Kunstaktion der „Guerilla Girls“ durch die öffentlich gestellte Frage darauf hingewiesen hat, dass es wahrscheinlicher ist, als Aktstudie im US-Museum vorzukommen denn als Künstlerin.

Der Blick sollte auf etwas gelenkt werden, das die Kunstgeschichte seit Jahrhunderten beherrscht: eine Ausklammerung weiblicher Kunstschaffender aus dem kollektiven Gedächtnis, die nicht daher rührt, dass es keine Frauen in der Branche gegeben hätte – sondern vielmehr daher, dass sie systematisch aus der gemeinschaftlichen Wahrnehmung gestrichen oder „vergessen“ wurden, durch das Raster fielen oder auf ihre Rolle als Töchter, Gattinnen und Modelle reduziert wurden.

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Heute ist das Thema aktueller denn je. In den vergangenen Jahren häufen sich Ausstellungen, die dies aufarbeiten und eine Umkehr bewirken wollen: 2019 stellte die Tate Britain ein ganzes Jahr lang ausschließlich Werke von Künstlerinnen aus. Auch in deutschsprachigen Ländern gab es – von der Schirn Kunsthalle bis zum Belvedere – eine Vielzahl von Ausstellungen, die Frauen in den Mittelpunkt stellten, wohlgemerkt als Produzentinnen, nicht als Modelle.

Auch aktuell gibt es solche: Mit „Here we are!“ läuft im Vitra Design Museum in Weil am Rhein eine Schau zum Thema Frauen als Designerinnen im 20. Jahrhundert, die Neue Nationalgalerie in Berlin stellt im gesamten Jahr 2022 auf der gläsernen Bühne ausschließlich Frauen aus, die Landesgalerie Krems widmet aktuell eine Ausstellung den Künstlerinnen des Art Club, und das Kunsthaus Graz zeigt ab April „Amazons of Pop!“.

Leerstellen männlich geprägter Geschichte

Alle diese Projekte wollen eines: einen blinden Fleck beseitigen, den die Kunstgeschichte über Jahrhunderte aufgebaut hat, Leerstellen männlich geprägter Kunstgeschichte füllen und dem entgegenwirken, dass Frauen in Sammlungen trotz Sonderausstellungen immer noch weit unterrepräsentiert sind und ihre Werke in den Museen von Europa und den USA durchschnittlich nur maximal fünf Prozent der Bestände ausmachen.

Gleichzeitig werden immer mehr Stimmen laut, dass den Künstlerinnen nicht nur Gutes getan wird, wenn sie als „vergessen“ tituliert und in eigenen Abteilungen ausgestellt werden. Nicht im Sonderkapitel über Frauen, sondern vielmehr wie Männer nach Stilrichtungen geordnet solle man die Künstlerinnen im Museum finden, so die Kritiker und Kritikerinnen des Frauenausstellungs-Booms. Nicht die Quote, sondern die Qualität solle entscheiden, heißt es dann – und es wird moniert, dass die Etikettierung mancher Ausstellung Künstlerinnen erst recht wieder in eine Ecke stelle, anstatt sie in den Kunstkanon zu integrieren.

Können die Sehgewohnheiten in einer Welt, in der Museumssammlungen noch immer zu mehr als 95 Prozent aus Werken von Männern bestehen, verändert werden?

Die männlich dominierte Kunstgeschichte lasse sich nicht einfach mit Frauen auffüllen, sagte die Tate-Direktorin Frances Morris einmal. Sie müsse vielmehr zerlegt werden. Und auch die Wissenschafterin Linda Nochlin, die in den 70ern den Grundstein für die feministische Kunstgeschichte legte, forderte schon früh, Frauen sollen nicht als Ausnahme, sondern als Teil der Regel gesehen werden. Ein nochmaliges Umdenken ist gewünscht: Es geht nicht allein darum, die Lücke zu erkennen und zu stopfen, sondern die Frauen dabei nicht auch noch als Opfer zu deklarieren. Integration statt Sonderpodium sozusagen.

Beispiele derer, die für Kunstströmungen und Epochen prägend und zu ihrer Zeit sehr bedeutend waren, gibt es genug. Da Marietta Robusti, Tintorettos Tochter, von der sich der venezianische Adel der Renaissancezeit porträtieren ließ, hier die Barockmalerin Artemisia Gentileschi, dort Judith Leyster im niederländischen Goldenen Zeitalter, deren Werke lange für solche von männlichen Kollegen gehalten wurden.

Als „Malweibchen“ abgetan

Die Liste lässt sich leicht bis ins 20. Jahrhundert fortsetzen: Berthe Morisot war in der Zeit des Impressionismus bedeutend und wurde von einem wichtigen Galeristen vertreten. Suzanne Valadon war weit mehr als nur das Modell von Toulouse-Lautrec und Renoir, eignete sich deren Technik an und wurde von Degas gefördert. Marianne von Werefkin, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Abstraktions-Pionierin Hilma af Klint – viele bestimmten ihre Epochen mit, agierten ganz am Puls der Zeit und wurden damals von manchen Kollegen auch hoch angesehen.

Von anderen wurden Frauen jedoch über die Jahrhunderte gern als „Malweibchen“ abgetan. Ja, bis heute hält sich bei manchen eine Meinung ähnlich jener, die Maler Georg Baselitz noch 2013 in einem Interview mit dem Spiegel äußerte: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt.“ Auch die Praxis, dass malende Frauen verwendet wurden, um das Talent der Männer und deren überlegene Position noch mehr in den Vordergrund zu rücken, wird oftmals von Expertinnen kritisiert.

Natürlich spielt hier eine Rolle, dass Frauen erst spät auf Kunstakademien zugelassen wurden und auf private Schulen und spezielle Themen beschränkt waren. Man spricht aber zu Recht von einem systematischen Übergehen von Frauen, die zu ihrer Zeit bedeutsam waren, später jedoch an den Rand der Wahrnehmung gedrängt wurden, nicht zuletzt auch, weil die Kunstgeschichtsschreibung lange Zeit in männlicher Hand war. Nicht von ungefähr blieben, als Sibylle Zeh in einer Kunstaktion alle Einträge zu Männern in „Reclams Künstlerlexikon“ weiß überstrich, von rund 5000 Einträgen keine 170 über. Janine Mackenroth und Bianca Kennedy fragten in ihrem Buch „I love Women in Art“, ob man denn vergessen werden könne, wenn man noch gar nicht bedacht wurde? Ob man nicht eigentlich eher von „ignorierten“ oder „hintergangenen“ Künstlerinnen als von „vergessenen“ sprechen sollte?

Lässt sich die Kunstgeschichtsschreibung im Nachhinein korrigieren? Können Kanon und Sehgewohnheiten in einer Welt, in der die Sammlungen der Museen noch immer zu mehr als 95 Prozent aus Werken von Männern bestehen, verändert werden? Um eine Reevaluierung bemühen sich zahlreiche Initiativen: Beispielsweise wurde „Das verborgene Museum“, ein gemeinnütziger Berliner Verein, mit der Zielsetzung gegründet, Lebenswerk und Lebensgeschichte von Künstlerinnen bekannt zu machen, die aus unterschiedlichsten Gründen in Vergessenheit geraten sind. Zwar wurden die Aufgaben mittlerweile mit Anfang 2022 an die Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, übertragen, die Erforschung und die Sichtbarmachung vergessener Künstlerinnen stehen aber weiterhin im Fokus.

Eine ähnliche Stoßrichtung hat AWARE, kurz für Archives of Women Artists, Research and Exhibitions, wo Informationen über Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts gesammelt werden. Das National Museum of Women in Arts in Washington, D.C., stellt ausschließlich Kunst von Frauen aus. In Florenz gab es zuletzt 14 Jahre lang die Organisation Advancing Women Artists, die Werke von Frauen aus Depots geholt hat. Und in Deutschland engagiert sich auch das Projekt Lost Women Art dafür, dass die Werke von Künstlerinnen mehr wahrgenommen werden. So wird in vieler Hinsicht daran gearbeitet, dass Künstlerinnen mehr gesehen werden – und dass ihr Schicksal nicht als Frucht des passiven Übersehens wahrgenommen wird, sondern des aktiven Ausblendens, des bewusst Vergessenwerdens, des absichtlichen Übergangenwerdens. Um dem entgegenzuwirken.

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